Raglan
Er ist derjenige von der berühmten Charge of the Light Brigade, einer der größten Idiotien in der Militärgeschichte. Dank der neuen Telegraphenverbindungen berichtet die Times mit ihrem Starreporter William Howard Russell schon am gleichen Abend detailliert über den militärischen Unsinn (was den russischen Zaren zu dem Ausspruch bewegt Was brauche ich Spione, wenn ich die Times habe?). Nachdem Tennyson das gleichnamige Gedicht geschrieben hat, kennt das in England jedes Kind, und man hält Cardigan für einen Helden. Nach dem Todesritt (bei dem seine Rolle nie ganz geklärt wurde, manche klagen ihn an, er sei vom Schlachtfeld geflohen) reitet er zum Hafen von Balaclava, lässt sich von seinem Diener auf seiner Yacht Dryad ein heißes Bad bereiten und schlürft Champagner. Es gab übrigens am gleichen Tag einen Angriff der Heavy Brigade, der sehr erfolgreich für die Engländer war, aber über den redet niemand.
Half a league, half a league, „Forward, the Light Brigade!“ Cannon to right of them, Flash’d all their sabres bare, Cannon to right of them, When can their glory fade? Eigentlich hätte der ältere Kriegsinvalide zu Hause bleiben sollen (das Bild da oben zeigt Lord Raglan in Sewastopol, von Roger Fenton photographiert). Vor vierzig Jahren in Waterloo, da war er mit Wellington, dessen Adjutant er seit Portugal war, militärisch auf dem Höhepunkt der Zeit. Da war Fitzroy Somerset noch ein schneidiger junger Offizier aus bester Familie (sein Vater war der Herzog von Beaufort, seine Mutter die Tochter von Admiral Boscawen). Aber jetzt ist er alt und krank, sein Freund, der Herzog von Wellington ist tot, und die englische Armee ist nur noch ein Schatten der Armee, die Napoleon geschlagen hat. Es ist schon symptomatisch für den Zustand der Armee, dass sie Raglan das Oberkommando im Krimkrieg anvertraut und solche Leute wie Cardigan ein Regiment führen dürfen. Der Krimkrieg gegen die Russen (die vor vierzig Jahren noch die Verbündeten Englands waren) ist ein Desaster, Raglan scheint stellenweise die Übersicht zu verlieren und redet immer von den Franzosen, wenn er die Russen meint. Irgendwie hat er immer noch Waterloo im Kopf. Das gefällt allerdings den Franzosen, die jetzt Englands Verbündete sind, nicht so sehr. I am the very model of a modern Major-General, Wenn Sie sich jetzt durch diesen Zungenbrechertext hindurchgekämpft haben, werden Sie sicher der Meinung sein, dass sich dieser Text nicht auf Lord Raglan (oder Lord Cardigan oder Lord Lucan und wie sie alle heißen) beziehen kann. Tut er auch nicht. Dies ist eine Arie aus Gilbert und Sullivans Pirates of Penzanze. Sie sollten sie sich unbedingt auf YouTube anhören (der Song über die Elemente von Tom Lehrer wird übrigens nach der gleichen Melodie gesungen). Derjenige, der hier satirisch gefeiert wird, heißt Garnet Wolseley. Bei der Belagerung von Sewastopol ist er noch nicht Sir Garnet, noch kein Viscount und noch nicht Our Only General (Disraeli). Da ist er noch der Hauptmann Wolseley, der gerade ein Auge verloren hat. Er ist nicht adlig, er hat sich seinen Dienstgrad nicht gekauft (er wird als Oberkommandierender der englischen Armee dafür sorgen, dass diese Praxis abgeschafft wird). Im Stab des Quartermaster General wird er den Abzug der Engländer organisieren und als einer der letzten Engländer die Krim verlassen. Er hat schon gesehen, dass die Fehlplanung der Engländer (die kein Holz für den Winter und kein Futter für die Pferde gekauft hatten und die einfachsten hygienischen Vorsichtsmaßnahmen unterlassen hatten) verhängnisvoll für die Armee war. Nicht nur Lord Raglan stirbt an der Ruhr, Krankheiten dezimieren die englische Armee. Die Engländer verlieren mehr Soldaten durch Krankheiten als durch Kriegsverletzungen. Wolseley wird alles anders und besser machen, je weiter er noch oben kommt. Er wird, wie Raglan und Cardigan, auch etwas zur Mode beitragen. Er schafft die roten Röcke der Felduniform ab und ersetzt sie durch die Khakiuniform. Wobei das Jackett nach dem Norfolk Jackett geschneidert wird. Das Norfolk Jackett (der Vorläufer des Tweedjacketts) ist das, was die viktorianische upper class jetzt zum Moorhuhnschiessen oder anderen Freizeitvergnügungen in der Natur trägt. Raglanmäntel, Cardigan Strickjacken und Norfolk Jacketts, die zur Uniform werden: der Krieg ist schon der Vater aller Dinge. Ein junger russischer Adliger, der bei Sewastopol dabei ist, wird über den Krieg schreiben Sie sehen hier entsetzliche, die Seele erschütternden Bilder, sehen den Krieg in seiner wirklichen Gestalt mit Blut, Qualen und Tod. Seine Sewastopoler Erzählungen werden die Keimzelle eines der größten Bücher der Weltliteratur sein: Woina i mir. |