Thomas Lawrences Blücher

Dies hier ist der beste Teil von dem Blücher Portrait von Thomas Lawrence aus dem Jahre 1814. Das Drumherum ist ein wenig misslungen, werfen Sie mal einen Blick auf das ganze Bild. Man kann auf dieser Seite auch schön mit dem Bild spielen und alle Orden vergrößern. Aber Blücher wirkt hier, als stände er auf einer Opernbühne vor einer gemalten Kulisse. Als Schlachtenmaler ist Lawrence bisher nicht hervorgetreten, das können die Franzosen wie Jacques-Louis David und Horace Vernet besser. Das Bild ist vom Prinzregenten in Auftrag gegeben worden, zusammen mit einem Bildnis des Generals Graf Platow. Der Hetman der Don Kosaken war zwar nicht der berühmteste General der Russen im Kampf gegen Napoleon, aber er hatte den Zaren Alexander nach London begleitet, da bietet es sich an, dass er auch auf ein Portrait von Englands führendem Maler Thomas Lawrence mit draufkommt. Der Prince of Wales hat sich bei dieser Gelegenheit auch in Generalsuniform malen lassen, obgleich er keinerlei Rolle in den Napoleonischen Kriegen gespielt hat. Aber einen Kostümfimmel hatten die englischen Thronfolger ja schon immer.

König Georg III hatte seinen Sohn zum Colonel der 10. Leichten Dragoner gemacht, sein Sohn strebt nach Höherem. Aber er bekam kein Garderegiment und keinen Generalstitel. Nur einen Brief von seinem Vater: The command I have given you of the 10th Regiment of Light Dragoons, should the enemy succeed in their intentions of invading this island, will enable you at the head of your brave Corps to show the valour which has been a striking feature in the character of the House of Brunswick. Doch jetzt, wo sein Vater für regierungsunfähig erklärt worden ist, da befördert er sich selbst zum Generalfeldmarschall.

Es sind nicht nur die Generäle Blücher und Platow, die Thomas Lawrence überlebensgroß für den Kronprinzen malt, alle Sieger des Kampfes gegen Napoleon sollen jetzt auf der Leinwand verewigt werden. Man weiß noch nicht, dass Napoleon zurückkommen wird. Das wird noch ein Großauftrag, wenn nach dem Sieg von Waterloo der Regent eine eigene Waterloo Chamber einrichten wird. Das sieht dann so aus wie auf dem Bild oben. Links neben Blücher ist der Erzherzog Karl von Österreich (1819 gemalt), links daneben Papst Pius VII (1819-1820 gemalt). Und nach den ersten Bildern von 1814 und 1815 hat George den Maler sogleich geadelt. Wenn Lawrence nach Jahren mit den ersten Portraits fertig ist, wird er gleich weitergeschickt, um die Beteiligten des Wiener Kongresses zu malen. Es ist einer der außerordentlichsten Aufträge in der Geschichte der Auftragskunst, aber es gefällt Lawrence, weil er hiera way to fuse modern heroism and history findet.

Als Thomas Lawrence die Nachricht von dem königlichen Großauftrag bekommt, ist er gar nicht in London. Er ist in Paris, Beutekunst angucken. Denn eine solche Chance, das Beste der Kunst von ganz Europa an einem Ort zu sehen, hat ein Maler nicht alle Tage. Also bevor die Sieger sich ihren Teil zurückholen. Had I delayed my journey one day longer, I should have lost the view of some of the finest works of this gallery, the noblest assemblage of the efforts of human genius that was ever presented to the world, schreibt er an seine Freundin Elizabeth Croft über seine Eindrücke im Louvre. Der Papst möchte dem Kronprinzen den Apollo von Belvedere schenken und all die Statuen, welche die dem Klassizismus verfallenen Franzosen bei ihm abgeschleppt haben. Das ist weniger eine großzügige Geste gegenüber den Engländern als die Tatsache, dass er kein Geld hat, um den Rücktransport zu bezahlen. Den bezahlt ihm George jetzt, kriegt allerdings noch allerlei Marmor aus den Sammlungen des Vatikan dafür.

Der Kronprinz ist über seinen Schatten gesprungen, als er sich zum ersten Mal von Thomas Lawrence malen lässt und ihm den Auftrag mit den captains and the kings erteilt. Denn da gab es in der Vergangenheit eine dunkle Geschichte. Der notorische Fremdgeher George verdächtigte seine Frau Caroline des Ehebruchs mit einem gewissen CaptainThomas Manby. Es gibt jetzt eine Untersuchungskommission, etwas, was man so schön die delicate investigation nennt. Und da wird der Name Thomas Lawrence ständig genannt (auch der von George Canning oder Sir Sidney Smith). Denn Lawrence ist häufig in ihrer Gesellschaft (er übernachtet sogar im Montague House) – das alles hat einen simplen Grund: er malt die Prinzessin. Aber er ist charmant, sieht gut aus, Frauen lassen sich gerne von ihm porträtieren. Und er ist häufig auf dem Landsitz der Prinzessin, Gerüchte entstehen jetzt schnell. Die Kommission kann an Thomas Lawrence keinerlei unehrenhaftes Verhalten entdecken (wenn Sie den ganzen Bericht der delicate investigation lesen wollen, klicken Sie hier).

Aber wie dem auch sei, man kann in den Auftragsbüchern von Lawrence ablesen, dass nach dieser Affäre die Zahl der weiblichen Kundschaft abnimmt. Der böse Satz, dass man von Lawrence zwar seine Geliebte malen lassen könne aber nicht seine Ehefrau, taucht in schriftlicher Form erst nach Lawrences Tod auf, doch viele Gentlemen mögen so gedacht haben. Das berühmteste Bild einer Geliebten ist das der Frances Hawkins (die mit einem Mr. Maguire verheiratet ist), die einen Sohn mit Sir John James Hamilton, dem Marquess of Abercorn hat (Abbildung 13 auf dieser Seite).

Lawrence schafft in seinem Studio eine Atmosphäre der Intimität. Für viele seiner Kundinnen wird es zu einer kleinen Liebesaffaire, von von ihm gemalt zu werden. Man kann es auf den Bildern sehen. Selten zuvor strahlten weibliche Portraits soviel geballte Sexualität aus. Nicht alle mögen diesen Stil, William Makepeace Thackeray offensichtlich nicht, denn in seinem Roman Vanity Fair heißt es gehässig über die Bilder an den Wänden eines Herrenhauses: the magnificent Vandykes; the noble Reynolds pictures; the Lawrence portraits, tawdry and beautiful, and, thirty years ago, deemed as precious as works of real genius. Lawrence selbst hat nie geheiratet, er bereut das im Alter. Zwar hatte er stürmische Liebesaffairen mit den beiden Töchtern der gefeierten Schauspielerin Sarah Siddons, aber Frau und Kinder wären nichts für ihn. Er wüsste auch nicht, wie er sie ernähren sollte – wie er es hinkriegt, bei seinen Einnahmen das ganze Leben lang Schulden zu haben, wird sein Geheimnis bleiben.

Blücher, gerade zum Fürsten von Wahlstatt ernannt, ist der Liebling der Londoner. Ihren Prinzregenten hassen sie, den bewerfen sie – Feldmarschall hin oder her – mit Gemüse. Blücher tragen sie durch die Straßen. Er trägt kaum noch Uniform, in der vagen Hoffnung, dass man ihn nicht so schnell erkennt. Noch nie in seinem Leben habe er solche Angst gehabt, gesteht er Lord Burghersh. Er hat keine Angst in der Schlacht, aber hier fürchtet er, von den Menschenmengen erdrückt zu werden. Es wüthete auf Straßen und Plätzen die johnbullistische Blücher-Furiousneß, schreibt der Kulturhistoriker Johannes Scherr 1862.

Nicht nur auf Straßen und Plätzen. Die Menschenmassen folgen ihm bis ins Studio von Thomas Lawrence. Da ist es zwar häufig voll, aber so voll war es da noch nie. The mob in Russell Square rushed in in a frightful manner even the first time Blücher sat, lining the staircase and filling the gallery, and at lenghth it was scarcely possible to keep them out of the painting room except by the aid of Bow Street officers, schreibt Elizabeth Croft. Der Mob ist nicht das einzige Handicap beim Malen. Blücher schläft ständig ein. Dann erschlaffen seine markigen Gesichtszüge, die fehlenden Zähne machen sich bemerkbar. Das kann man natürlich nicht malen. Miss Croft muss ihn ständig wecken, Lawrence versucht ihn mit kleinen Geschichten bei Laune zu halten. Man ermuntert ihn dazu, seine gelbe Meerschaumpfeife zu rauchen. Solange er die raucht, kann er nicht einschlafen.

Man muss bedenken: der Mann ist zweiundsiebzig. Sein Kriegsgefährte Wellington ist dagegen ein junger Mann, der ist – genau wie Napoleon – erst 43. Und Blücher feiert beinahe jede Nacht, trinkt viel Bier und Cognac (obgleich er Gneisenau schreibt, dass er nur Bordeaux tränke). Ich werde unmenschlich fatigiert, von 3 Maler werde ich zugleich gemalen, schreibt er an seine Frau. Ich wüsste ja gerne, wer die anderen waren. Nach zeitgenössischen Berichten haben ihn aber noch viel mehr Londoner Künstler in seinen Räumen im St. James Palast skizziert, während er seine Meerschaumpfeife schmauchte und seine Korrespondenz erledigte. Das Bild oben ist von George Dawe, es ist aber viel später (1819?) für den Herzog von Wellington gemalt worden, wahrscheinlich hatte Dawe nur Lawrences Bild als Vorlage. Es ist heute im Wellington Museum in Apsley House. George Dawe wird auch noch Hofmaler. Beim Zaren Alexander, er wird ein berühmter Mann in Rußland. Puschkin wird ihm ein Gedicht widmen.

Dawe bekommt vom Zaren einen Auftrag, gegen den Lawrencescommission ein Klacks ist: er malt alle russischen Generäle, die am Kampf gegen Napoleon teilgenommen haben. 332 Portraits (zum Festpreis von tausend Rubel pro Bild), dagegen sieht die Waterloo Chamber in Windsor geradezu mickrig aus. Ich habe mir aus den 332 den General Friedrich von Löwis of Menar ausgewählt, weil der einen so schönen Namen hat. Ich war bei der Bundeswehr mit einem von Löwis of Menar zusammen. Der Spieß verzweifelte bei dem Namen und brüllte nur Löwis! Keine Antwort. Beim dritten Aufruf sagte eine Stimme: Sie können mich Herr Baron nennen! Der junge Herr Baron hatte am Wochenende keinen Ausgang und durfte den Rasen vor dem Dienstzimmer des Kompaniefeldwebels mit der Nagelschere schneiden.

In Oxford hat man Blücher zum doctor juris gemacht, was er in seiner ihm üblichen Art kommentierte: Na, Gott straf mir! Soll ich Doktor werden, so müssen sie den Gneisenau wenigstens zu meinem Apotheker machen; denn wir zwei gehören nun einmal zusammen. Beim Festbankett im Christ Church College hat er sich natürlich wieder besoffen (strong beer and cognac) und war unfähig, den auf ihn ausgebrachten Toast zu erwidern. Was dann der Prinzregent (in der scharlachroten Robe eines Doktors der Rechte der Universität Oxford) für ihn übernahm, manchmal kann der ja auch charmant sein.

Lawrence kriegt das Portrait in vier Sitzungen hin. Und natürlich sind alle Orden korrekt, das muss auf solchen Bildern sein. Das brillantenbesetzte Miniaturbildnis über der roten Schärpe, das ihm der Prinzregent gerade verliehen hat, wird prononciert in die Bildmitte gerückt. Also, hier ist es noch heil, Varnhagen weiß zu berichten, dass es ihm an der Brust von der Menge zerdrückt worden sei. Blücher trägt natürlich das preußische Eiserne Kreuz, das Großkreuz des russischen Georgsorden (das Kutusow und Wellington auch haben) und den Maria Theresia Orden. Der preußische Schwarze Adlerorden wird ein wenig von der Schärpe verdeckt, den hat er selbstverständlich auch. Er hat natürlich keinen Blücherorden. Den hat die DDR in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts erfunden. Für die NVA Soldaten, die in einem Krieg als erste den Rhein erreichen. Haben sie nie geschafft, der Orden wurde auch nie verliehen.

Lawrence soll mit dem Porträt sehr zufrieden gewesen sein, ihm gefiel auch die Gesamtkomposition und der Hintergrund. Mir nicht so sehr. Ob es Blücher gefallen hat, wissen wir nicht. Lawrence hat den Hintergrund wahrscheinlich nicht gemalt. Dafür hat er seine Assistenten. Einen Bildhintergrund malen wie Reynolds und Gainsborough kann Lawrence auch nicht. Nach seinem Tode finden sich in seinem Studio noch 150 Gemälde, die nie fertig gestellt wurden (sie werden aber, von anderen Händen zu Ende gemalt, noch Käufer finden). Immer nur der Kopf des Portraitierten, darin ist Lawrence gut. Ansonsten bestenfalls noch die Hände, den Rest macht das Studio. Manche seiner Assistenten werden noch berühmt, William Etty zum Beispiel. Pferde malt er kaum, kann er auch nicht. Aber für das Bild des Herzogs von Wellington malt er dessen Pferd Copenhagen doch. Und den Herzog in der gleichen Kleidung, die er bei Waterloo getragen hat. Ich habe hier ja schon mehrfach darauf hingewiesen, dass alle Darstellungen von Wellington bei Waterloo in roter Generalsuniform eine Erfindung der Maler sind. Hier können wir Wellington in den Originalklamotten sehen.

Lawrence ist der Oberflächlichkeit geziehen worden, sein Konkurrent Robert Northcote sagte über ihn: a man-milliner sort of painter, a meteor of fashion. Aber er sollte vorsichtig sein, er macht letztlich nichts anderes als Lawrence. Wie man auf seinem Portrait von Isambard Kingdom Brunel sehen kann, ist auch nichts anderes als elegant gemalte als Herrenmode. Selten zuvor ging es in der Malerei so sehr um Mode wie in der Malerei der Regency Zeit. Alles wird Inszenierung. Lord Byron als einsam verzweifelter romantischer Dichter, Beau Brummell als schon beinahe asketischer Dandy. Warum hat der sich nicht von Lawrence, dem visual stage-manager of Regency society malen lassen? Wahrscheinlich mal wieder kein Geld. Und braucht ein Dandy sein Portrait? Nein, sagt Baudelaire, der Dandy schläft vor dem Spiegel.

In der Londoner National Portrait Gallery ist gerade die Thomas Lawrence Ausstellung Thomas Lawrence: Regency Power & Brilliance zu Ende gegangen. Der Katalog ist groß, bunt, teuer und ein klein wenig oberflächlich. Wie Thomas Lawrence.

Regency

Heute vor zweihundert Jahren ist der Prince of Wales durch denRegency Act zum Prinzregenten ernannt worden. Die Gesundheit seines Vaters George III hatte sich nach dem Tod seiner jüngsten Tochter Amelia rapide verschlechtert, nun erklärt man ihn für regierungsunfähig. 1788 hatte man schon einmal ein Gesetz erlassen, dass den Prince of Wales berechtigen sollte, England zu regieren, aber bevor es in Kraft treten konnte, hatte sich der König erholt. Von dieser Episode handelt Alan Bennetts Theaterstück The Madness of George III, aus dem auch ein erfolgreicher Film wurde. Für den Film wurde aus dem George III des Theaterstücks ein einfaches George, man fürchtete, dass simple Amerikaner sich nach The Madness of King George I undII erkundigen könnten.

Die neun Jahre bis zum Tod des Königs George bezeichnet man im Englischen als Regency, aber der Begriff bedeutet noch mehr. Er ist, vor allem kunstgeschichtlich, ein umbrella termfür eine Epoche, die zwischen demGeorgian und dem Victorian Age liegt. Grob gesagt zwischen der Französischen Revolution und der Krönung von Victoria. Es ist eine der interessantesten Epochen Englands. Was können wir nicht alles unter diesem Schirm unterbringen! Die napoleonischen Kriege, der Triumph der Royal Navy, Vorromantik und Romantik, die zweite Phase der englischen Portraitkunst mit Lawrence, Raeburn und Hoppner, die englische Landschaftsmalerei, Regency Möbel, die Industrial Revolution et cetera. Die Romane von Jane Austen, die diese Welt so schön beschreiben, wollen wir auf keinen Fall vergessen. Und dieRegent Street, deren Bau während der Regency begonnen wird, natürlich auch nicht. Und auch die Dandies müssen wir erwähnen, denn kaum jemand ist eine solche Symbolfigur für das Age of Elegance(wie der Historiker Arthur Bryant seinen Band über diese Zeit genannt hat) wie der Dandy. Ich betone das jetzt mal, damit die Leser, die aus den Dandy Blogs zu mir gewandert sind, sich mal wieder ein wenig zu Hause fühlen.

Ich kann hier nicht, von gestern auf heute, eine Sozialgeschichte dieser Zeit schreiben. Aber da ich mich dort genügend auskenne, erlaube ich mir mal, Ihnen eine kleine Leseliste an die Hand zu geben, damit Sie sich zu Fachleuten für die Regency Epoche machen können. Also mal abgesehen von den Romanen von Jane Austen. Obgleich man die unbedingt lesen sollte. Jane Austen hat übrigens hier im Netz einen sehr schönen Blog. Man kann natürlich auch Georgette Heyer lesen, eine Art Jane Austen für Arme, ist aber noch immer oberhalb von Barbara Cartland. Man kann auch den englischen Wikipedia Artikellesen, der ist gar nicht schlecht, allerdings kommen meine Lesetipps nicht in der Literaturliste dort vor. Das beruhigt mich sehr.

Ich lasse den George Augustus Frederick, der heute vor 200 Jahren Prinzregent wurde, mal draußen vor. Das Bild von John Hoppner, gemalt als er noch jung und schön war, mag genügen. Wir haben ihn ja gestern schon kennengelernt, und er tauchte indiesem Blog schon einmal auf. Nicht dass dies das letzte Wort wäre, das letzte Wort zu ihm ist Christopher Hibberts 850-seitige Biographie (bei Amazon Marketplace ab 1,12€). Ich weiß nicht, warum Hibbert ihn mag, es ist eine erstaunliche Leistung, so nett über solch ein Ekelpaket zu schreiben. Hibberts 465-seitige Biographie über George III wirkt dagegen eher blässlich. Und auch wenn ich den fetten George nicht ausstehen kann, Hibberts Buch ist natürlich Pflichtlektüre.

London verändert sich in dieser Zeit. Nicht nur die Regent Street wird gebaut, das Herz von London wird komplett umgebaut. Dies ist auch eine Sternstunde der englischen Architektur – nicht nur in London, auch in Bath oder Brighton. Für die Veränderungen der Hauptstadt, architektonisch und sozial, kann es nur eine Buchempfehlung geben. Und das ist der fette KatalogMetropole London: Macht und Glanz einer Weltstadt 1800-1840. Das war eine Ausstellung der Kulturstiftung Ruhr 1992 in der Villa Hügel. Erschienen in Recklinghausen bei Aurel Bongers, 624 Seiten und durchgehend farbig illustriert. Noch vier Exemplare bei Amazon Marketplace, aber über 50 beim ZVAB. Zum Teil lächerlich billig. Es gibt nichts Schöneres und Besseres zu allen Aspekten des Regency London! Auch die vornehmen Londoner Clubs – und natürlich die Dandies – kommen in diesem Buch nicht zu kurz.

Ich wünschte mir, dass mein Lieblingshistoriker Christopher Hibbert eine Sozialgeschichte der Regency Epoche geschrieben hätte. Hat er leider nicht, aber er hat nette Dinge über An Elegant Madness: High Society in Regency England gesagt (A delightful book, well researched and highly entertaining). Obgleich ich das Buch der Journalistin Venetia Murray aus dem Jahre 1999 nicht soo toll finde. Ist aber besser als nix. Das lesenswerteste Werk eines Historikers zur Regency Epoche bleibt immer noch ein Buch, das schon sechzig Jahre alt ist, Arthur Bryants The Age of Elegance: 1812-1822The most brilliant book that Mr Bryant has given us. It is wonderfully written, it carries us forward breathlessly, urteilte der Historiker A.L. Rowse damals. Man kann das nach sechzig Jahren nur unterschreiben. So fesselnd Bryant das alles beschreibt, er ist nicht geblendet vom Glanz der Epoche. Er sieht durchaus (beginnend mit Kapitel IX: The other side of success) die Schattenseiten: die Auswirkungen der Industrialiserung, die Ausbeutung der Arbeiter, das Peterloo Massacre, die Kriminalität. Also das, was zum Beispiel William Blake in seinem GedichtLondon thematisiert hat.

Am Vorabend der Schlacht von Waterloo tanzt man in Brüssel auf dem Ball der Herzogin von Richmond (there never was such a ball!) Thackeray hat das in Vanity Fair beschrieben. Nach der Schlacht wird  die englische High Society weiter tanzen. Aber es ist, täuschen wir uns nicht, ein Tanz auf dem Vulkan. Die Welt sieht nicht ganz so aus, wie Georgette Heyer es uns glauben machen will.

Wenn wir aber noch einen Augenblick bei der High Society verweilen wollen, müssen wir noch auf zwei Sittenbilder aus der Feder zweier prominenter Dandies kommen. Das erste sind die Reminiscences of Captain Gronow, formerly of the Grenadier Guards and M.P. for Stafford, being Anecdotes of the Camp, the Court, and the Clubs, at the close of the last War with France, related by himself, denen noch drei weitere Bände folgen sollten. Es gibt kaum einen anderen Dandy, dessen Lebenserinnerungen von Historikern so ausgebeutet worden sind, und die Lektüre dieser charmanten Plaudertasche Rees Howell Gronow lohnt sich unbedingt. Auch wenn vielleicht nur die Hälfte wahr ist.

Der zweite Literaturtipp sind die Briefe eines Verstorbenen des Fürsten Pückler, die in vier Bänden (in etwas seltsamer Reihenfolge) in Stuttgart bei Franck und Hallberger 1830–1831 erschienen sind. 1.008 Seiten in der Ausgabe von Heinz Ohff (der auch mit Der grüne Fürst: Das abenteuerliche Leben des Hermann Pückler-Muskau eine schöne Pückler Biographie geschrieben hat), aber was ist das für eine Lektüre! Pückler erfindet mit seinen Reisebriefen aus England für die deutsche Literatur eine neue Form, die nie wieder übertroffen wurde. Unser deutscher Dandy, der in einem Café in Unter den Linden mit einer von vier Hirschen gezogenen Kutsche vorfuhr, nicht ausstieg, sondern ein Buch las (was für eine Inszenierung!), ist nicht nur ein Dandy und ein Landschaftsgartenarchitekt, er kann auch schreiben.

So, das wäre es für heute. Sie können jetzt anfangen, beim ZVAB und bei Amazon Marketplace Bücher zu bestellen. Und für die Dandy Fans: ich mache demnächst mit Beau Brummell weiter

Banastre Tarleton



O Muse! Sir Joshua’s master-hand
Shall first our lyric Laud command
Lo! TARLETON dragging on his boot so tight!
His Horses feel a godlike rage,
And yearn with Yankies to engage–
I think I hear them snorting for the fight!


Behold with fire each eyeball glowing!
I wish, indeed, their manes so flowing
Were more like hair: — the brutes had been as good,
If, flaming with such classic force,
They had resembled less that horse
Call’d Trojan — and by Greeks compos’d of wood.

Diese unsterbliche Ode wurde von einem gewissen Peter Pindar (a distant Relation to the Poet of Thebes) 1782 geschrieben. Das satirische Gedicht macht natürlich nur Sinn, wenn wir Joshua Reynolds Portrait von dem Oberstleutnant Banastre Tarleton kennen. Es hat heute im Katalog der National Gallery den Titel General Sir Banastre Tarleton, aber im Jahre 1782 ist Banastre Tarleton weder General noch Baronet.

Das monumentale Bild (236 x 145 cm) hat Sir Joshua Reynolds von dem Dandy und Lebemann gemalt, der im Krieg gegen die Amerikaner ein englischer Held war. Er war 1781 in Yorktown mit der ganzen Armee von Lord Cornwallis gefangen genommen worden, auf Ehrenwort freigelassen worden und am Jahresanfang 1782 nach London zurückgekommen. Obgleich es Stimmen in Amerika gab, die ihn lieber am Galgen gesehen hätten. Er ist kaum in London, da sitzt er schon bei Reynolds im Studio, zweimal im Januar, sechsmal im Februar und noch einmal im April. Da ist das Bild dann fertig, kostet 250 Guineas (in vornehmen Kreisen sind die Rechnungen in Guineas, nicht in Pfund Sterling). Bei einer der Sitzungen soll Tarleton auch sein in der Ode von Peter Pindar besungenes Pferd mitgebracht haben. Reynold stellt das Bild als Portrait of an Officer in der Sommerausstellung der Royal Academy aus. Wer damals in London etwas auf sich hält, will sich auf der Summer Exhibition (die es seit 1769 bis zum heutigen Tag gibt) in Öl gemalt sehen. Im Jahr darauf wird das Bild noch in einer Ausstellung in Liverpool gezeigt, der Heimatstadt Tarletons.

Die Haltung des Offiziers, der an seiner Reithose nestelt, geht natürlich auf eine Hermesstatue zurück, das sagt einem heute jeder Kunsthistoriker. Die englischen Gentlemen sammeln jetzt antike Statuen. Ich hätte hier ja lieber das Bild von Richard Cosway gehabt, das den Sammlern Charles Townley zeigt, aber ich begnüge mich mal mit dem Bild von Zoffany (links), das auch Charles Townley inmitten seiner Sammlung zeigt. Joshua Reynolds hält die Hermesstatue, die Lord Shelburne (der spätere Marquis von Lansdowne) gerade erworben hat, für eine Darstellung des Cincinnatus. Das würde als Vorlage für einen Offizier ja auch Sinn machen, Hermes, der Gott der Kaufleute und der Diebe nicht so sehr. Es sind nicht nur Männer wie Townley und Shelburne, der jetzt antike Statuen sammeln, auch Sir Joashua wird von dem Sammelfieber angesteckt und erwirbt Berninis Neptun mit Triton für 500 Pfund. Der Händler, der ihm das verkauft, heißt Thomas Jenkins. Er ist selbst Maler gewesen und mit dem Maler Richard Wilson nach Rom gekommen, jetzt verkauft er alles, was ihm in die Finger kommt an die englischen Bildungstouristen, die auf ihrer Grand Tour Italien besuchen. Wir haben damals nur Winckelmann, der nie in Griechenland war, der uns die sogenannte klassische Kultur verkauft,words, words, words. Und was haben wir davon? Großes Latinum auf dem Gymnasium. Die Engländer sind da sehr viel praktischer, die schleppen jetzt dank der Vermittlungstätigkeit von Thomas Jenkins und Gavin Hamilton den ganzen Marmor aus Italien ab. Banastre Tarleton hat keine Grand Tour Bildungsreise gemacht wie so viele junge Gentlemen in dieser Zeit. Er ist der Sohn eines Liverpooler Kaufmanns, der sein Geld im Sklavenhandel verdient hat. Er hat keinerlei kulturelle Interessen, das Examen in Oxford schafft er nicht, seine Erbschaft verjubelt er in einem Jahr am Spieltisch, da bleibt dann nur die Armee. Er kauft sich mit dem Geld von seiner Mutter für 800 Pfund eine commission als Kornett in den königlichen Dragonern.

Hermes, Ny Carlsberg Glyptotek von h_savill

Wenn Reynolds bei seinem Bild diese Körperdrehung von Lord Shelburnes Hermes Statue übernimmt (von der damals auch eine Replik in der Royal Academy stand), macht er noch etwas anderes: er verbirgt eine Hand von Tarleton. So können wir nicht sehen, dass ihm an der rechten Hand seit der Schlacht von Guildford Court House zwei Finger fehlen. Dennoch bleibt dies Bild ein Rätsel. Wäre Tarleton ein wirklicher Kriegsheld und wäre er ein Adliger oder wenigsten ein Gentleman, dann würde ein solch heroisches Porträt eines beau sabreur in der Pose eines Cincinnatus ja noch irgendeinen Sinn machen. Aber ein solcher Aufwand für einen Mann mit zweifelhafter Reputation? Tarleton hat sich im gleichen Jahr auch noch von Reynolds Konkurrenten Gainsborough malen lassen (wir sind ja gar nicht eitel), sogar auf einem Pferd, allerdings ist dieses Bild leider nicht erhalten. Wahrscheinlich hat Reynolds mit dem Bild alle Register gezogen (einschließlich der rollenden Augen des Pferdes), weil er Gainsborough übertrumpfen wollte. Die zeitgenössischen Kritiker gaben Reynolds Bild den Vorzug vor dem Bild von Gainsborough. An dem wurde kritisiert, dass hier die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit von Tarleton durchscheine.

Reynolds und Gainsborough sind zu der Zeit in einer Art malerischem Machtkampf, beide werden in diesem Jahr neben dem Bild Tarletons Portraits der Tänzerin Baccelli und der Schauspielerin Mary Darby Robinson malen. Das mit Mrs Robinson ist nun ein wenig pikant (das ist es mit den Mrs Robinsons wohl immer, wenn wir an The Graduate und Simon und Garfunkel denken), denn die ist die Geliebte von Banastre Tarleyton. War vorher die Geliebte des Prinzen von Wales. Und schreibt eines Tages eine Ode auf Banastre Tarleton, die so schreiend komisch ist, dass ich sie am liebsten hier abdrucken möchte. Da sie aber furchtbar lang ist, steht hier anstelle der Ode to Valour nur ein Link. Diese Ode hat sie natürlich geschrieben, bevor er sie schnöde verlassen hat.

Wir haben im Jahre 1782 nicht nur Bilder von Tarleton und seiner Geliebten von Reynolds und von Gainsborough, sondern auch noch eine schöne Karikatur von James Gillray, die Tarleton, Mrs Robinson und den Prinzen auf einem Bild vereint.

Die ist nun wirklich richtig schön bösartig, Tarleton in heldenhafter Pose und der Prinz von Wales (ohne Kopf, den braucht er eh nicht) beim Verlassen eines Bordells, das den Namen The Whirligig hat. Nun ist ein whirligig ein Windrädchen, und so dreht sich Mrs Robinson hier auch (wir wollen gar nicht darüber reden, wo die Achse des Windrades ist) über der Tür zwischen ihren beiden Liebhabern hin und her. Aber in dieser Zeit ist ein whirligig bei der Armee noch etwas anderes, es ist ein Strafinstrument. Es ist ein runder, drehbarer Käfig, den man dank einer Übersetzung sehr schnell drehen kann, bis den Eingesperrten schlecht wird. Die Army benutzt sowas zur Bestrafung von Prostituierten. Die Engländer kommen auf seltsame Dinge. Der Dialog, der aus den Mündern quillt (ja, auch die Sprechblasen des Cartoon sind schon erfunden), ist aus dem Stück Every Man in his Humour von Ben Jonson. Das hat David Garrick (der auch mehrfach von Reynolds gemalt wurde) jetzt wieder auf der Bühne populär gemacht. Es gibt darin eine Figur namens Captain Bobadil, einen Prahlhans und Lügner, diese typische Figur des miles gloriosus. Die darf jetzt passenderweise Banastre Tarleton spielen und darf so reden, wie er wahrscheinlich in den Londoner Clubs geredet hat: They have assaulted me some Three, Four, Five, Six of them together, & I have driven them afore me like a Flock of Sheep; — but this is nothing, for often in a mere frolic. I have challeng’d Twenty of them, kill’d them; — challeng’d Twenty more, kill’d them; — Twenty more, kill’d them too; — & thus in a day have I kill’d Twenty Score: twenty score, that’s two hundred; two hundred a day, five days a thousand; thats — a — zounds, I can’t number them half; & all civilly & fairly with this one poor Toledo! Dies ist der Text auf Gillrays Karikatur, der O-Ton Tarleton kann nicht weit davon entfernt sein. So sagte Horace Walpole im Gespräch zu dem Dramatiker Sheridan: Tarleton boasts of having butchered more men and lain with more women than anybody else in the army. Worauf Sheridan antwortet: Lain with! What a weak expression! He should have said ravished. Rapes are the relaxation of murderers.

Und vielleicht sollte man an dieser Stelle noch einige Tatsachen zum Verhältnis von Tarleton zu den Frauen anfügen, zum Beispiel dass Tarleton in der langen Beziehung mit Mrs Robinson von ihrem Geld lebt, immerhin bezahlt ihr der Prince von Wales eine jährliche Rente. Er hat auch nichts dagegen, wenn sie sich noch etwas dazu verdient. In St. Pauli würde man ihn einen Loddel nennen. Tarleton hat übrigens Mary Robinson durch eine Wette ‚gewonnen‘, er hatte mit Lord Malden (dem späteren Earl of Essex) um tausend Pfund gewettet, dass es ihm gelingen würde, Mary Robinson zu verführen. Tarleton verlässt Perdita (wie sie manchmal nach der Shakespeareheldin heißt, durch die sie berühmt wurde) als seine Mutter gestorben ist. Da merkt er, dass aus Liverpool kein Geld mehr kommen wird und dass ihm das Einkommen von Mary Robinson zu klein ist. Er heiratet die vierundzwanzig Jahre jüngere Susan Priscilla Bertie, illegitimes Kind eines Herzogs. Hat aber eine Mitgift, die in die zigtausend Pfund geht.

Mary Darby Robinson ist eine tragische Figur, sie hat ihr bisschen Reputation (die im 18. Jahrhundert bei Schauspielerinnen nicht sehr groß ist) verloren, als sie die Geliebte des Thronfolgers wurde. Nun wird sie weitergereicht, erst an Lord Malden, dann an Tarleton. Und als es ihr wirklich schlecht geht und ihre Beine gelähmt sind, da verlässt sie der Kriegsheld wegen eines jungen Dings. Die ihm aber mit dem Geld und als testamentarisch nachträglich anerkannte Tochter eines Herzogs den Weg in die Gesellschaft öffnet. Mary Robinson schreibt sich jetzt in zwei Schlüsselromanen The False Friend und The Natural Daughter ihren Hass von der Seele. Keine große Literatur, aber nicht so recht förderlich für das bisschen Reputation, das Tarleton in London noch hat. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass der Prince von Wales (über den ich ja sonst nichts Nettes sage) sie immerhin regelmäßig in ihrer Londoner Wohnung besucht, wenn sie gelähmt auf der Chaiselongue liegt. Nach ihrem Tod (sie stirbt im Jahre 1800 gerade mal zweiundvierzig Jahre alt) wird ihre Tochter von ihm noch eine lebenslange Rente bekommen.

Also mal abgesehen von dem heroischen swagger portrait, das Tarleton beim Präsidenten der Royal Academy in Auftrag gibt und der dann den kleinen stämmigen Tarleton als idealisierten jungen Helden mit effeminierten Gesichtszügen malt, scheint Tarleton in London eine schlechte Presse zu haben. Sein Ruf in Amerika ist katastrophal, da heißt er Bloody Ban und auch der Beiname Butcher, den der Herzog von Cumberland bisher hatte, wird ihm verliehen. Er würde heute wahrscheinlich keinen Kriegsverbrecherprozess ungeschoren überstehen. Verlassen wir also einmal das London des Jahres 1782 und gehen in das Amerika des Revolutionskrieges.

Oatmeal for the Foxhounds

Ja, wenn man noch nebenbei auf Fuchsjagd ist, dann muss man natürlich auch Futter für die Hundemeute haben. Dass englische Dandies auf Feldzügen nebenbei auf die Fuchsjagd gehen, ist nichts Aussergewöhnliches, da hat der Herzog von Wellington auch eine Vielzahl von jungen Gentlemen mit ähnlichen Neigungen in seiner Armee. Er weiß nie so recht, ob er über die jungen Gentlemen weinen oder lachen soll. Interessant ist die Unterschrift: Tarleton ist jetzt Oberstleutnant (Lieutenant Colonel) der British Legion, dafür stehen die Buchstaben BL. Er ist jetzt offiziell nicht in der englischen Army (da hat er nur den Dienstgrad eines Captains), er trägt auch nicht mehr den roten Rock, er kommandiert jetzt ein Regiment von Loyalisten. Seine eigene kleine Armee, auch bekannt als Tarleton’s Raiders(wohlgemerkt Raiders nicht Riders).

Tarleton hatte sich freiwillig für den amerikanischen Feldzug gemeldet, wohl weniger aus patriotischen Gründen als eher, um seinen Gläubigern zu entkommen. Jetzt kommandiert er die Kavallerie von Lord Charles Cornwallis (oben auf dem Bild, das von John Singleton Copley gemalt wurde), allerdings muss man anmerken, dass keiner der älteren englischen Offiziere den Dandy aus Liverpool ausstehen kann. Doch Cornwallis ist damit ganz zufrieden, dass er einen jungen Bataillonskommandeur hat (denn mehr als ein Bataillon ist die American Legion nicht), der zwar nichts im Kopf hat, aber gut auf dem Pferd sitzt und mit dem Säbel in der Hand ständig angreift. Auch wenn er sich nicht an die Spielregeln des Krieges hält und die Amerikaner, die sich schon ergeben haben, niedermetzelt. Tarleton’s quarter wird ein neuer Begriff des Krieges, ein amerikanischer Feldscher beschreibt das Gemetzel von Waxham Creek als indiscriminate carnage never surpassed by the most ruthless atrocities of the most barbarous savages. Tarleton verbreitet Angst und Schrecken im amerikanischen Süden, wohin sich jetzt der Krieg verlagert hat. Er ist auch in zahlreichen Gefechten erfolgreich, aber lange geht das nicht gut. Francis Marion, den die Amerikaner den swamp fox nennen, wird zur Nemesis von Tarleton. Und der General Daniel Morgan vernichtet bei Cowpens beinahe die ganze Truppe von Tarleton (über dieses Ereignis schreibe ich mit großer Süffisanz ein anderes Mal, das wird sonst heute zu lang). Das spricht sich natürlich auch nach London herum, die ganze Presse stürzt sich auf Tarleton. Er wird (wohl mit Hilfe von Ghostwritern aus der Grub Street und mit der Hilfe von Mary Robinson) seine Version des Krieges im amerikanischen Süden schreiben,Campaigns of 1780 and 1781 in the Southern Provinces of North America. Diese militärischen Erinnerungen zeigen uns, was er für ein toller Hecht ist und wie unfähig Lord Cornwallis ist (dabei war der noch der fähigste aller Generäle, die London nach Amerika schickt). Für die Presse ist dieser gedruckte Unsinn natürlich wieder ein Festessen.

Tarleton, der heute Geburtstag hat, geht in die Politik und kämpft für die Weiterführung des Sklavenhandels (seine Brüder sind in Liverpool weiterhin im Sklavenhandel tätig). Er wird auch aus unerklärlichen Gründen immer weiter befördert (so wie er am Anfang seiner Militärlaufbahn immer nur durch Protektion befördert wurde): Generalmajor 1794, Generalleutnant 1801 und General im Jahre 1812. Da bildet er sich ein, dass er das Kommando über die englische Armee auf der iberischen Halbinsel bekommen würde. Aber das geben die Engländer dann doch lieber Wellington.

Das Portrait von Reynolds verkauft die Familie 1820, es wird 1875 von einem Familienmitglied (Admiral Sir John Tarleton) zurückgekauft und 1951 von Henrietta Tarleton der National Gallery geschenkt. Zur gleichen Zeit wie das Bild von Banastre Tarleton entsteht das Bild von Captain George Coussmaker, für den lässt sich Reynolds viel mehr Zeit, siebzehn mal muss Coussmaker ihm Modell stehen (sein Pferd zweimal, morgens um neun). Es ist das Portrait eines Gentleman in entspannter Pose, hat nichts von dem gothic horror im Auge des Pferdes, nichts von der lächerlichen Hintergrundgestaltung auf Tarletons Portrait. Die sieht ja aus, als hätte man ihn vor alle Dekorationen gestellt, die man im Theaterfundus finden konnte (wahrscheinlich wurde der Hintergrund von einem der Assistenten aus dem Studio gemalt). Vielleicht ist der ganze malerische Theaterdonner auch ein ironischer Kommentar von Reynolds auf den Bramarbas Tarleton. Das Bild von Coussmaker dagegen wirkt, als wollte Reynolds den Stil von Gainsborough imitieren – und wahrscheinlich wollte er das auch, um Gainsborough mal zu zeigen, was er alles kann. Er hätte ihn natürlich auch so malen können, wie das eines Tages Tarletons Gattin Susan Priscilla tut, als Chevalier aus dem 17. Jahrhundert. Damit übertrifft Susan Priscilla Tarleton Reynolds Bühneninszenierung noch erheblich.

Es gibt zu Banastre Tarleton eine einzige seriöse Biographie, The Green Dragoon: The Life of Banastre Tarleton and Mary Robinson (2003), von Robert D. Bass. Im Internet findet sich eine Website, die sehr materialreich ist. Sie ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen, da ihr einziger Zweck ist, den Befürworter des Sklavenhandels von allen Vorwürfen reinzuwaschen. Ich finde es aber schön, dass der Nachruhm von  Mary Darby Robinson größer ist, als der von Banastre Traleton. Inzwischen erkennt man sie auch als Schriftstellerin an. Und da hätte ich dann noch zwei materialreiche Websites für Sie, einmal etwas von der Ohio State University und dann eine wirklich vorzügliche Textsammlung von Mary Mark Ockerbloom.

Der Bösewicht in dem Film The Patriot von Roland Emmerich ist eine Figur namens Tavington, die natürlich Tarleton sein soll. Mel Gibson ist dann Francis Marion the swamp fox. Ich erwähne das nur der Vollständigkeit halber. Nicht weil ich glaube, dass Roland Emmerich, der nur filmischen Schrott gedreht hat, uns eine seriöse Geschichtslektion erteilt.

Die vier Flaggen (oben die vom dritten Virginia Detachment), die der Oberstleutnant Tarleton den Amerikanern abgenommen hat, sind 2006 bei Sotheby’s für 17.3 Millionen Dollar verkauft worden. Das ist mehr als damals der ganze Revolutionskrieg gekostet hat.

Scotland forever

Der da in der Mitte, Nummer 21 mit der weißen Badehose, erkennen Sie ihn? Schottischer Bodybuilding Meister, dritter Platz bei Mr. Universum. Spielt in seiner Jugend Fußball für den Bonnyrigg Rose FC. Hat eine Tätowierung Scotland Forever auf dem Arm, seit er bei der Navy war. War Milchmann, Bademeister und Sargpolierer. Wurde dann Filmschauspieler, dreht irgendwann sogar seinen Hollywoodfilm (Darby O’Gill and the Little People), in dem darf er auch singen (es ist übrigens dieser Film, man glaubt es kaum, in dem die beiden Produzenten von Dr. No ihren Leinwandhelden gefunden haben). Danach steigt der Schotte schon beinahe zum Charakterdarsteller auf.

Er spielt einen charmanten, aber intelligenzmäßig etwas unterbelichteten Zigeuner in der Kriegskomödie On the Fiddle. Wenn das jetzt so weitergeht mit den Nebenrollen in B Pictures, dann wird nie etwas aus ihm. Das ist ihm selbst klar, vielleicht hätte er doch das Angebot von Matt Busby von ManU annehmen sollen und Profifußballer werden sollen. Aber dann hat er eine kleine Rolle (Private Flanagan) in The Longest Day, diesem Invasionsepos, in dem jeder mitspielt, der damals im Filmgeschäft ist. Sogar solche, die gar keine Schauspieler sind, wie Vicco von Bülow, den wir als Loriot kennen.

Danach mutiert er vom schottischen working class hero zum englischen Gentleman und spielt einen Marineoffizier im Geheimdienst ihrer Majestät mit dem Namen James Bond. Da muss der Regisseur Terence Young gewaltig arbeiten, um diesen Sean Connery zu seinem zweiten Ich zu machen. Terence Young hat all das, was der James Bond der Romane von Ian Fleming hat und was der schottische Bodybuilder nicht hat: Public School, Cambridge, Offizier in einem Garderegiment. Er wäre Flemings idealer James Bond gewesen, jetzt macht er Sean Connery zu Terence Young. Lois Maxwell (die wir als Miss Moneypenny kennen) hat einmal gesagt Terence took Sean under his wing. He took him to dinner, showed him how to walk, how to talk, even how to eat. Und er nimmt ihn zu seinem Schneider mit.

Der heißt Anthony Sinclair und sitzt in der Conduit Street und schneidert diese Sorte Anzug, die seit den dreißiger Jahren bei englischen Gardeoffizieren beliebt ist. Dieser drape look der Brustpartie, den der berühmte Schneider Frederick Scholte erfunden hat, eine zivile Version der Uniform. Betonte Taille (etwas höher als die natürliche Taille) und zwei Seitenschlitze, das Jackett etwas länger als gewöhnlich, der dandyhafte Neo-Edwardian Look wirkt hier noch nach. Und enge Hosen. Connerys Anzüge in den James Bond Filmen sind kleine sartoriale Kunstwerke. Es sind Zweiknopf Einreiher, die sind jetzt modern.

John F. Kennedy (zu dessen Lieblingslektüre die Romane von Fleming gehören), der seine Karriere seinen Anzügen verdankt und der eigentlich ein Parallelprodukt zu James Bond ist, trägt das jetzt auch. Man kann diesen Conduit Cut heute noch tragen, und die Savile Row bevorzugt diesen Schnitt in den letzten Jahren ja auch wieder. Sean Connery hatte vorher nie Anzüge getragen, er muss das jetzt erst lernen. Terence Young zwingt ihn, von morgens bis abends die Anzüge zu tragen, bis er sich darin wie zu Hause fühlt. John F. Kennedys Svengali heißt nicht Terence Young sondern Jackie Bouvier. Sie macht aus dem unordentlichen Millionär im Ivy League Freizeitstil das neue coole Produkt JFK. JFK und James Bond repräsentieren die neue Eleganz des Kalten Kriegs.


Dr. No vermittelt uns – wie alle anderen Bond Filme –  den Eindruck, dass nur englische Geheimagenten die Welt retten können. Das ist natürlich im Jahre 1962 nicht so ganz wahr,  England und der englische Geheimdienst haben international keinerlei Bedeutung mehr. Aber die Schneiderkunst der Savile Row (und der umliegenden Straßen wie Conduit Street oder Cork Street), die gibt es noch, und sie wird jetzt weltweit propagiert. Im Kampf um die Weltherrschaft siegen jetzt nicht Dr. No, Ernst Stavro Blofeld oder Auric Goldfinger. Im Kampf um die Weltherrschaft siegt jetzt die Savile Row. Cool Britannia, noch bevor dieser Spruch erfunden worden ist. The English language and the English suit have spread throughout the world and of the two the suit has probably made the deeper impression, hat Elsie Burch Donald in ihrem London Shopping Guide 1975 gesagt. Sie darf das sagen, weil sie aus dem tiefen amerikanischen Süden kommt. Savile Row versteht man überall auf der Welt. Auch in Japan. Da heißt der Anzug sabiro.

Der amerikanische Geheimdienst, dargestellt durch Felix Leiter, hat natürlich nichts von der Eleganz des englischen Gentleman.

Felix Leiter 1962-2008
ein Mann mit vielen Gesichtern

Wenn es hoch kommt, ist sein Anzug von Brooks Brothers, aber alles was er trägt, sieht scheußlich aus. Noch scheußlicher ist natürlich das, was die Bösewichte tragen. Wenn die nicht von Bond beseitigt würden, dann hätte sie die clothes policejederzeit festnehmen müssen. Die tragen ja immer eine Art Mao Jäckchen, was scheinbar in der Welt der Bösewichte de rigeur ist. Oder wenn sie wie ein englischer Gentleman aussehen wollen, gelingt ihnen nur die Karikatur davon. Wie Gert Fröbe in Goldfinger. Sein größtes Verbrechen ist nicht der Angriff auf Fort Knox, sein größtes Verbrechen ist das dinner jacket aus braunem Lurex mit goldenem Schalkragen. Einzig Adolfo Celi in Thunderball ist gut gekleidet, aber er ist gezeichnet (wie ein gothic villain) durch diese schwarze Augenklappe, das macht ihn verdächtig.

Die ersten James Bond Filme von Sean Connery sind ganz klar Werbefilme für die englische Herrenmode, auf jeden Fall solange Terence Young Regie führt und Anthony Sinclair die Anzüge schneidert. Zur Damenmode braucht man nicht viel zu sagen, da die Damen in dieser Welt mehr oder weniger unbekleidet sind und häufig schon ein Bikini für den ganzen Film ausreicht, das spart Produktionskosten. Und wenn sie mal ein schickes rotes Kleid anhaben wie Eunice Gayson in Dr. No, dann aber auch nicht für lange.

Ian Fleming, der selbst modische Maßstäbe gesetzt hat und sein Ideal der Kleidung in seine Romane hineingeschrieben hat, braucht für seinen Helden am wenigsten Worte. Nebenfiguren und Bösewichte werden manchmal seitenlang, zum Teil mit Nennung von Markennamen, beschrieben und durch ihre Kleidung charakterisiert. Aber kaum etwas über Commander Bond.

Das hat einen simplen Grund, Commander James Bond ist Commander Ian Fleming und kann natürlich nur so gekleidet sein wie Fleming selbst. Erstklassiger Schneider, leichte tonic Stoffe (die man auch in der Karibik tragen könnte, wo Fleming gerne ist), kleine dandyhafte Extravaganzen, wie zum Beispiel ein Umschlag am Jackettärmel. Fleming nimmt an, dass es in seiner Welt (und er kennt wie Bond nur die Welt des Geheimdienstes, der Londoner Clubs, Spielcasinos und Luxusrestaurants) völlig klar ist, wie ein Gentleman gekleidet ist. Das braucht man nicht groß zu beschreiben.

Flemings James Bond Romane sind kein großes Ereignis gewesen, aber die Filme werden es. Obgleich es auch da Konkurrenz gibt. Roger Moore als The Saint mit seinem weißen Volvo P 1800 im britischen Fernsehen, Michael Caine als Harry Palmer in den Len Deighton Verfilmungen. Aber diese Helden haben nicht so gute Schneider und die Filme sind auch keine wirklichen Savile Row Werbefilme. Die Industrie erkennt sehr schnell das Potential der Kunstfigur James Bond. Die James Bond Filme werden zu einer Vermarktungsmaschine. Die Firma DAKS/Simpson startet in den colour supplements von Sunday Timesund Observer eine aufwendige Werbeaktion, photographiert von Helmut Newton. Ian Fleming ist dabei überredet worden, sich als Geheimdienstchef M photographieren zu lassen. Die colour supplements mit ihren Nachrichten vom Lifestyle der Sixties sind jetzt etwas ganz Neues, sie kommen gleichzeitig mit dem filmischen James Bond auf die Welt. Natürlich gab es damals in Deutschland auch James Bond Anzüge, den ersten habe ich 1965 in einem Schaufenster von DeFaKa gesehen. Die hatten natürlich mit dem Conduit Cut nichts gemein. Hatten aber ganz viel Geheimtaschen, das braucht ein Möchtegern 007 natürlich. Mein kleiner Bruder hatte so ein Teil, und meine Mutter hat noch Jahre später, als sie den James Bond Anzug in die Kleidersammlung gab, erstaunliche Dinge in den Geheimtaschen gefunden.

Der Rolls Royce Verkäufer aus Australien, der der nächste James Bond ist, trägt noch Anzüge von Anthony Sinclair, wie man hier auf dem Photo von 1969 sehen kann. Sowas könnte man heute noch tragen. Was man auf keinen Fall mehr tragen kann, ist beinahe alles, was Roger Moore anhat. Da nützt es auch nichts, dass das alles von Londoner Prominentenschneidern wie Doug Hayward geschneidert wird. Die Anzüge von James Bond/Sean Connery sind die Anzüge des englischen Establishments, und diese Welt verändert sich kaum. Auch wenn sich die Politik verändert. Was Lazenby neben den Sinclair Anzügen (der ja nur einmal James Bond ist) trägt, ist schon ein bisschen outriert.

Mit Roger Moore wird in den Bond Filmen die Aura des Gentleman, der in dem Londoner Biotop namens Clubland lebt, völlig aufgegeben. Aus dem Gentleman ist der Playboy geworden, der in diesen Filmen bekleidungsmäßig kaum noch von seinen Feinden zu unterscheiden ist, wenn sie nicht gerade das Mao Jäckchen tragen. Es mag sein, dass man, da man nun nicht mehr nur ein englisches Publikum einkalkuliert, sondern das ProduktJames Bond Film weltweit verkaufen will, auf einen weltweit schlechten Geschmack setzt. Nicht mehr auf den elitären Savile Row Look. American Gigolo statt Anthony Eden. Das liegt nun nicht unbedingt an Doug Hayward, der durchaus versuchte, eine konservative, klassische Linie zu behalten: Keep them as classic as possible, as I believe that people will be watching James Bond films in twenty years. During the time that we were making clothes for Roger Moore, there were a lot of new styles and colours being promoted for men. I took a view, therefore, that we should keep noticeable details, such as turnback cuffs, to a minimum. Wenn es nur das gewesen wäre. Der unselige Einfluss geht von Roger Moore selbst aus. Der fühlt sich nämlich zum Designer berufen, nachdem er schon einen großen Teil der Klamotten von der Serie Die Zwei entworfen hatte, er hat auch Verträge mit der Bekleidungsindustrie. Aber was für die Kleidung von Tony Curtis O.K. sein mag, geht ja nun für James Bond gar nicht. Oder nur in the decade that style forgot, wie englische Zeitungen so schön im Rückblick sagten.

Irgendwann war Sean Connery die Figur James Bond leid. Wahrscheinlich ahnte er, dass er in den siebziger Jahren so scheußliche Dinge wie Roger Moore hätte tragen müssen, um hip zu sein. Allerdings hat ihn die Auswahl seiner Filmrollen nicht davor bewahrt, so etwas (Bild links) zu tragen. Aber so wollen wir ihn auf keinen Fall in unserem optischen Gedächtnis behalten. Das Photo ist aus dem Film Zardoz (das sind die letzten Buchstaben von Wizard of Oz) von 1974. Den Film konnte man sich ja damals nur ansehen, weil Charlotte Rampling drin vorkam. Connery hat nie wieder so tolle Anzüge getragen, wie in den frühen James Bond Filmen. Aber das ist ja völlig egal, sagen seine weiblichen Fans. Er kann tragen, was er will, er ist the sexiest man alive. Damit wird ihn noch in einem anderen Anzug sehen, gibt es hier unten noch ein Photo. Das ist kein Photo aus Highlander, nein, das ist die Queen, die gerade Thomas Sean Connery mit dem Schwert adelt.Arise, Sir Sean! Der andere James Bond namens Roger Moore hat seinen KBE drei Jahre später bekommen. Sir Sean wird heute achtzig Jahre alt, und deshalb gibt es hier die herzlichsten Glückwünsche an einen sartorialen Helden meiner Jugend. Many happy returns!


Bonnie Prince Charlie

Das ist das Glenfinnan Monument am Loch Shiel. Hier hat der Thronprätendent Bonnie Prince Charlie am 19. August 1745 seine Standarte aufgestellt und einen kleinen Krieg gegen die Engländer angezettelt. Es war der Anfang vom Ende der Stuarts. Nach einer Anzahl von kleineren Gefechten verlieren die Stuartanhänger nach einem Jahr in der Schlacht von Culloden. Charles Edward Stewart kann entkommen (nachdem ihm auf dem Schlachtfeld noch ein schottischer Lord nachgerufen hat Run, you cowardly Italian!) und irrt monatelang durch die Highlands, aber niemand verrät ihn an die Engländer. Obgleich die Summe, die England auf seinen Kopf ausgesetzt hat, jeden armen Highlander zum Millionär machen würde. Flora MacDonald, die ihn nach der Schlacht von Culloden versteckt hatte, wird in Schottland heute noch als Heldin gefeiert. Im September 1746 ist er dann zu Schiff nach Frankreich. Er wird niemals wieder kommen, wenn auch die Schotten immer noch davon träumen.

Bonnie Charlie’s now awa‘,
Safely owre the friendly main;
Mony a heart will break i‘ twa,
Should he no‘ come back again.
[Chorus:]
Will ye no come back again?
Will ye no come back again?
Better lo’ed ye canna be,
Will ye no come back again?

Das ist natürlich Stoff für hunderte von Romanen, der erste von Bedeutung ist Walter Scotts Waverley, or tis sixty years since von 1814. Aber auch Robert Louis Stevenson hat mit Kidnapped undCatriona dieses Thema aufgenommen. Von G.A. Henty bis Jane Lane gibt es eine beinahe industrielle Produktion von Bonnie Prince Charlie Romanen. Aber die romantische Verherrlichung Schottlands, die mit Walter Scott beginnt, vernebelt die schottische Realität. Die Chiefs der Clans vertreiben in den so genannten Highland clearances ihre eigenenclansmen und treiben sie in die Emigration. Eine ethnische Säuberung der besonderen Art.

Es ist ein wenig größenwahnsinnig, dass sich die Schotten den Engländern auf dem Moor von Culloden in einer offenen Feldschlacht stellen. Die Gefechte, die sie bis dahin gewonnen hatten, haben sie mit einer Art Guerillataktik und dank ihrer besseren Kenntnis des Terrains gewonnen. Jetzt aber haben sie die ganze englische Artillerie gegen sich. Auf seinen fähigen General Lord George Murray hört der junge Kriegsherr nicht mehr. Er wird auch später, wenn sie beide auf den Kontinent entkommen sind, nie wieder mit ihm reden. Wir wollen mal hoffen, dass er sich geschämt hat. Sein Vater, the Old Pretender, wird dagegen Lord Murray eine Rente auf Lebenszeit aussetzen.

Zu solchen Kämpfen Mann gegen Mann wie auf diesem zeitgenössischen Bild von dem Schweizer David Morier ist es in der Schlacht kaum gekommen. Morier hat das Bild 1746 für den siegreichen Herzog von Cumberland gemalt. Er war auf Uniformen und Pferde spezialisiert, wie man auf seinen Bildern in der Royal Collection sehen kann. Irgendwie kann Morier nicht mit Geld umgehen, denn er wird in einem Londoner Schulgefängnis sterben. Nach der Schlacht wird der Herzog von Cumberland niemanden entkommen lassen, wird Verwundete und Gefangene gleichermaßen töten lassen. Das trägt ihm den Beinamen Butcher Cumberland ein, der ihn in Schottland bis heute verfolgt. In London wird der Mann, der nach heutigen Maßstäben ein Kriegsverbrecher ist, als Held gefeiert. Man nennt eine Blume Sweet William nach ihm, die heißt noch heute so. Und es gibt auch peinliche Gelegenheitslyrik wieThe pride of France is lily white,
the rose in June is Jacobite.
The prickly thistle of the Scot
is northern knighthood’s badge and lot;
but since the Duke’s victorious blows
the lily, thistle and the rose
all droop and fade, all die away;
Sweet William only rules the day.
No plant with brighter lustre grows,
except the laurel on his brows.

In Schottland gibt es keine Verse, aber man tauft umgehend eine übelriechende, giftige Pflanze (senecio jacobaea) Stinking Billy.

Die Schlacht von Culloden ist die letzte Schlacht auf britischem Boden. Es ist auch die einzige Schlacht, die der fettleibige Sohn von George II als Feldherr Englands gewinnt (er hat ja immerhin die gleiche Stellung, die einst der Duke of Marlborough hatte). Ein Jahr vorher hatte er die Schlacht von Fontenoy gegen Maurice de Saxe verloren, ein Jahr nach Culloden wird er bei Laufeldt wieder gegen den illegitimen Sohn von August dem Starken verlieren. Jon Manchip White, der eine schöne Biographie über den Marschall von Frankreich geschrieben hat, kann keine erwähnenswerten Qualifikationen beim Lieblingssohn von George II entdecken. Und zehn Jahre darauf kneift Cumberland im Siebenjährigen Krieg vor den Franzosen, obgleich er eine riesige Armee hat und schließt die Konvention von Zeven ab. Danach holt man ihn nach London zurück und vertraut ihm nie wieder eine Armee an. Er wird sich fortan der Pferdezucht widmen. Und der gute Herzog Ferdinand von Braunschweig, der uns in Wilhelm Raabes Roman Das Odfeld begegnet, muss alles wieder gutmachen, was Cumberland versiebt hat.Die Schlacht von Culloden bedeutet auch die völlige Vernichtung der Highland Clans, von da an darf kein Kilt und kein Tartan mehr getragen, und kein Gaelisch mehr gesprochen werden. Erst 1782 wird dieser Bann aufgehoben, doch nach einer Generation sind Tartan und Kilt in Vergessenheit geraten. Ihre Renaissance werden die Schotten erst wieder durch Sir Walter Scott, seine Romane und seine Sammlung von Liedern haben.

Und wenig später durch das englische Königshaus. Schon George IV hatte (im scharlachroten Tartan über fleischfarbenen Strümpfen) Edinburgh besucht, und unter Victoria werden die Schotten Kult. Das schottische Schloss Balmoral wird zu ihrer zweiten Heimat, und ihr Prinzgemahl Albert entwirft Tapeten und Teppiche im Tartan-Look. Ist auch nicht komischer als der Tartananzug oben, den sich ein Herr aus dem Gefolge von George IV für den Besuch in Edinburgh 1822 hatte machen lassen. Wenn Sie alles über den Besuch des Königs im Kilt (der bei einem Londoner Schneider ein Vermögen kostete) in Edinburgh wissen wollen, dann klicken sie hier. Das hätte ich nicht schöner schreiben können.

Und natürlich ist die Schlacht von Culloden auch längst beschrieben worden. Das beste Buch dazu stammt von John Prebble, der viele gute Bücher über Schottland geschrieben hat. Er hat überhaupt erstaunliche Bücher geschrieben, aber sein Culloden halte ich für ein unübertroffenes Werk. Er sagt im Vorwort: I believe, the truth of this unhappy affair has been obscured by the over-romanticized figure of the Prince. He appears in the book where he is relevant to its theme, and I make no apology for ignoring him at other times. The books begins with Culloden because then began a sickness from which Scotland and the Highlands in particular, never recovered. It is a sickness of the emotions and its symptoms can be seen on the labels of whisky bottles. Long ago this sickness, and its econonomic consequences, emptied the Highlands of people. And this book, I hope, is about people. Da merkt man doch noch ein klein wenig durch, dass er in den dreißiger Jahren mal in die Kommunistische Partei England eingetreten war, aber nicht für lange. Dieses ist eine Sozialgeschichte Schottlands am Vorabend der Schlacht und im zweiten Teil zeigt das Buch, was die Schlacht für Schottland im nächsten halben Jahrhundert bedeutete. Bonnie Prince Charlie Fans werden dieses Buch nicht gerne lesen.

Bonnie Prince Charlie Fans werden auch den Film Culloden von Peter Watkins aus dem Jahre 1964 nicht mögen. Das ist ein wirklich erstaunlicher Film, und ich bin diesem Medium, vor dem ich mit meiner Tastatur sitze, dankbar, dass man ihn heute noch auf dem Bildschirmhier sehen kann. Zwar mit französischen Untertiteln, aber das ist ja irgendwie passend, die ganze Unterstützung für Charles‘ Abenteuer kam ja aus Frankreich. Wenn es einen Antikriegsfilm gibt, dann ist es dieser Film. Er war für die BBC gedreht, und er war so erfolgreich, dass Peter Watkins The War Game drehen konnte (was er eigentlich vorCulloden drehen wollte). Den hat die BBC aber nie gesendet, das war zu nahe an der Wirklichkeit. Der Film wurde zwar nicht gezeigt, bekam aber 1967 einen Oscar und war im filmischen Untergrund durchaus zu sehen. Zwanzig Jahre später kam er offiziell in die Kinos. Wenn Sie mal reinschauen wollen, klicken Sie hier.

Wenn Ihnen das alles zuviel an Realismus ist, dann habe ich um Schluss noch richtigen Kitsch für Sie, David Niven (immerhin ein Schotte) als Bonnie Prince Charlie und dazu schottische Klänge von Loreena McKennitt.

Adolf Loos

Obgleich man um 1900 in Österreich auch eine kleine Welt beherrscht, die durch das Firmenkürzel k.u.k. geeint wird, schaut man doch begehrlich nach England. Die Insel ist zwar lächerlich klein, kein Ort weiter als 120 Kilometer von der Nordsee entfernt, aber irgendwie ist es den Engländern seit dem 18. Jahrhundert gelungen, die halbe Welt zu beherrschen. Und das nicht nur politisch. Auch in Sachen des Geschmacks, die so genannte Wiener Moderne wäre nichts ohne den englischen Einfluss. Alles, was sich Ruskin und Morris ausgedacht haben und das Arts&Crafts Movement in die Tat umgesetzt hat, kommt jetzt auch nach Wien. Dank des Generalexporteurs für englische Ideen, des Botschaftsrats Hermann Muthesius (und wahrscheinlich vieler anderer). Der österreichische Architekt Adolf Loos ist sicherlich derjenige, der die Engländer am meisten verehrt.
Er ist, ganz nebenbei auch ein großer Dandy und einer der bestangezogenen Herren von Wien (http://dandy-club.blogspot.com/search/label/Adolf%20Loos). Es ist sicherlich kein Zufall, dass er als junger Mann auf der Rückreise von Amerika einen Zwischenstopp in London einlegte und sich in der Savile Row neu einkleidete. Er hat auch 1898 einen Artikel über die Herrenmode geschrieben. Er hat sowieso mehr geschrieben als gebaut, und in seinen theoretischen Schriften über die Funktionalität der Architektur tauchen die (englische) Herrenmode und die englische feine Gesellschaft immer wieder auf. Wer sich darüber informieren möchte und nicht das Gesamtwerk von Loos lesen will (seineGesammelte Schriften sollen im März 2010 neu erscheinen), der sollte das geistreiche Buch von Fedor Roth Adolf Loos und die Idee des Ökonomischen lesen.
Adolf Loos, der gerne auf seinem Grabstein den Satz haben wollte Loos, der die Welt von überflüssiger Arbeit befreite, ist berühmt geworden für den Satz Ornament ist Verbrechen, ein Satz, der bei ihm auch für die Kleidung galt. Auf seinem Grabstein, den er selbst entworfen hat (als Sohn eines Steinmetzen und Bildhauers hat er das wohl gekonnt), steht allerdings nur Adolf Loos in schlichten eleganten Lettern. Ohne jedes Ornament. Unauffällige Funktionalität in der Kleidung war in seiner Schrift von 1898 seine Maxime (das hätte auch von Beau Brummell stammen können): Es handelt sich darum, so angezogen zu sein, dass man am wenigsten auffälltEin roter Frack fällt im Ballsaal auf, ein Zylinder fällt auf dem Eise auf…Alles Auffallen gilt in der feinen Gesellschaft als unfein. Nun ja, hundert Jahre vorher darf man in Wien einen roten Frack tragen, Mozart hatte einen. Dirigenten dürfen das. Wenn der Ritter von Karajan und der Graf Nikolaus de la Fontaine und D’Harnoncourt so etwas getragen hätten, hätte das die Wiener Musikszene sicherlich belebt. Adolf Loos hat auch über Damenmode geschrieben, die ist natürlich, weil ornamentbeladen, ganz falsch. Der nach stiller Vornehmheit strebende Mann ist da auf einem viel höheren Evolutionsniveau. Auh, manno, man kann ja nur froh sein, dass die Redakteurinnen von Emma nicht vor dreißig Jahren Adolf Loos gelesen haben. Ganz oben im kulturellen Evolutionsmodell von Loos steht die Aristokratie, die für ihn zu einer Kulturavantgarde wird. Er meint damit nicht die untergehende k.u.k. Aristokratie, die Josef Roth in seinen Romanen beschrieben hat, bei all diesen Überlegungen denkt Loos schon an die englische Aristokratie. Und er wird dabei in Bezug auf die Mode auch den Prinzen von Wales und späteren König Edward VII vor Augen gehabt haben, der zu dieser Zeit ja der arbiter elegantiarum ist.
Aber es geht Loos nicht nur um eine Kulturelite, es geht ihm auch um Ökonomie und Funktionalität. Und hier findet er sein originellstes Bespiel: Ein Engländer kauft eine Krawatte. Packen Sie mir um den und den Preis für diese und diese Gelegenheit einDer Deutsche kauft eine Krawatte. Das heißt, soweit sind wir noch nicht. Jeden Bekannten fragt er, wo er seine Krawatte gekauft hat. Tagelang treibt er sich auf der Gasse herum, von Schaufenster zu Schaufenster. Schließlich nimmt er noch einen Bekannten mit, der ihm bei der Auswahl behilflich sein muss. Und hat dann glücklich für zwei Mark am Nationalgeldumsatz beigetragen. Also, für zwei Mark kriegt man heute keine Krawatte, aber wir erkennen, wohin die Argumentation führt. Unökonomisch, Zeitverschwendung. Und in dieser Zeit, so Loos, hat sich der Engländer mit wesentlicheren Dingen beschäftigt. Ein Paar Schuhe anzufertigen, oder ein Gedicht. Ein Vermögen an der Börse zu gewinnen. Oder eine Frau glücklich oder unglücklich zu machen. Sehr witzig. Der Engländer kann natürlich sagen Packen Sie mir eine Krawatte für die oder die Gelegenheit ein, weil seine Kleidung letztlich eine Uniform ist. Zwar ist der Mann vom Drang nach Vornehmheit beseelt (und Jeder Raseur möchte wie ein Graf aussehen), aber diese Vornehmheit ist letztlich eine uniformierte Vornehmheit. Wer käme heute unter den ernsten Männern auf den Gedanken, sich phantastisch kleiden zu wollen? fragt Hermann Muthesius gleichzeitig.
Wenn Adolf Loos den Laden der Firma Knize (die sich ja, wie tout le monde weiß, Kniesche ausspricht) entwirft, inklusive der Verpackung der Düfte, dann kann er seine architektonischen und sartorialen Vorstellungen vereinen. Glücklicherweise ist weder der Laden am Graben 13 in Wien noch das Design der Verpackung je verändert worden. Der Höhepunkt der Funktionalität der Herrenmode ist dann etwas, was Loos 1908 in seinem Essay Kultur beschreibt: Der amerikanische Arbeiter hat die Welt erobert. Der Mann im Overall. Heute wollen die Raseure nicht mehr wie ein Graf aussehen, heute tragen die Jogginghose. Was hätte Adolf Loos dazu gesagt? Hätte er sich die roten Fräcke zurückgewünscht?

Jungfernstieg

Heute vor 99 Jahren ist der dänische König Frederik VIII in Hamburg gestorben. Er kam von einer Reise aus Nizza zurück und hatte in Hamburg Halt gemacht, bevor er mit dem Zug nach Travemünde weiterfuhr. Dort sollte die königliche Yacht die Familie abholen. Er war auf dem Jungfernstieg spazieren gegangen und hatte einen Herzanfall erlitten. Ein Polizist hat ihn in das Hafenkrankenhaus bringen lassen, wo man nur noch den Tod des anonymen Herrn feststellen konnte. Sein Diener hat ihn dann nach langem Suchen in der städtischen Leichenhalle gefunden. So steht es im Wikipedia Artikel. Die Skandalpresse hat natürlich sofort ganz andere Geschichten über den Tod verbreitet. Dass er nicht auf einer Bank auf dem Jungfernstieg, sondern auf der Reeperbahn in den Armen einer Liebesdienerin gestorben sei. Die dänische Presse hat natürlich sofort beklagt, dass die Würde des Monarchen durch diese Gerüchte verunglimpft würde.

Der Tod gibt immer noch Rätsel auf, der Wikipedia Artikel trägt kaum zur Wahrheitsfindung bei. Eher die Polizeiakten der Stadt Hamburg und das Hamburger Staatsarchiv. Aber auch die sind in allen Belangen höchst widersprüchlich. Man bekommt, und das sicher zu Recht, den Eindruck, dass hier etwas vertuscht werden sollte. Unstrittig ist, dass der König inkognito mit seiner Familie unter dem Namen Graf Kronsberg im Hotel Hamburger Hof am Jungfernstieg gewohnt hat. Das hatte er gegen 22 Uhr für einen Abendspaziergang verlassen, und in der Nähe des Hotels soll er eine halbe Stunde später zusammengebrochen sein. Die Sache mit der Reeperbahn scheidet schon mal aus. Aber es gibt damals am Gänsemarkt in der Schwiegerstrasse, die später Kalkhof heißen wird, ein Bordell. Diese Straße läuft parallel zur Büschstraße, wo ja, was jeder Modefreak weiß, der Laden von ➪Rudolf Beaufays ist. Das Bordell, das bis zur Bombardierung Hamburgs besteht, ist das feudalste Bordell von Hamburg gewesen. Dort könnte der Graf Kronsberg gewesen sein.

Vielleicht war er auch im Café Opera. Das behauptete später der Wirt, der auch eine Messingplakette an dem Stuhl anbringen ließ, auf dem der König gesessen haben soll. Denn neben dem Café Opera, auf den Stufen der Schlachterei Burk, will ihn der aus der Oper kommende Frauenarzt Dr. Seligmann gefunden haben. Nach anderen Berichten ist er auf dem Gänsemarkt hinter Fritz Schapers Lessingdenkmal gefunden worden, wohin ihn die Damen aus der Schwiegerstraße geschleppt hätten. Dass eine der Damen watten Schietgesagt haben soll, klingt sehr authentisch, kann aber eine nachträgliche Ausschmückung sein. Er soll nach mehreren Berichten noch gesagt haben, dass er im Hotel Hamburger Hof wohne. Aber dem ist die Polizei in den nächsten Stunden nicht nachgegangen. Wenn das Hotel überhaupt benachrichtigt wurde, dann erst um vier Uhr morgens, als der unbekannte Tote im Leichenschauhaus von einem Hotelangestellten identifiziert wurde. Auch das ist strittig, nach einer anderen Version hat ihn sein Leibdiener gefunden.

Der Hamburger Neurologe und Psychiater Johann M. Burchard weiß zu berichten, dass dies nicht der erste Besuch des Königs bei der ungenannt bleibenden Dame war, in deren Armen ihn der Herztod ereilt haben soll. Diese Geschichte, die ohne weitere Belege bleibt, muss er von seinem Opa haben, denn der war 1912 Bürgermeister von Hamburg, und ihm fiel die Aufgabe zu, die Königin und den Hofstaat offiziell vom Tod des Monarchen zu unterrichten. Später wurden vom dänischen Hof eine Vielzahl von Orden nach Hamburg vergeben, die offensichtlich der Dank für Takt und Diskretion waren (Staatsarchiv 132-1 I Senatskommission für die Reichs- und auswärtigen Angelegenheiten I Nr. 746: Verleihung dänischer Orden aus Anlass des Ablebens des Königs). Vielleicht auch für Verschleierung. Der Chefredakteur des Hamburger Echo (die Zeitung der SPD), der zum Tode des Monarchen schrieb, er sei in den Sielen gestorben, wird wohl kaum einen Orden bekommen haben. Das ist das gleiche Hamburger Echo. das zwei Jahre zuvor geschrieben hatte: Die neueste Form der Schundliteratur ist in Amerika entstanden. Das sind die Nick Carter, Sherlock Holmes Hefte und die Legion ihrer Nachfolger. Dasselbe Amerika, dem Goethe 1827 gratulierte zu seiner Reinheit von der Pest der Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten, hat der Welt die schlimmste Art der Pest beschert. DasBestattungsinstitut St. Anschar von 1866 wirbt heute noch mit seinen damaligen Diensten. Bismarck und Hans Albers gehörten auch zu seinen Kunden.

Bei hood.de wurde vorgestern Der Smaragd Gustav Hillard Skandal Freundenhaus [sic] Novelle für zwei Euro angeboten. Die Sache mit dem Skandal und demFreudenhaus sollte den Preis wohl hochtreiben, tat es aber nicht. Die Novelle Der Smaragd, eine der Meistererzählungen von Gustav Steinbömer, der sich als Schriftsteller Gustav Hillard nannte, ist 1948 erschienen. Sie ist auch in dem Hoffmann und Campe Band Anruf des Lebens enthalten. Ich habe das etwas altertümliche Wort Meistererzählung bewusst gewählt, denn Gustav Hillard ist als Schriftsteller ein Meister der kleinen Form gewesen. Er war nicht immer Schriftsteller. Er wurde als Gustav Steinbömer 1881 in Rotterdam geboren und verlebte seine Jugend in Lübeck. Er hat eine exklusive Schule besucht.

Das auf dem Photo oben ist das Plöner Prinzenhaus, da ist Hillard zusammen mit dem Kronprinzen erzogen worden. Was die Gerüchte nährte, dass er gar nicht der Sprössling der Lübecker Kaufmannsfamilie sei, sondern sein Vater eher in der Umgebung des Kaisers zu suchen sei. Er hat auch später am Kaiserhof gelebt und war im Ersten Weltkrieg Generalstabsoffizier. Das ist sicher der Teil der Karriere, die Ernst Jünger bewunderte, als er Gustav Hillard zum 90. Geburtstag mit den Worten gratulierte: In Gustav Hillard steht noch eine der letzen Säulen der alten Armee und zugleich eine der musischen Naturen – eine Doppelbegabung, die es bei den Preußen immer wieder einmal gegeben hat. Das Prinzenhaus und die Umgebung kenne ich ganz gut, da mein Freund Georg da mal Lehrer war. Und wir auf dem Sportplatz hinter dem Prinzenhaus Cricket und Fußball gespielt haben. Und Badminton in der Remise, und Tennis auf dem Platz am Bahndamm. Damals wußte ich noch nichts von Hillard, weil ich seine Lebenserinnerungen Herren und Narren der Welt noch nicht gelesen hatte.

Und die sollte man unbedingt lesen, weil hier ein großer Erzähler und ein Meister der deutschen Sprache schreibt. Das hat man heute nicht mehr so häufig. Hillards Lebensweg nahm nach dem Weltkrieg eine völlig andere Bahn. Andere Offiziere landen bei irgendwelchen Freikorps (ich nehme jetzt einmal Arnold Friedrich Vieth von Golßenau aus), er studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie und wurde Dramaturg bei Max Reinhardt. Dann freier Schriftsteller und Kulturkritiker, ein Freund von Walther Rathenau und dem Kronprinzen, mit dem er aufgewachsen war. Er hat beinahe jeden bedeutenden Intellektuellen der zwanziger und dreißiger Jahre gekannt, aber seine Erinnerungen haben nichts von einer sensationslüsternen Schwatzhaftigkeit an sich.

Eher von einer subtilen Ironie, wenn er über Rathenaus Preußenschloss Freienwalde schreibt: Jedesmal, wenn ich in Freienwalde zu Gast war, in einem der sehr einfachen Gastzimmer im Obergeschoß logierte, wo auch seine eigenen, fast puritanischen Schlaf- und Arbeitszimmer lagen, bewegte es mich, wie er seinen Wunschtraum mit dieser preußischen Vergangenheit möbliert hatte, ohne ihn doch selbst zu bewohnen. Wenn ich in den musterhaft assortierten Räumen des Erdgeschosses mit den handgemalten Tapeten und Landschaften, mit den bunten Gardinen vor den tief reichenden Fenstern zwischen Kommoden und Spiegeln, Vasen und Bildern herumging, hatte ich plötzlich das Gefühl, ohne Filzpantoffeln für Schlossbesichtigungen nicht hinreichend ausgerüstet zu sein. […] Und in dem lichten Speisesaal mit seiner über Wand und Decke, Sesseln und Sofa fortblühenden Blattdekoration saßen wir mehr zum Beschauen und Bewundern als zum Essen.

Und Gustav Hillards Erzählung Der Smaragd hat natürlich auch nichts Sensationsheischendes an sich, von wegenSkandal Freudenhaus Novelle. Die Erzählung von den letzten Tagen des Dänenkönigs ist eher mit Thomas MannsTod in Venedig verwandt. Es ist ein eigentümlicher Ton, den der Erzähler anschlägt, mit einer Vielzahl von Vorausdeutungen wie bei Thomas Mann. Aber auch mit akribischen Detail in der Beschreibung der Gedanken. Und der kleinen, scheinbar oberflächlichen Dinge, wenn der König so willfährig in die verzaubernde Umarmung dieses Abends gesunken ist:

Er trat ins Zimmer zurück und begann mit Bedacht sich umzukleiden. Er legte Ringe und Armbanduhr ab, wählte Wäsche ohne Initialen und einen vor seiner Umgebung nie getragenen Anzug. dem er durch einige aufheiternde Einzelheiten eine Stilisierung ins Bonvivanthafte gab. Er verteilte etliches Geld in seine Taschen und steckte nach kurzem Zögern auch das kleine, goldene Zigarettenetui ein, auf dessen innerer Deckelseite die Verse eingegraben waren, welche den strengen Gott des Schweigens für einen Bruder des Todes erklären.

Die Verse, die da stehen, sind Le sévère dieu du silence Est un des frères de la Mort, daran wird sich der Leser erinnern, der Erzähler hat es schon zweimal erwähnt. Der Leibarzt des Königs, Dr. Onno Bedinga, hält die Verse für einen Orakelspruch. Dass sie von Alfred de Musset sind, sagt uns der Autor nicht, er schreibt für den gebildeten Leser. Also für Sie zum Beispiel. Und da ich gerade bei Literaturempfehlungen bin: wenn Sie wissen wollen, wie das Hamburg um 1900 ausgesehen hat, dann gibt es nichts Besseres als Ascan Klée Gobert (der Vater von Boy Gobert). Ich kann Bücher wie Zacke und Lochund Kindheit im Zwielicht nur wärmstens empfehlen.

Britt Ekland


grattis på födelsedagen, Britt Ekland. Sie wird heute 68. Die blonde Schwedin tauchte Anfang der sechziger Jahre auf der Kinoleinwand auf, nachdem sie vorher ein Model war. Keine tollen Filme. Nicht zu vergleichen mit all den Schwedinnen, die Ingmar Bergman beschäftigte, Harriet Anderson, Bibi Anderson, Ulla Jacobsen, Gunnel Lindblom, Ingrid Thulin. Berühmt ist sie geworden, weil sie Peter Sellers geheiratet hat. In dem Film The Life and Death of Peter Sellerswird sie von Charlize Theron gespielt.

Später hatte sie eine Affäre mit Rod Stewart, der auch einen Song für sie geschrieben hat (You’re in my heart, you’re in my soul). Auf einer Seite namens wordlingo habe ich gefunden, dass Rod Stewart einFelsenstern ist. Habe länger drüber nachdenken müssen, was die Übersetzungsmaschine da angerichtet hat. Ich will jetzt nicht mehr zu der komischen wordlingo Seite zurückgehen, wahrscheinlich ist sie da ein Schuldverschreibungsmädchen. Denn irgendwann hieß sie Mary Goodnight und war ein Bond Girl. Wenn man ein Bond Girl ist, kommt es auf die schauspielerischen Fähigkeiten nicht so an.

Das hier reicht für Bond Girls völlig aus. Sie hat ihre Autobiographie geschrieben (True Britt) und macht von Zeit zu Zeit Schlagzeilen. Schönheitsoperationen, Collagen Lippen. Oder wenn ihr in London in einem Supermarkt ihre Rolex geklaut wird und solche Dinge. Sie ist aber nicht dafür bekanntgeworden, dass sie mal in einer richtigen Rolle auf der Bühne eines richtigen Theaters gewesen ist. Viele von den blonden Schwedinnen aus den Filmen von Ingmar Bergman schon.
Es ist nicht ganz richtig, dass sie in keinem guten Film mitgespielt hat. Sie hat eine Gangsterbraut in einem ganz tollen Film gespielt, der allerdings in Deutschland nicht so bekannt geworden ist. Dieser Film, in dem jemand drin vorkommt, der sechs Finger an der Hand hat. Und in dem der Schrifsteller John Osborne einen Gangster spielt. Einen Gangster spielt da auch der Lieblingsschauspieler von Harold PinterTerence Rigby (obgleich wir ihn eigentlich als den guten Police Constable Snow mit seinem Schäferhund aus Softly, Softly kennen). Das sagt Ihnen jetzt immer noch nichts?

Der Film heißt Get Carter. Und löschen Sie jetzt bitte sofort alle Assoziationen mit dem schrottigen Remake aus dem Jahre 2000 von der Festplatte Ihres Gehirns, vor allem Sly Stallone. Dies ist das Original von 1971 mit Michael Caine als Berufskiller. Dies ist jetzt nicht der elegant stilisierte Pariser Gangsterfilm à la Jean Pierre Melville (obgleich Michael Caine auch schon elegant daherkommt, aber natürlich nicht so stilisiert wie Alain Delon in Der eiskalte Engel), dies ist Newcastle.

Michael Hodges [der Regisseur]wanted to give the film a tough look and so he chose as a setting a city in the north of England called Newcastle on Tyne…By now I have seen poverty in different parts of the world that had made my own childhood look quite privileged, but I had never witnessed misery like this in my own country; it was Charles Dickens meets Emily Brontë, written by Edgar Wallace. Being in the far north of England, the weather was also dark and forboding, the perfect atmosphere for our movie, schreibt Michael Caine in seiner Autobiographie What’s it all about? von 1992. Die ist übrigens sehr lesenswert. Er hat gerade eine neue geschrieben (The Elephant to Hollywood), aber ich weiß nicht, was da noch drin stehen soll. Vielleicht kommt da ja Britt Ekland drin vor, in What’s it all about? wird sie nicht erwähnt.

Get Carter ist ein Gangsterfilm, eigentlich ist es ein Farbfilm, aber im Grunde ist es ein Schwarzweißfilm, wirklich sehr noir. Und cool. Als er in die Kinos kam, war der Film ein Flop, heute hat er sich zu einem Kultfilm gemausert. In Newcastle sind sie für den Film immer noch dankbar, es gibt da Stadtführungen auf den Spuren von Get Carter. Im deutschen Fernsehen wurde der Film erstmals im September 2005 vom WDR ausgestrahlt – vierunddreißig Jahre nach dem Kinostart! Aber es ist keine Schwierigkeit, heute eine DVD zu bekommen. Im Zweifelsfall sollte man amazon.co.uk probieren. Es gibt da auf der DVD auch noch massenhaft Interviews drauf. Und natürlich kommt der Mann mit densechs Fingern im Film vor. Und natürlich auch Britt Ekland, die sich hier lasziv auf dem Bett räkelt.

Teddy Boys

Im Jahre 1948 sagt ein Verkäufer bei Simpson(Piccadilly) zu einer Dame der Londoner Gesellschaft, wie schön es wäre, wenn man Kleidung wieder frei kaufen könnte und dafür keinen Bezugsschein brauchte. Die Dame flüstert ihm zu, dass sie ihm voll zustimme. Sie könne das nur nicht laut sagen, denn ihr Ehemann sei Sir Stafford Cripps. Der verwaltet den Mangel, der jetzt überall herrscht, auch bei den Siegermächten. Ein Jahr später braucht man keine Coupons mehr, und die Schlange bei bei Simpson geht den ganzen Piccadilly entlang bis zur St. James Church. Während des Krieges hatte Simpson Uniformen produziert (und ihr modernistisches Geschäftshaus als Offiziersmesse für alle Waffengattungen zu Verfügung gestellt). Nach dem Krieg stellte man die demob Anzüge her, jeder britische Soldat bekommt einen Zivilanzug. Um getreu der Direktiven von Sir Stafford Cripps Stoff zu sparen, werden die Jacketts kürzer. Der Volksmund nennt so etwasbum freezer. Reinhold Beckmann trägt das ein halbes Jahrhundert später freiwillig und fühlt sich modisch auf der Höhe.

Aber diese Nachkriegsmode, aus der Not geboren, wird sich nicht lange halten. Wenig später verkündet die Savile Row den Neo Edwardian Style. Überlange Jacketts. Die Traditionshäuser der Row orientieren sich an Edward, dem Sohn von Victoria, der ein halbes Jahrhundert zuvor die Herrenmode revolutioniert hatte und ihr einen Stil für das 20. Jahrhundert gegeben hatte. Also gibt es jetzt lange, aber taillierte, Jacketts, häufig auch mit Seideneinfassung des Revers und vier statt drei Knöpfen. Enge Hosen und Brokatwesten, Samtkragen auf den Mänteln. Genau wie die Pariser Damenmode zeigt man, dass Stoff jetzt nicht mehr rationiert ist. Und man will sich auch von den weiten „Gangsteranzügen“ der amerikanischen Mode absetzen. In Deutschland fühlen sich die wenigen Journalisten, die über Mode schreiben (und das ist beinahe nur der Alt-Nazi, Baron Hermann-Marten von Eelking, in seinem Herrenjournal) an den Mayerlingstil der Jahrhundertwende erinnert. Aber nun geschieht in England etwas ganz Seltsames. Der outrierte Dandy Look wird nicht von den Gentlemen angenommen, sondern von den Prollis der working classadaptiert. Die verdienen jetzt Geld bei Wiederaufbau von London, und sie geben Monatsgehälter bei Schneidern in Soho aus (bei Henry Poole würden sie sich wohl nicht in den Laden trauen), um solche Edwardian Style Anzüge zu bekommen. Natürlich noch etwas übertriebener und mit einigen amerikanischen Elementen gemischt, wie einem string tieund den brother creepers mit der fetten Specksohle. Um sich dann in piekfeinen Klamotten Straßenschlachten mit anderen Gangs zu liefern.

Sie bekommen schnell den Namen Teddy Boys, die erste, klar erkennbare Jugendkultur ist geboren (wenn wir einmal von den zoot suits und den bobby soxers absehen). Aber es entstehen jetzt in der ersten Hälfte der Fifties in London noch andere Jugendkulturen. Da sind die modernists, auch Mods genannten. Die tragen scharfe enge Anzüge und Buttondown Hemden, haben einen Motorroller und hören Jazz. Und es kommen die ersten Motorradrocker, die schwarze Lederjacken tragen und so aussehen wie Marlon Brando in The Wild One. Und da sind die Jugendlichen aus den Einwandererfamilien aus der Karibik, die immer einen pork pie Hut tragen und Calypso und Reggae hören. Der Stadtteil Notting Hill wird zu einem Problemstadtteil, er hat noch nichts von einem Schickeria Stadtteil an sich, in dem Julia Roberts plötzlich bei Hugh Grant im Buchladen auftaucht. Der Immobilienhändler Peter Rachmann eignet sich halb London an, Gangster wie die Kray Zwillinge regieren Teile der Stadt. Soziale Spannungen entladen sich in Straßenschlachten, aber immer stilvoll mit Anzügen und Hüten. Die Mods fahren am Wochenende mit ihren Vespas und Lambrettas nach Brighton, einen Parka über ihren eleganten Klamotten, um sich am Strand mit den Lederjackenrockern zu kloppen.

Ist die Savile Row an allem schuld? Die feinen Schneider sind peinlich berührt, wie ihr neuer Edwardian Style adaptiert und degeneriert ist. Sie propagieren diese Mode auch nicht länger. Aber sie haben einer Jugendkultur ein Gesicht gegeben. Von nun an wird es wichtig, nicht nur zu einer bestimmten Jugendkultur zu gehören, sondern einen Stil zu haben. The Meaning of Style wird Dick Hebdige sein Buch Subculture untertiteln (das erste seriöse englische Buch über Jugendkulturen). Und am Center of Contemporary Culture in Birmingham bekommt Paul Willis einen akademischen Grad für eine Untersuchung der Lederjacken Rocker. Colin MacInnes hat Ende der Fifties eine Romantrilogie über London geschrieben, deren berühmtester Roman Absolute Beginners geworden ist (hat wenig mit der Musikfilmversion mit David Bowie gemein). Mods, Lambrettas, Jazz, Rassenunruhen: alles steht hier drin. Denn nicht nur die Kunden der Traditionsschneider der Savile Row sind klassenbewusst und stilbewusst, auch die working class hat ihren Stil. Wenn man ein Mann ist, braucht man in England in den Fifties einen Anzug, keine Jeans und Sweatshirts.

Der Londoner Radiomoderator Robert Elms hat das in The Way we Wore: A Life in Threads liebevoll beschrieben: Closing my eyes I see it now: petrol blue, wool and mohair, Italian cut, flat-fronted, side adjusters, zip fly, sixteen-inch bottoms, central vent on the jacket, flap pockets, ticket pocket, three button (only one done up, of course), high breaking, narrow lapels, buttonhole on the left, four buttons on the cuff – claret silk lining. Sein großer Bruder hatte lange dafür gespart, um sich diesen Anzug machen zu lassen. Und dazu die Musik von Otis Redding Too Hard to Handle. Damals hat die working classnoch Stil, heute hat sie shell suits.

Amerikanische Dandies

Amerikanische Dandies? Es muss sie gegeben haben. Denn das berühmte Lied Yankee Doodle, das in der Zeit der amerikanischen Revolution überall gesungen wird, spricht in Zeile drei und vier von stuck a feather in his cap/and called it macaroni und in Zeile zwei des Refrains von Yankee Doodle Dandy. Nun hat macaroni hier nichts mit einem italienischen Gericht zu tun, es ist vielmehr eine Bezeichnung für einen Dandy, die im England des 18. Jahrhunderts allgemein gebräuchlich wird. Horace Walpole benutzt das Wort, James Boswell auch. In der Mitte des 19. Jahrhunderts ist es so gut wie ausgestorben. Wir müssen bei dem Lied bedenken, das es von einem Engländer geschrieben wurde, voller Verachtung für die country bumpkins in den Kolonien. Die sich schon als Dandy fühlen, wenn sie sich eine Feder in den Hut stecken.

Aber was zuerst ein englisches Spottlied ist, wird von den Revolutionären übernommen. Und die singen es dann bei jeder Gelegenheit, wenn sie die Engländer schlagen. Es muss schmerzlich für den Ruhm eines englischen Offiziers sein, auf dem Schlachtfeld von einem Amerikaner in Lederhemd und mit Bärenfellmütze erschossen zu werden, während er gerade dabei ist, mit Hilfe seines Dieners die Seidenstrümpfe zu wechseln. Der Leutnant hieß John Dutton, und sein vor dem Revolutionskrieg gemaltes Portrait ist in schottischem Privatbesitz. Der General Lord Howe hat diese dandyhaften Bedenken des Strumpfwechsels nicht. Als er oben auf Bunker Hill ankommt, sind seine weißen Seidenstrümpfe rot von Blut. Er ist aber einer der wenigen englischen Offiziere, die an diesem Nachmittag überleben. Die Amerikaner haben nicht so schöne blutrote Uniformen wie die Engländer.

Dennoch entwickeln sie ihren eigenen sartorialen Dandyismus. General Daniel Morgans Truppe der Virginia Riflemen trägt Lederhemden, so wie wir uns den Lederstrumpf vorstellen. Und auf dem Bild von der Kapitulation von Saratoga, wo alle amerikanischen Generäle eine blaue Uniform mit goldenen Verzierungen tragen, trägt er ein weißes Lederhemd, mit einem Gürtel geschnürt. Und mit viel Pelzbesatz. Außergewöhnlich, aber doch elegant. Und sicherlich eine bewusste Inszenierung. Daniel Morgan hat auch eine blaue Generalsuniform besessen, aber so sollte ihn die Welt sehen. Kein aristokratischer Gentleman und Dandy, ein Mann aus dem Volke.

Einen der elegantesten englischen Dandies des Revolutionskrieges kann man in der National Gallery in London bewundern. Das Bild ist von Joshua Reynolds gemalt und zeigt General Sir ➪Banastre Tarleton. Allerdings ist der junge Mann auf dem Bild damals noch nicht geadelt, und ein General ist er auch noch nicht. Er kommt aus reichem Hause, war ein großer Dandy in der feinen Londoner Welt, kaufte sich seinen Rang als Oberstleutnant und ist in Amerika nun das, was die Franzosen einen beau sabreur nennen. Die Amerikaner nennen ihnBloody Ban und hassen ihn, weil er amerikanische Soldaten, die sich schon ergeben hatten, niedergemetzelt hat. Sir Joshua hat den schneidigen Kavallerieoffizier so gemalt, dass wir nicht sehen können, dass ihm an einer Hand mehrere Finger fehlen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass diesem englischen Möchtegern Aristokraten und Dandy seine größte militärische Niederlage durch Daniel Morgan zugefügt wird. Und das auch noch in einer Schlacht, die Cowpens heißt. Saratoga oder Princeton würde ja noch gehen, aber wer verliert schon gerne eine Schlacht an einem Ort namens Hannahs Kuhpferch? Den Platz hat sich Morgan ausgesucht, gegen jede Empfehlung aus dem Taktiklehrbuch. Einen Wald und einen Fluss im Rücken. Er kann sich nicht zurückziehen. Aber seine jungen Milizsoldaten können auch nicht wegrennen, darum geht es ihm jetzt. Und er ist oben auf einem Hügel, da müssen die Engländer erstmal rauf. Die Schlacht von Cowpens ist ein Beispiel dafür, wie man mit Intelligenz gegen eine gutausgebildete Übermacht gewinnen kann. Auch wenn man nicht so elegante Uniformen hat wie Banastre Tarleton. Es ist nicht bekannt, ob die Amerikaner nach der Schlacht von Cowpens den Yankee Doodlegesungen haben.
Im 6. Kapitel von Moby-Dick, das The Street heißt, beschreibt der Erzähler die seltsamsten Seeleute aus allen Teilen der Welt, Kannibalen und Schrumpfkopfhändler inklusive. Aber das Seltsamste besides the wild specimens of the whaling craft fährt der Erzähler fort, sei derbumpkin dandy vom Lande. Der sein Land mit buckskin gloves for fear of tanning his hands bestellt. Obgleich Melville ein gutes Auge für jedes Zeichen der Eleganz besitzt, ist ihm jeder Dandyismus fremd. Als er auf seiner Europareise bei seinem Freund Hawthorne (der jetzt amerikanischer Konsul in Liverpool ist) auftaucht, hat er nur zwei ungewaschene Hemden im Gepäck.

Aber das schönste Beispiel für den Dandyismus der neuen Welt ist sicherlich der Maler John James Audubon. Eigentlich ist er ja Franzose und heißt Jean Rabin, ein illegitimes Kind eines französischen Kapitäns. Aber der Vater wird ihn von Haiti mit nach Frankreich nehmen. Audubon, einer der begabtesten Lügner seiner Zeit, wird aus seinem Vater einen Admiral machen, der mit Washington bei Valley Forge gekämpft hat. Allerdings fand da nie eine Schlacht statt. Und aus seiner etwas geheimnisvollen Geburt wird die Legende werden, dass er der verlorene Dauphin des Hauses der Bourbonen sei. Die Ausbildung zum Maler und Zeichner will er bei Gérard und David erhalten haben. Nichts davon ist wahr. Es ist wahr, dass er einmal ins Gefängnis wandert, weil er einen Engländer namens George Keats um Geld betrogen hat. Dieses Geld hätte der Bruder von George besser gebrauchen können, denn es gehörte zum Teil ihm. Der Bruder heißt John, sitzt in London und schreibt Gedichte, die niemand liest. Aber wahr ist auch, dass Audubon durch halb Amerika zieht und seine Birds of America zeichnet. So ganz nebenbei ist der Münchhausen aus Amerika doch ein großer Künstler und Naturwissenschaftler. Als er nach Europa reist, um sein gigantisches Werk der Birds of America zur Subkription zu stellen und Gelder einzuwerben, da wird er sich nicht zurückhaltend kleiden wie der große Dandy Beau Brummell. Er erfindet für sich ein Phantasiekostüm eines amerikanischen Waldläufers. Wenn Natty Bumppo, der Held von Coopers Lederstrumpfromanen, so herumgelaufen wäre, hätten ihn seine indianischen Freunde ausgelacht. Aber in Europa kommt er damit an. Hier in den Salons von Paris und London wird der Franzose Audubon zum Amerikaner. Weil sich amerikanische Trapper besser verkaufen, als angebliche Schüler von David. Man findet diesen kultivierten Primitivismus chic. Daniel Boone, der wahrscheinlich die Basis für all diese neuen amerikanischen Helden ist, wird diesen Look sorgsam pflegen. Andrew Jackson wird sich ein ähnliches Image geben. Und am Ende des Jahrhunderts zeigt „Buffalo Bill“ Cody, dass dieser Look des amerikanischen Waldläufer-Dandies nicht totzukriegen ist. In England wird sich diese Mode nicht durchsetzen. Wenn man schon mit dem Wilden flirten möchte, dann liest man Lord Byron und trägt den Hemdkragen offen. Und außerdem ist man gerade auf einem Mittelalter Trip und verkleidet sich als Ritter. Und der Prince Consort entwirft schottische Tartans. Die englische Mode geht seltsame Wege.