Alan Bennett ist heute einer der beliebtesten Schriftsteller Englands, er hat lange schreiben müssen, bis die Literaturkritik ihm diesen Titel verliehen hat. Inzwischen wird er auch in Deutschland geschätzt. The Uncommon Reader (Die souveräne Leserin) hat da vieles geändert. Und in den letzten Jahren haben sich auch kleinere Erzählungen wie The clothes they stood in (Cosi fan tutte) und The Lady in the Van gut verkauft.
Am schönsten von ihm finde ich The Madness of George III. Als Film hieß es The Madness of King George, ohne das III. Man fürchtete, dass das amerikanische Publikum nach Teil I und II fragen könnte. Und natürlich zwei kleine bezaubernde Theaterstücke, die häufig als Doppelpack aufgeführt worden sind, An Englishman Abroad und A Question of Attribution. Beide Stücke, die auch für das Fernsehen verfilmt wurden, handeln vom Verrat. Von Engländern der upper class, die für Moskau spionieren. In beiden Stücken geht es um wirkliche Personen, um Guy Burgess und Anthony Blunt.
In An Englishman Abroad trifft Guy Burgess in Moskau auf die australische Schauspielerin Coral Browne (im Film spielt Coral Browne sich selbst, Alan Bates spielt Burgess) und bittet sie, für ihn in London einige Einkäufe zu machen. Er möchte einen neuen Anzug haben, das muss natürlich ein englischer Anzug sein. Was man in Moskau herstellt, das kann ein Gentleman, der in Eton und Cambridge gewesen ist, natürlich nicht tragen. Auch wenn er ein Vaterlandsverräter ist (Clothes have never been the comrades’ strong point. Besides, I don’t want to look like everybody else, do you?). Früher haben ihn Anzüge nicht interessiert I never cared tupppence for clothes before. I was kitted out in the traditional garb of my class. Aber jetzt, in der Einsamkeit von Moskau, da möchte er doch einen neuen englischen Anzug zur Identitätsgewinnung haben. Coral Brown nimmt seine Masse und geht damit in London zu seinem Schneider. Sie versucht, zuerst den Namen des Kunden geheim zuhalten, gibt ihn dann aber doch preis:
Tailor: We have two Mr Burgesses. I take this to be Mr Burgess G. How is Mr Burgess? Fatter I see. One of our more colourful customers. Too little colour in our drab lives these days. Knowing Mr Guy he’ll want a pinstripe. But a durable fabric. His suits were meant to take a good deal of punishment. I hope they have stood him in good stead.
Als Coral Browne den Schneider um Diskretion bittet, sagt der: Oh, Madam. Mum is always the word here. Moscow or Maidenhead, mum is always the word. Schneider sind offensichtlich verschwiegener als Spione. Bei einem zweiten Einkauf in einem anderen Geschäft weigert sich der Angestellte, Coral Browne Pyjamas zu verkaufen: The Gentleman is a traitor, Madam. Schließlich beliefere man die königliche Familie. Anzüge kann man bestellen, aber Pyjamas werden nicht an jeden verkauft, an dieser Stelle hat Alan Bennett für die Australierin Browne eine kleine Hassattacke auf die Verlogenheit der Engländer in das Stück geschrieben. Obgleich die Namen der beiden Firmen nicht genannt werden, hat sich Bennett diese Szenen nicht ausgedacht. Die ganze Geschichte ist wahr, der Anzug erreicht Guy Burgess an seinem Geburtstag 1958 in Moskau.
Der Film An Englishman Abroad von John Schlesinger war lange Zeit unerreichbar. Es gibt ihn jetzt zusammen mit allem, was Alan Bennett für die BBC geschrieben hat (also auch A Question of Attribution) in der Kassette Alan Bennett at the BBC (4 CDs), die man bei Amazon (teuer) und Amazon Marketplace (preiswert) bekommen kann.
Günter Erbe: Dandys – Virtuosen der Lebenskunst: Eine Geschichte des mondänen Lebens 

Über die Figur des Dandy ist viel geschrieben worden, natürlich auch von jenen Dandies, die selbst Schriftsteller waren, wie Barbey d’Aurevilly, Baudelaire oder Edward Bulwer-Lytton. Häufig ist das besser zu lesen, als was von Akademikern oder Feuilletonisten über den Dandy verfasst wird. Zumal sich die Akademiker sich auch nicht einigen können, welche Fakultät sich mit den Dandies beschäftigen soll. Man kann das in der Romanistik ansiedeln, dann wäre Hans Hinterhäuser einer der ersten, der sich mit dem Thema beschäftigt hat. Man kann von der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft herkommen wie Hiltrud Gnüg mit ihrem Buch Kult der Kälte, einem sprachlich nicht ansprechenden und sachlich fehlerhaftem Werk. Oder man kann das Thema von der jetzt neu etablierten Kulturwissenschaft her angehen – wenn man es nicht dem Feuilleton oder Karl Lagerfeld überlassen will.

Und von der Kulturwissenschaft kommt Günter Erbe, und sein Buch ist seit ganz, ganz langer Zeit das Seriöseste, was über die Dandies geschrieben worden ist. Es beginnt mit Beau Brummell (obgleich man sich hier vielleicht ein erstes Kapitel über die ersten Regungen des Dandyismus im ausgehenden 18. Jahrundert gewünscht hätte) und endet mit der Zeit von Marcel Proust. Führt dann aber noch das Thema mit einem Ausblick auf den Dandy im Zeitalter der Massenkultur weiter. Das Buch besitzt eine vorzügliche Bibliographie – da haben die Möchtegern Dandy-Theoretiker noch viel zu tun, bis sie sich da durch gearbeitet haben. Und zu allerletzt: die Buch ist nicht nur seriöse Kulturwissenschaft, es ist auch gut zu lesen! Da sagen wir doch chapeau! und ziehen unseren seidenen Zylinder. Und stellen ihn so auf dem Boden ab, wie Marcel Proust das in A la recherche du temps perdu beschreibt.

Fred Miller Robinson: The Man in the Bowler Hat: His History and Iconography 

Es geschieht nicht so häufig, dass Autoren eine Kulturgeschichte einer Kopfbedeckung schreiben. Ausser dem Buch von Fred Miller Robinson über den Bowler fällt mir dazu nur Hermann Marten von Eelkings charmantes Buch Das Bildnis des eleganten Mannes: Ein Zylinderbrevier von Werther bis Kennedy ein.

Aber während das eher eine nette Plauderei durch die Geschichte des Zylinders ist, ist The Man in the Bowler Hat das Buch eines Wissenschaftlers. Der amerikanische Literaturprofessor Robinson war 1986 in einem Artikel der Bedeutung dieses Huts bei Charlie Chaplin, Rene Magritte, Samuel Beckett und Laurel&Hardy nachgegangen. Aus diesem Aufsatz erwuchs dann dieses Buch, das den Weg des Bowler von seiner Entstehung im Laden von Lock in der St James’s Street in London in die Literatur und populäre Kultur nachzeichnet, eine Sozial- und Kulturgeschichte des Bowlers. Und auch noch reich illustriert! Das Buch ist zuerst 1993 bei der University of North Carolina Press erschienen. Es war schnell vergriffen. Deshalb hat der Verlag es jetzt in seiner Reihe UNC Press Enduring Editions als Paperback wieder auf den Markt gebracht. Es lohnt den Kauf unbedingt, auch wenn Sie keinen Bowler besitzen sollten.

John Harvey: Men in Black 

John Harvey von der Universität Cambridge hatte zuvor ein Buch über viktorianische Buchillustrationen geschrieben, und vielleicht liegt hier die Keimzelle seiner Kulturgeschichte der schwarzen Kleidung.

Denn das respektable Schwarz ist die Farbe, die wir mit den Viktorianern verbinden. Hat Viktoria nach dem Tod von Albert etwas anderes getragen? Und so scheint es nur logisch, wenn das erste Kapitel (Whose Funeral?) mit den Viktorianern beginnt. Aber natürlich geht Harvey in der Geschichte, der Kunst und der Literatur weiter zurück. Shakespeares Hamlet trägt schwarz, es ist die Farbe der Trauer, aber es ist auch die Farbe der Gelehrten. Quentin Tarantinos Helden tragen auch schwarz, was bedeutet es jetzt? Dieses ist die beste Kulturgeschichte (und Modegeschichte) der Farbe Schwarz.

Vorzüglich illustriert, von Delacroix‘ Porträt des Barons Schwiter bis zu Bela Lugosis Dracula und Mussolinis Leibwache. Es gibt kein besseres und geistreicheres Buch zu dem Thema als dieses. Die Freunde einer Organisation namens Men in Black, die extraterrestrische Wesen jagt, seien darauf hingewiesen, dass Tommy Lee Jones und Will Smith in diesem Buch nicht vorkommen. Linda Fiorentino leider auch nicht. Aber in diesem Fall kann man das einmal verschmerzen.

Dick Hebdige: Hiding in the Light: On Images and Things 

 

Dick Hebdige hatte sich 1979 mit seinem Buch Subculture: The Meaning of Style ganz nach vorne, in die erste Reihe einer neuen Generation von Kulturkritikern, geschrieben. Er hatte seinen M.A. in Birmingham an dem berühmten Zentrum für Contemporary Culture gemacht, und er erweist sich in seiner Schriften häufig als ein würdiger Nachfolger von Leuten wie Raymond Williams und Richard Hoggart. Die Sammlung von Essays Hiding in the Light kam zehn Jahre nach Subculture auf den Markt.

Man kann die Bedeutung beider Bücher schon daran ablesen, dass sie nach 30 respektive 20 Jahren immer noch lieferbar sind. Das können nicht viele Bücher zur Kulturkritik, deren Verfallsdatum häufig schon aufgedruckt zu sein scheint, von sich sagen. Hiding in the Light“ verdankt (ähnlich wie Subculture) Roland Barthes sehr viel, nicht einmal mehr in der Hinwendung zur Semiotik sondern eher in der Wahl der alltäglichen Objekte. Das Buch hat ein Motto von William Blake: To Generalize is to be an Idiot. To Particularise is the Alone Distinction of Merit. General Knowledges are those Knowledges that Idiots possess. Und da Hebdige kein Idiot sein will, wirft er sich aufs Detail.

Auf die Lambretta und Vespa Motorroller, ohne die es die Mods in England wahrscheinlich nicht gegeben hätte. Oder auf die Bedeutung der Zeitschrift The Face, das tausendfach imitierte Szenemagazin. Über style manuals der achtziger Jahre, über Pop Art und Pop Music Videos. Das alles wird unverbunden serviert, garniert mit ein wenig Theorie der Postmoderne und der Popular Culture Studies. Aber die Mischung geht auf. Leider kann uns Englands bester Kulturkritiker der achtziger und neunziger Jahre heute nicht mehr so genau sagen, wie es zur Zeit in England aussieht, er unterrichtet jetzt als Professor in Santa Barbara.

Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts besuchte der Herzog von York (der spätere König George VI) mehrfach Amerika. Er trug dabei einen grauen Zweireiher mit Kreidestreifen. Wahrscheinlich von Davies&Sons, dem Schneider, der schon seinen Vater eingekleidet hatte (und ein Jahrhundert zuvor Lord Nelson).
Der Kreidestreifen Zweireiher erregte grosses Aufsehen in Amerika, alle Hollywood Schauspieler liessen sich in den dreissiger Jahren so etwas in London anfertigen. Nicht mehr bei Davies&Sons, sondern bei Frederick Scholte in der Cork Street, dem berühmtesten Schneider der dreissiger Jahre. Der hatte den drape look erfunden, abgeschaut von den Uniformen der Gardeoffiziere, breite Schultern, schmale Taille. Aber nicht nur Hollywood Stars wie Gary Cooper, Clark Gable und Fred Astaire trugen diese Zweireiher. Der Anzug wurde auch die Uniform der amerikanischen Gangster, bei denen wurden die Revers, die Schultern und die Streifen noch breiter (der amerikanische Gangsterfilm hat auch noch zur Verbreitung dieses Looks beigetragen). Die amerikanische Zeitschrift Esquire hat vor Jahren als ein sartorial besonders abschreckendes Beispiel eines Gangsters im Zweireiher ein Photo von Adolf Hitler im Kreidestreifen Zweireiher abgedruckt.
Die nächsten, die den Zweireiher tragen werden, sind die schwarzen amerikanischen Jazzmusiker. Die überdimensionierten Anzüge werden zu einer Art Identitätsgewinnung und zu ihrem Markenzeichen. Das lässt sich noch steigern, wenn Anfang der vierziger Jahre die sogenannten zoot suits aufkommen, getragen von jungen Farbigen und jungen Latinos an der Westküste. Definitiv mehrere Nummern zu gross, die Jacketts reichen manchmal bis zu den Kniekehlen. So viel Stoffverbrauch gilt in Kriegszeiten, wo alles rationiert wird, als unpatriotisch. Es wird in Los Angeles und San Francisco zu den zoot suit riots kommen. Erstaunlich, was ein englischer Adliger mit einem zweireihigen Anzug alles anrichten kann.
Bei festlichen Anlässen ist festliche Kleidung angebracht. Adolf Hitler hat bei seiner Amtseinführung als Reichskanzler nicht seine Phantasieuniform getragen, sondern brav den Cutaway angezogen. Der ist für Diplomaten weltweit noch immer die Standarduniform (der Stresemann, benannt nach dem deutschen Aussenminister hat sich da nicht ganz durchgesetzt) bei feierlichen Anlässen am Tage. Auch amerikanische Präsidenten haben den lange am Tage der Inauguration getragen. Eisenhower trug da noch einen Zylinder. Und auch John F. Kennedy, der Hüte hasste, hat zur Amtseinführung einen Zylinder getragen. Willy Brandt hat 1972 in der Eile die falschen Sachen aus dem Kleiderschrank geholt. Er präsentierte der Presse sein Kabinett in den Hosen, die zu einem Cutaway gehören, kombiniert mit der Jacke eines Fracks. Das hat sich aber nicht durchgesetzt. Sozialdemokraten haben es ja nicht so mit den pompösen Kleidungsstücken. Gustav Heinemann begnügte sich immer mit dem schwarzen Anzug, und Wolfgang Thierse beendete als Bundestagspräsident die Tradition, dass der Präsident die Legislaturperiode im Cutaway eröffnet. Und Wilhelm Kaisen wäre nie im Leben in einen geliehenen Frack gestiegen. Ausser zur Bremer Schaffermahlzeit, da ist das vorgeschrieben, die achten noch auf Tradition. Aber auch da ist er im schwarzen Anzug gekommen. Man hat ihn aber trotzdem reingelassen

Der erste Präsident Amerikas, George Washington, wollte mit den aristokratischen Traditionen brechen. Seine Uniform aus dem Revolutionskrieg wollte er, der jetzt ein Bürger und kein General mehr war, nicht anziehen. Seinen Londoner Schneider, der ihm bisher die Anzüge gemacht hatte, konnte er jetzt als frisch gebackener Amerikaner guten Gewissens auch nicht mehr beschäftigen. Er ließ sich von einem amerikanischen Schneider einen Anzug aus einem grobgewirkten amerikanischen Stoff machen. In braun, nicht in scharlachrot oder königsblau. Trug allerdings schwarze Schuhe mit einer silbernen Schnalle zu den weissen Kniebundhosen. Die amerikanische Demokratie beginnt mit einem vestimentären Symbol, dem braunen Anzug aus homespun. Für die Reise nach New York musste sich George Washington hundert Dollar leihen. Großgrundbesitzer und Millionäre aus dem Süden haben nie Bargeld. Im späteren Leben ist Washington dann doch zu der Farbe der Diplomatie (und der Farbe seiner Uniform aus dem Revolutionskrieg) zurückgekehrt und hat dunkelblaue Jacketts über gelben Westen getragen.

Soviel bürgerliche Zurückhaltung mag sich der Prince of Wales, der George IV werden wird, nicht auferlegen. Für seine Krönungsfeierlichkeiten beschäftigt er alle Schneider Londons. Die Schneiderrechnungen belaufen sich auf zweistellige Millionenbeträge. Wird alles von den Franzosen bezahlt, die haben den Krieg verloren. George möchte ein grosser Dandy sein, wie sein Freund Beau Brummell. Aber die Freundschaft zu dem arbiter elegantiarum steht auf der Kippe. Zwar glaubt Brummell noch I made him what he is, and I can unmake him. Aber spätestens, seit er bei einem Empfang, zu einem Nebenstehenden gewandt, gesagt hat: Alvanley, who is your fat friend? ist sein Schicksal besiegelt. Seinfat friend verbannt ihn vom Hofe. Brummell, der die schlichte, zurückhaltende Eleganz erfunden hat, wird die sartorialen Missgriffe seines ehemaligen Freundes missbilligend beobachten. Vor allem, wenn George IV zum ersten Mal Schottland besucht. In einem Kilt, den er über rosa Strumpfhosen trägt. Sir Walter Scott, der den König in Edinburgh begrüsst, muss sich angesichts dieses Anblicks sehr beherrschen. Vielleicht ist der fette George die Vorlage für ein Märchen von Hans Christian Andersen gewesen, in dem es heisst: Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf hübsche Kleider hielt, dass er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er wird, zu Recht, das Opfer von Betrügern, bis endlich ein kleines Kind sagt Aber er hat ja nichts an! Hüten wir uns vor den Betrügern, die uns überteuertes Zeug anschnacken wollen, ob sie nun in Mailand sitzen und Armani heissen oder ob sie in der Savile Row sitzen und Huntsman heissen.

Als er Brief Encounter drehte, war sein Ruf als Schauspieler gesichert. Mit Carol Reeds The Third Man (für das Graham Greene das Drehbuch geschrieben hatte) wurde er wirklich berühmt. In einer anderen Graham Greene Verfilmung, The Heart of the Matter, hat er auch die Hauptrolle gespielt. Natürlich war er auch Captain Bligh in der Meuterei auf der Bounty. Und der Air Vice Marshal Keith Park in der Battle of Britain. Offiziere zu spielen gelang ihm immer, er war selbst einer im Zweiten Weltkrieg gewesen. War aber schon früh aus der Armee entlassen worden, angeblich wegen psychischer Instabilität. Wahrscheinlich hat er da schon getrunken. Er war ein legendärer Säufer. Ebenso wie Richard Burton, Oliver Reed und Peter O’Toole. Über die genialen Säufer der englischen Bühne gibt es ja hunderte von Anekdoten. Wenn mehrere Herren frühmorgens betrunken auf einer Londoner Straße lagen und Shakespeare zitierten, waren entweder Trevor Howard oder Peter O’Toole immer dabei. If I had all the money I’d ever spent on drink, I’d spend it all on drink, hat er einmal gesagt. Inzwischen gibt es nicht nur Anekdoten über die hellraisers sondern ein ganzes Buch von Robert Sellers: Hellraisers: The Life and Inebriated Times of Richard Burton, Richard Harris, Peter O’Toole, and Oliver Reed. Trotz ihres Alkoholkonsums haben die Herren es aber immer noch fertigbekommen, auf der Bühne oder vor der Kamera ihren Mann zu stehen und ihren Part zu spielen. Richard Burton kann ja meinetwegen soviel trinken wie er will, aber wie er mit seiner walisischen Sing-Sang Stimme Under Milkwood oder die Gedichte von Thomas Hardy spricht, das ist schon einsame Klasse.

Trevor Howard hat so ganz nebenbei auch Modegeschichte geschrieben. Nicht wegen dieses maßgeschneiderten Tweedanzugs (man beachte das lange Knopfloch am Revers!), sondern wegen des Kleidungsstücks, das er als Major Calloway in The Third Man trägt (während der Dreharbeiten soll er häufig auch noch seine alte Army Uniform getragen haben). Niemand hat in einem Dufflecoat so gut ausgesehen wie er. Ich ganz bestimmt nicht. Den ersten – den mir meine Eltern kauften als ich in einem Alter war, wo man sich noch nicht gegen den Geschmack der Eltern wehren kann – den habe ich gehasst. Meine Mutter hat mir dann noch ein rotes Tartanfutter reingenäht, damit er etwas hübscher aussah. Hat aber nicht viel geholfen.

Jahrzehnte später habe ich noch einen Versuch gemacht und mir eins dieser brettharten, schuß- und bißsicheren Teile gekauft, die man bei Ladage&Oelke in Hamburg bekommt. Trägt ja halb Hamburg und kommt sich damit furchtbar englisch vor. Aber mit diesem Dufflecoat bin ich auch nicht glücklich geworden, ich habe ihn eines Tages verschenkt, Englishness hin oder her.
Wir wissen natürlich alle, dass Monty so ein Teil getragen hat, aber eigentlich war der Dufflecoat ein Mantel der Royal Navy. So wie ihn Jack Hawkins in The Cruel Sea trägt. Erstaunlicherweise war er als Navyuniformstück nicht blau, der hatte genau die Farbe von Trevor Howards Mantel.
Wer den Mantel erfunden hat, ist nicht so ganz geklärt. Die Firma Gloverall, die immer noch diesen modischen Dauerbrenner herstellt, wird immer mit dem Teil in Verbindung gebracht. Allerdings hat mir ein Vertreter der Firma Tibbett einmal erzählt, dass seine Firma den Dufflecoat erfunden und als erste geliefert hat. Gloverall soll nur in dies Geschäft gekommen sein, weil sie nach Kriegsende die Reste der unverwüstlichen Navymäntel als navy surplus gekauft haben. Vielleicht ist diese Geschichte aber auch nur Seemannsgarn. Wie Gloverall ist Tibbett immer noch im Geschäft, auch wenn es nicht mehr die originale Firma ist, dafür steht jetzt der Name Montgomery auf dem Label der Dufflecoats.
Ich hoffe, Sie haben das bewundernd registriert, wie ich in einen Artikel über Trevor Howard eine kleine Geschichte des Dufflecoats eingeschoben habe. Ich komme damit Leserwünschen nach, die mir zum Jahresende übermittelt wurden, und die sich auf den Satz: wir wollen mehr Herrenmode in diesem Blog reduzieren lassen. Aber, mesdames et messieurs, die erste Woche des Jahres ist noch nicht zu Ende, und es gab schon Hüte und Dufflecoats. Mehr kann man nicht wollen.Wenn man wie Trevor Howard mit zwei Filmen (Brief EncounterThe Third Man) angefangen hat, die alle Filmkritiker zu den größten Werken der englischen Filmkunst zählen, dann wird man dieses Niveau nicht immer aufrechterhalten können. In dem doch etwas schrottigen Film Die Seewölfe kommen hätte er lieber nicht mitspielen sollen. Obgleich er auch diese Nebenrolle gut ausfüllt, er kann in Nebenrollen sehr gut sein. Wie zum Beispiel dem Dr. Rank in Loseys Verfilmung von Ibsens Nora (A Doll’s House 1973). Am besten fand ich Trevor Howard in einem Schwarzweißfilm, der überhaupt nicht mehr auf dem Markt zu bekommen ist, nämlich Carol Reeds Verfilmung von Joseph Conrad zweitem Roman An Outcast of the Islands. Mit einer Starbesetzung (Robert Morley als Almayer, Trevor Howard als Peter Willems und Ralph Richardson als Captain Lingard) war der Film 1953 bei den Kritikern ein Flop, gilt aber vielen Kritikern bis heute als die beste Joseph Conrad Verfilmung. Und manchen auch als die beste schauspielerische Leistung von Trevor Howard. So sagt Robert T. Moss – der jetzt das letze Wort über Trevor Howard haben soll – in seinem Buch über Sir Carol Reed: Trevor Howard, an actor of such consummate professionalims that he may never have given a less than competent performance, is at the top of his form in Outcast, which may be his best work as a film actor. It is most striking for the variety and intensity of passion that Howard was able to exhibit, a rare accomplishment from an actor whose countrymen are so noted for their sangfroid and emotional reserve. The spectrum of feelings through which Willem passes includes haughty smugness, disdain, ennui, cackling triumph, feverish love, rage, frenzy and morbid despair. His realization of these emotions never misses by a flicker.

Seit den neunziger Jahren hat es auf dem Buchmarkt eine ständig wachsende Zahl von Publikationen gegeben, die sich der Herrenmode widmeten. Gutbetuchte aber geschmacksunsichere Herren sind sicherlich für Bücher wie Dress for Success von John T. Molloy, Bernhardt Roetzels Der Gentleman oder die Bücher von Alan Flusser dankbar gewesen. Was aber fehlte, war eine kostüm- und kulturhistorische Darstellung der Herrenmode. Für die Damenmode gab es so etwas sicherlich, wahrscheinlich ist die Damenmode für Kunsthistoriker und Soziologen ja auch interessanter. Das beste Buch der neunziger Jahre war sicherlich A History of Men’s Fashion von dem Sorbonne-Absolventen Farid Chenoune, das bei Flammarion in Paris in französischer und englischer Sprache erschien. 336 Seiten stark, hervorragend gedruckt und überreich mit Illustrationen ausgestattet. Dazu Fußnoten, eine Bibliographie und ein Register. Was kann man sich mehr wünschen? Vielleicht, dass das Buch nicht so stark auf Frankreich ausgerichtet gewesen wäre. Das ist aber auch das einzige Manko dieses Buches, das nicht nur eine Modegeschichte sondern auch eine Kulturgeschichte ist. Vom 18. Jahrhundert bis zur Hip Hop Mode verfolgt der Verfasser alle Wege und Irrwege der Herrenoberbekleidung und behandelt die Mode im kulturellen Kontext der jeweilen Epoche. Farid Chenoune hat in den folgenden Jahren eine Vielzahl von Büchern geschrieben, kleine Portraits einzelner Firmen, eine Geschichte der Dessous und zwei voluminöse Bücher über Dior und Yves Saint Laurent. Aber keins dieser Bücher kommt an die History of Men’s Fashion heran. Der Flammarion Verlag wäre gut beraten, es wieder einmal neu aufzulegen.

William Beckford

Heute vor 250 Jahren ist er geboren worden (1.10.2010). Beruf: englischer Exzentriker. An dieser Spezies haben die Engländer ja keinen Mangel, wie Edith Sitwell in ihrem Buch gezeigt hat. Er ist Horace Walpole in vielem ähnlich, macht auch die Grand Tour und schreibt darüber, baut auch ein neugotischen Gebäude, schreibt auch eine gothic novel (Vathek). Als er vier oder fünf Jahre alt ist, wird er angeblich von Mozart unterrichtet (und angeblich hat Mozart die Melodie, die der kleine William Beckford spielte, später zu der Arie Non più andrai, farfallone amoroso verarbeitet), das kann Walpole nicht von sich sagen. Aber der eröffnet da schon sein Strawberry Hill, der Fürst von Anhalt-Dessau ist anwesend. Dieser Leopold III von Anhalt-Dessau ist ein Enkel vom alten Dessauer, und er ist ganz stark von der Anglomanie befallen. Diese Krankheit grassiert jetzt zum ersten Mal in Europa, weil die Engländer kulturell plötzlich Exportgüter haben: die englische Mode, der neu erfundene Regenschirm, der englische Roman, der englische Landschaftsgarten, der Palladian Style und jetzt noch die Neugotik.

Leopold (Friedrich Franz) III hat ein kleines Fürstentum, sein Imitator in puncto Landschaftsgarten und Schlossbauten, der Fürst Pückler, ist zwar auch Fürst, aber er hat kein Fürstentum. Leopold ist mit seinem Freund Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff auf Bildungsreise, und Erdmannsdorf wird ihm später alles zuhause bauen, was man in England so sieht. Hauptsächlich klassizistisch, aber mit dem Gotischen Haus auch etwas Neugotisches wie Strawberry Hill. Von seiner Anglomanie abgesehen, hängt Leopold auch an den Gedanken der Aufklärung. Er ist einer der wenigen deutschen Fürsten in dieser Zeit, die eine Politik der Toleranz betreiben, und er wird aus Anhalt-Dessau einen Musterstaat machen. Dafür sind seine Untertanen ihrem Vater Franz ewig dankbar. Und seine Parks sind heute Weltkulturerbe. Die Muskauer Parks von Pückler auch, aber der hat sich durch seine Anglomanie völlig ruiniert. Aber er hat uns diese wunderbaren Briefe eines Verstorbenen hinterlassen, die jeder Englandliebhaber lesen muss. Wenn man nicht alle Bände lesen will, dann sollte man zu der von Heinz Ohff (der auch eine nette Pückler Biographie geschrieben hat) edierten Ausgabe greifen. Die tausend Seiten reichen vielleicht auch.


William Beckford steigt später als andere in das Unternehmen Neugotik ein, weil er ja noch bei Mozart Klavierunterricht hat, als Strawberry Hill schon fertig ist. Aber er wird im grossen Stil seinen Landsitz Fonthill  (vorher im Palladian Style) zur Fonthill Abbey -manchmal auch Beckford’s Folly genannt –  (ganz oben in einem Bild von Turner) umbauen, er ist wahrscheinlich der reichste Mann Englands. Hat irgendetwas in der Grösse von einer Million Pfund Sterling geerbt. Multiplizieren Sie es mit 100 oder 120, um auf den heutigen Wert zu kommen. Fonthill entsteht vierzig Jahre nach Strawberry Hill – aber siebzig Jahre vor Neuschwanstein. Es gibt zu dem gigantischen neugotischen Kloster deutschen und englische Wikipedia Artikel, eine wirklich nette Fonthill Seite und eine interessante architektonische Computeranimation. Und natürlich gibt es auch einen englischsprachigen Artikel zu William Beckford.

Der Architekt James Wyatt war auf solche gothic revival Bauten spezialisiert, baute daneben aber auch gleichzeitig klassizistische Bauten wie zum Beispiel das Pantheon in der Londoner Oxford Street (1770-1772), das 1937 durch die Firma Marks und Spencer abgebrochen wurde. An Fonthill wurde von 1796 bis 1813 gebaut. Der Turm sollte mit 137 Metern höher sein als der der Kathedrale von Salisbury. Er stürzte aber bei den Bauarbeiten zweimal ein, als man die Höhe von 90 Metern erreicht hatte. Als er das dritte Mal einstürzte und das ganze Hauptgebäude zerstörte, da hatte Beckford Fonthill längst verkauft und war nach Bath gezogen. Von dem Größenwahn ist nur ein kleines Seitengebäude übrig geblieben.

Aber wir haben natürlich, da es sich kein Künstler in der damaligen Zeit nehmen ließ, Fonthill zu verewigen, genügend Abbildungen. Die ersten davon habe ich vor mehr als vierzig Jahren in einer kunsthistorischen Vorlesung über das 18. Jahrhundert an die Wand projiziert gesehen. Das Gothic Revival interessierte damals in der Welt der Kunstgeschichte ausser dem Engländer Kenneth Clark, der beim Penguin Verlag ein kleines Buch zu dem Thema geschrieben hatte (heute immer noch der beste Einstieg) eigentlich kein Schwein, um das mal salopp zu sagen. Ausser natürlich dem Professor Alfred Kamphausen, dessen hobby horse es war. Und der ähnlich wie Kenneth Clark ein Buch geschrieben hatte, sehr deutsch und sehr philosophisch (und Ortega y Gasset gewidmet). Es hieß Gotik ohne Gott. Ich hätte das Buch beinahe vergessen, wenn ich nicht in dem wirklich guten Buch Neugotik von Christian Baur immer wieder auf Kamphausen gestossen wäre. Aber die Bilder aus der Vorlesung habe ich natürlich nicht vergessen, und ein solches Bild von der Eingangshalle von Fonthill mit Blick zum Kuppelraum, das geht einem ja auch nicht wieder aus dem Kopf.

Ich musste damals – und auch heute – an die Nazis denken. Von so etwas muss Hitler doch geträumt haben! Und natürlich hat Kamphausen mit der schicken Formulierung Gotik ohne Gott Recht, während die Gotik ihre gigantischen vertikalen Räume ad maiorem dei gloriam baute, ist dies hier nur Inszenierung für William Beckford. Und dann stellt sich natürlich noch die ganz einfache Frage: wie heizt man das? Diese Eingangshalle ist 36 Meter hoch. Man kann da nicht wirklich wohnen.

Dies hier ist ein Seitenaufriss mit der kurzen (endgültigen) Version des Turmes. Bevor Beckford sein klassizistisches Schloss abriss und in seine Phantasieabtei zog (wo nur wenige Räume wirklich bewohnbar waren), hatte es ständig neue Änderungen der Planung gegeben. Der Turmbau von Babel, mit dem diese Bauarbeiten häufig verglichen worden sind, ist es ja ein geordnetes Unternehmen gegenüber diesem hier gewesen. Zuerst sollte es eine Kirche werden, die gleichzeitig eine Galerie für die Gemälde des Kunstsammlers Beckford enthielt. Die Galerie sollte später auch die Grabstätte des Besitzers von Fonthill sein. In einer Zeit des Ruinenkults denkt man ja schon früh an solche Dinge. Danach war ein überdachter Picknick Platz in Form einer Ruine im Gespräch.

Beckford sammelt Kunst, wie Walpole und Leopold III, aber bei ihm hat das schon etwas Manisches. Noch im hohen Alter, wenn er ein mürrischer (und manchmal bösartiger) alter Herr ist (Beckford very bitter and malin, notiert Disraeli), wird er die Preise auf Auktionen nur so zum Spaß in die Höhe treiben.  for the most part Beckford’s taste was that of his time, sagt Kenneth Clark, fügt aber hinzu though his wide knowledge and sensibility are rare in any age. Beckford hat nie eine Schule oder eine Universiät besucht, für den Millionär gab es nur Privatlehrer. Seinen Roman Vathek schreibt er auf Französisch. Pückler notiert dazu in seinen Reisebriefen: Früher hat Herr Beckford einen zwar sehr seltsamen, aber doch geistreichen Roman in französischer Sprache geschrieben, der auch mit vielem Beifall in’s Englische übersetzt worden ist. Ein großer Turm spielt auch darin eine Hauptrolle, und der Teufel holt zuletzt alles.

Der Privatlehrer des Hobbyarchitekten Beckford ist Sir William Chambers gewesen, und als Kunstlehrer hat er Alexander Cozens, der ein illegitimer Sohn des russischen Zaren ist. Das weiß man nicht so genau, ist aber auf jeden Fall sehr geheimnisvoll. Cozzens kann, wie man oben sehen kann, schöne Wolken malen. Das kann auch Philipp de Loutherbourg, den Beckford immer für Dekorationen seiner rauschenden Feste beschäftigt. Und diese rauschenden Feste hinter verschlossenen Türen (und hohen Mauern um das Grundstück) beschäftigen die Phantasie der Zeitgenossen. Schwarze Messen sollen da gefeiert werden. All das, was die Welt des Buches Liebe, Tod und Teufel: Die schwarze Romantik von Professor Mario Praz so ausmacht. Man muss bei dem grossen Mario Praz anmerken, dass er ähnlich wie Walpole, Leopold III und Beckford auch ein grosser Sammler gewesen ist und über die Jahrzehnte seine Wohnung in einem italienischen Palazzo zu einer Art Museum gemacht hat, was er sehr schön in The House of Life beschrieben hat.

Von einer dieser Feiern sind wir gut unterrichtet, weil viele der Beteiligten darüber geschrieben haben, es ist die einwöchige Weihnachtsfeier im Jahre 1800, als Fonthill Abbey noch nicht bezugsfertig ist. Beckford hat seinen Cousin, den Diplomaten und Kunstsammler Sir William Hamilton, eingeladen. Und dessen junge Frau Emma (wie sehen sie oben als Circe, von Romney gemalt). Die wiederum bringt ihren Liebhaber mit, den Admiral Nelson. Und zu Ehren von Nelson hat Philipp de Loutherbourg eine riesige, beleuchtete Admiralsflagge auf dem Turm angebracht. Und alle bewohnbaren Räume geschmackvoll ausgestaltet, Disneyland ist nichts dagegen. Lady Hamilton führt eines ihrer berühmten tableaux vivantes auf und kommt als Agrippina mit der Asche des Germanicus in einer Urne in den Saal. Allerdings können die Falten ihrer römischen Tracht nicht verhüllen, dass sie im achten Monat mit einem Kind von Nelson schwanger ist.

Der Maler Benjamin West ist auch einer der Gäste, von dem hat Beckford viele Bilder gekauft und seine Familie malen lassen (links Beckfords Großvater Peter Beckford). Unglücklicherweise für manche der Beteiligten hat Beckford auch den Dr. John Wolcot eingeladen, der unter dem nom-de-plume Peter Pindar einer der gefürchtetsten Satiriker Londons ist. Beckford liebt solche Leute, da macht es auch nichts, das Wolcott den Maler West in Versen verhöhnt hat und in einem Gedicht Sir William Hamilton geraten hat, sein Haus mit den gefälschten Kunstschätzen gut abzuschliessen. Weil seine junge Frau sonst bald wieder als Nutte auf der Strasse arbeiten würde.

Was bleibt von Beckford? Auf jeden Fall dieser bizarre Roman Vathek, der literaturhistorisch einen großen Einfluss hatte. Von Fonthill ist nicht viel übrig geblieben, aber es wird immer zu den Wegbereitern des gothic revivalgezählt. Wovon Beckford nun überhaupt nichts hielt. No, hat er gesagt, I have enough sins to answer for without having that laid to my charge. Das finde ich nun wirklich sehr witzig. Er ist ein geistvoller Mann, und ich kann als Lektüre nur den Bericht über seine Grand TourDreams, Waking Thoughts and Incidentsempfehlen, der glücklicherweise immer noch lieferbar ist. Als es damals erschien, hat Beckford die fünfhundert Exemplare der einzigen Auflage verbrannt, weil er glaubte, in diesen Briefen zuviel von sich selbst preiszugeben. Nicht ganz, fünf Exemplare haben überlebt, aus denen verschiedene Herausgeber später diesen Text rekonstruiert haben.

Horatio Nelson

Also so hat es auf keinen Fall ausgesehen, wie sich Benjamin West das vorstellt. Der Held der englischen Navy stirbt hier auf seinem SchiffVictory in dem Augenblick, in dem er Napoleons Flotte bei Trafalgar besiegt hat. In Wirklichkeit ist er unter Deck gestorben, vielleicht hat es so ausgesehen wie Arthur William Devis das gemalt hat. Das ist aber auch nicht so realistisch, da Nelson hier (wie auch bei West) irgendwie penetrant nach Jesus aussieht. Entweder Realismus oder Allegorie, ein Maler sollte sich schon entscheiden.

Heute (21.10.2010) vor 205 Jahren fand die Schlacht von Trafalgar statt, wo Nelson das berühmte Signal England expects that every man will do his dutyhat setzen lassen. Drei Wochen nachdem die Botschaft vom Tode Nelsons in London angekommen war, hat Benjamin West sein Gemälde begonnen. Sechsunddreißig Jahre nach seinem berühmten Bild vom Tod General Wolfes vor Quebec malt er wieder ein Bild, das sensationelle Aktualität mit der klassischen Komposition einer christlichen Ikonographie vereint. Und natürlich wollen jetzt auch noch (wie auf dem Bild vom Tod William Pitts im Parlament von John Singleton Copley) möglichst viele Beteiligte drauf sein, auch einfache Matrosen. Das ist nun ein wenig albern von West, dass er auf solche Details achtet, dass der echte Matrose von Kapitän Thomas Hardys Schiff Victory an der richtigen Stelle des Gemäldes plaziert ist. Manche der Matrosen, die ihm Modell stehen, sagen ihm auch, dass das alles gar nicht so war. Das weiß Benjamin West selbst, aber erst einmal sagt er: there was no other way of representing the death of a Hero but by an Epic representation of it. It must exhibit the event in a way to excite awe & veneration, and that which may be required to give superior interest to the representation must be introduced – all that can show the importance of the Hero. Aber das Thema wird ihn nicht loslassen, und zwei Jahre später hat er den Tod Nelsons noch einmal gemalt, doch dieses Bild im Besitz des National Maritime Museum Greenwich ist nicht so bekannt geworden.

The Death of Lord Nelson in the Cockpit of the Ship 'Victory' - BHC0566

Hier ist das Geschehen wie bei Arthur Devis unter Deck verlegt worden. Aber obgleich West über das Bild von Devis gesagt hatte, dass Nelsonshould not be represented dying in the gloomy hold of a ship, like a sick man in a prison hole, hat er ihn ähnlich gemalt. Diesmal ist das Sterben kein öffentlicher Tod auf der großen Bühne des Achterdecks. Hier ist das Geschehen in das Raumdeck verlegt (da wo immer die Verwundeten behandelt werden). Das Bild wirkt nicht nur durch diese Perspektive, bei der wir beinahe wie durch ein Schlüsselloch in Nelsons Kajüte schauen, sehr intim. Es ist auch die kleine Größe der Leinwand. 88 mal 73 Zentimeter, verglichen mit dem riesigen Bild in Liverpool (1,78 mal 2,44 Meter) ist das sehr klein. Es hat beinahe etwas von einer photographischen Sehweise an sich. Es wirkt auch durch diese Sicht (wie zum Beispiel die abgeschnittene Figur links und den abgeschnittenen Vordergrund) „moderner“ als das heroische Monstergemälde. Gustave Caillebotte wird am Ende des Jahrhunderts ähnliche Bildausschnitte finden.

Dies ist eine Auftragsarbeit für eine zweibändige Biographie des Seehelden gewesen (in der auch dieses Bilderschien), und da das Bild dafür als Kupferstich ausgeführt wurde, erschien West seine pathetisch großartige Version für das Buchformat unpassend. Hinzu kommt, dass West in diesem Jahr das Bild Rembrandts von der Ehebrecherin vor Christus beim Auktionshaus Christies gesehen hatte. Und diesen Chiaroscuro Lichteffekt à la Carravaggio wollte er jetzt auch einmal nachahmen, um sich selbst zu zeigen, dass er das auch konnte. Ich hätte da noch eine kleine Theorie (eher eine Arbeitshypothese), dass er mit diesem Bild ein ganz, ganz scheußliches allegorisches Bild künstlerisch vergessen machen wollte. Und dieses Bild heißt The immortality of Nelson.

The Immortality of Nelson - BHC2905

Das empfinden wir heute ja als ganz schlimmen Kitsch, und das ist auch 1807 schon ganz schlimmer Kitsch gewesen, diese Himmelfahrt des Viscount Nelson. Kunsthistoriker nehmen an dieser Stelle an,

dass West von Girodets Bild der Apotheose von Napoleons Marschällen beeinflusst ist, das er in Paris gesehen hatte. Wir bewegen uns hier im ganz Heroischen, sozusagen heroisch hoch zwei. Oder in der Welt vonkitsch as kitsch can. Ich gebe gerne zu, dass ich beinahe eine Stunde vor diesem Bild verbracht habe, als es in Hamburg im Rahmen der Ossian Ausstellung gezeigt wurde. Irgendwie schreiend komisch ist ja der mit goldenem Licht umrahmte gallische Hahn, vor dem der Adler weicht.
Vier Jahre vor seinem Tod hat sich Nelson in einer großen Abendgesellschaft mit Benjamin West unterhalten. Er bedauerte, dass er leider überhaupt kein Verhältnis zur Kunst besäße. But there is one picture, sagt er zu West, whose power I do feel. I never pass a paint [=print]-shop where your ‘Death of Wolfe’ is in the window, without being stopped by it. Warum West denn nicht mehr solcher Bilder male? Because, my Lord, there are no more subjects, entgegnet West. Damn it. I didn’t think of that, sagt daraufhin Nelson. Und an diesem Punkt bekommt die Unterhaltung plötzlich etwas Makabres. Nelson daran erinnernd, dass er im Kampf für sein Vaterland ja schon einen Arm und ein Auge verloren hat, sagt West: But, my Lord, I fear your intrepidity will yet furnish me with such another scene; and if it should, I shall certainly avail myself of it. Ist das jetzt der berühmte schwarze englische Humor? Nelson antwortet in einem ähnlichen Ton: Will you? Will you, Mr West? Then I hope I shall die in the next battle. Und dann gießt Lord Nelson Champagner in die Gläser und die beiden Herren stoßen auf dieses Versprechen an.

Obgleich Benjamin West sicher schon ein halbes Dutzend Mal seit dem Januar in diesem Blog aufgetaucht ist, halte ich ihn nicht für einen wirklich großen Maler. Für einen interessanten Maler schon. Und das kleine Bild vom Tode Nelsons im Bauch des Schlachtschiffs Victoryhalte ich für eins der besten Bilder des Malers. Die Kunstgeschichte hat sich wenig um dieses Bild gekümmert (um das Spektakuläre mit dem Tod von General Wolfe umso mehr). Der berühmte Robert Rosenblum hat einen kleinen Aufsatz zu dem Bild in der Festschrift für Werner Hofmann, Kunst um 1800 und die Folgen (1988), geschrieben. Der Artikel wurde im gleichen Jahr für den hervorragenden KatalogTriumph und Tod des Helden: Europäische Historienmalerei von Rubens bis Manet recycelt. Allerdings geht Rosenblum, und das ist bei einem Mann von seinem Ruf wirklich enttäuschend, in seinem Aufsatz kaum über das hinaus, was in dem Benjamin West Katalog von Helmut von Erffa und Allen Staley steht. Der Katalog bleibt nach einem Vierteljahrhundert immer noch das letzte Wort zu Benjamin West (auch wenn der berühmte Simon Schama das in seinem  Buch Dead Certainties nicht so richtig begriffen hat). Über die Victory gibt es eine Wikipedia Seite, bei der allerdings auch Komiker am Werk waren. So gibt es die Seite auf Altenglisch, und in einer Sprache namens Simple English. Wenn Sie eine seriöse Geschichte der Royal Navy lesen wollen, dann gibt es nur N.A.M. Rodgers The Command of the Ocean: A Naval History of Britain, 1649-1815 (Penguin 2006). Da gibt es keine zwei Meinungen. Falls Ihnen die 900 Seiten zu viel sein sollten und Sie nur an der Zeit Nelsons interessiert sind, dann gibt es kein besseres Buch als David Davies‘ A Brief History of Fighting Ships(Paperback 2002). Zweihundert Seiten stark, und selbst Leser, die keinerlei nautischen Kenntnisse besitzen, wissen hinterher alles über Nelson und seine Leistung für die Royal Navy.

Falls Sie nun noch an der Uniform von Lord Nelson interessiert sein sollten und daran, welche Wechselwirkungen es zwischen Herrenmode und Marineuniform in der damaligen Zeit gibt, dann kann ich nur den wunderbaren Katalog von Amy Miller,Dressed to Kill:  British Naval Uniforms, Masculinity and Contemporary Fashions 1748-1857 empfehlen. Ich bin ja sowas von dankbar, dass ich den vor Jahren zu Weihnachten geschenkt bekommen habe. Vor allem nachdem ich gesehen habe, dass man dafür heute bei Amazon (und auch bei amazon.co.uk) 88 Euro auf den Tisch legen muss. Mein Tipp für echte Uniformliebhaber, beim amerikanischen Amazon gibt es den Katalog für 31 Dollar und 12 Cent.