Falls Sie gerade einen ➱Morning Coat oder einen eleganten dunklen Anzug tragen, weil sie heute heiraten (das tun ja heute viele), dann betrifft Sie das hier jetzt nicht. Falls Sie in Köln und Umgebung wohnen und schon die Narrenkappe aufgesetzt haben oder gerade ihren Mantel in zwei Teile zerschneiden (schließlich ist heute Martinstag), dann brauchen Sie das auch nicht zu lesen. Aber für alle anderen gilt die Frage: haben Sie eine Cordhose oder ein ➱Cordjackett an? Denn heute ist Corduroy Appreciation Daythe most important day, EVER für die Mitglieder des ➱Corduroy Appreciation Clubs. Und das hat einen simplen Grund: weil die Zahl 111111 den Rippen des Cords ähnelt. Sagen Sie jetzt bitte nicht how daft can you get? Ein bisschen Spass muss sein. Auch in Amerika.

Jemand namens Corduroy Day hat auch eine Seite bei ➱Facebook, hat aber offensichtlich kaum Freunde. Peek und Cloppenburg sind auch bei Facebook, und in dem Augenblick, in dem ich dies schreibe, haben sie 44.255 Freunde. Der P+C Ableger Ansons hat nur 4.017, der HerrenausstatterBraun in Hamburg 1.644 Freunde (immerhin). H+M haben natürlich 8.638.338. Aber wenn die Klamottenhändler gestern um Mitternacht auf ihre Facebookseiten geschrieben hätten: Heute alle Cordhosen + Cordjacketts 50%, dann hätten sie noch viel mehr Freunde. Vor genau einhundert Jahren hat Anton Pannekoek in der Bremer Bürgerzeitung die Frage gestellt, welche Rolle bisher Massenaktionen in der Geschichte spielten, und ob solche Aktionen auch für die Zukunft zu erwarten sind. Es ging dabei nicht um die Vorhersage, dass es eines Tages Facebook geben würde. Es ging um den Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus. Einen Corduroy Appreciation Day brauchte man vor hundert Jahren noch nicht, weil damals das Proletariat Cord trug.

Ich werde heute natürlich eine Cordhose tragen, tue ich sowieso bei diesem Wetter meistens. Und dies schöne Bild hier ist kein Versehen. Das ist ein Cord. Gehörte neben dem ➱Duesenberg oder dem ➱Auburn zu dem Schönsten, was in Amerika gebaut wurde. Das wäre heute am Corduroy Day natürlich das Ultimative: Cord tragen und einen Cord fahren. Oder noch besser: mit einem Cord beim Standesamt vorfahren und in einem Cordanzug heiraten. Danach einen Cordmantel in zwei Teilen schneiden und einen davon einem frierenden Bettler geben. Und abends eine Martinsgans mit Rotkohl und Klößen essen. Und danach Bummela Bummelaterne laufen – das muss an diesem Tag alles sein.

 

Einer der Freunde meiner Eltern war ein Bremer Wollkaufmann, der zweimal im Jahr mit seiner ➱Isabella (Bremer schworen ja auf Bremer ➱Autos) nach Neumünster fuhr. Das ist über ein halbes Jahrhundert her (damals sah die Herrenmode so aus wie auf dieser alten Regent Anzeige), heute würde kein Bremer Wollkaufmann mehr freiwillig nach Neumünster fahren. Aber damals bedeutete Neumünster noch viel in der Welt der Tuche, ein englisches Fachlexikon verzeichnete sogar einen Begriff wie Neumuenster Tweed, und Hermann Marsian mit seiner Bekleidungsfabrik Maris war (neben der Firma Nortex) einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Das Industriezeitalter begann in Neumünster 1824, als die Tuchfabrik Renck eine Dampfmaschine aus England importierte. Wenn aus dem Flecken Neumünster im Jahre 1870 eine Stadt wird, stiftet der Tuchfabrikant Renck einen Park. Den Renckschen Park gibt es heute noch, vom Rest der textilen Herrlichkeit (die natürlich auch eine Geschichte der Ausbeutung der Arbeiter ist, darüber vielleicht ein anderes Mal mehr) ist nichts mehr zu sehen. Als alles den Bach runter ging, versuchten sich Marsian et.al. mit Fabrikverkäufen und vertickten Rheumadecken an Omas auf Bustouren in die Lüneburger Heide. Heute haben sie in Neumünster nur noch ein Textilmuseum und das einzige, was heute noch fashionistas an Neumünster interessiert, ist die Firma Julius Harai.

Es ist nicht nur die Industrie in Neumünster, die im letzten halben Jahrhundert untergegangen ist. Von den Anzugfabriken von Flensburg (Anders Matthiesen, Herrenkleiderfabrik) bis Lübeck (Hermann Rieckmanns Firma Rikson, vorher in Stettin) ist nichts geblieben. Und auch in den anderen traditionellen Zentren der deutschen Konfektionsindustrie (wie Mönchengladbach, Barmen-Elberfeld, Kräwinklerbrücke [Tuchfabrik J.W. Lausberg] und dann der ganze Raum Ostwestfalen) sieht es kläglich aus. Die Kieler HELA Kleiderwerke waren natürlich irgendwie mit Hettlage&Lampe verbandelt (daher der Name), die ursprünglich aus dem westfälischen Dorf Mettingen stammten. Man nennt Mettingen auch die Wiege des europäischen Textilhandels, mit gutem Grund. Denn die Hettlages und die Lampes stammten wie die Brenninkmeyers, Boeckers und Stockmanns aus diesem westfälischen Kaff. Wenn eines Tages die Kieler HELA Kleiderwerke in der Rendsburger Landstraße, die auf Herrenhosen spezialisiert waren, ihren Laden dichtmachten, gab es in Schleswig-Holstein keinen erwähnenswerten Hersteller mehr (die kleine Produktionsstätte von ➱Jil Sander ist auch längst geschlossen worden).

Wo sind sie alle hin? Warum haben wir in Deutschland in vielen Sparten eine florierende Industrie und sind Weltmeister im Exportieren, aber haben niemanden mehr, der gute Büxen näht. Weil der Chinese eine 裤子angeblich billiger näht. Ich habe letztens jemanden sagen hören, an deutschen Produkten der HAKA gäbe es nur noch die Firma Trigema und die Firma Regent. Die Firma Trigema ist die mit dem Affen und dem Eigentümer Wolfgang Grupp, der auch der König von Burladingen genannt wird. Er trägt immer etwas überkandidelte Kleidung, hat aber häufig sehr vernünftige Ansichten. Die Firma Regent hat keinen Affen und keinen Wolfgang Grupp und auch nicht so viel Fernsehauftritte, vielleicht sollten sie im fränkischen Weißenburg mal darüber nachdenken. Entweder Affe oder Fernsehen, anders geht das heute nicht. Vor allem, wenn man noch ein Regent und noch kein König ist.

In den sechziger Jahren gab es keine Schwierigkeiten, eine gute deutsche Hose in einem Laden zu finden. Ganz oben auf der Qualitätsskala waren zwei Firmen, HELA und Regent. HELA gab es (trotz der Namensgleichheit) nicht bei Hettlage & Lampe sondern nur beim Herrenausstatter, also da, wo man auch Regent Hosen kaufen konnte. Die Qualität dieser ➱Hosen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, war unübertroffen – ich träume manchen Regent-Hosen aus den sechziger Jahren immer noch nach. Um an solche Qualität heranzukommen, muss man heute für eine Hose aus Italien von Valentini oder Incotex viel Geld auf den Tisch legen. Aus irgendwelchen Gründen geht in Italien noch das, was anderswo nicht mehr geht. Während es kaum noch deutsche Weber gibt (waren Gaenslen & Völter die letzten, die zumachten?) und auch in ➱Bradford und Huddersfield nur noch einige Firmen wie Wain Shiell (die jetzt Scabal gehören) existieren, gibt es in Italien noch Webereien en masse.

So furchtbar viel mehr als gute Hosen machte die Firma Regent vor fünfzig Jahren auch noch nicht. Sie steckten ja auch noch in den Anfängen, es gibt die Firma erst seit 1946 – und es gibt eine zahlenmäßig große Konkurrenz. Gegründet wurde Regent von dem Schneidermeister Henryk Barig und Michael Aisenstadt, zwei Polen, die als Kriegsgefangene nach Weißenburg gekommen waren. Die Festung Wülzburg oberhalb von Weißenburg, in der im Ersten Weltkrieg schon Charles de Gaulle interniert war, diente im Zweiten Weltkrieg als Internierungslager. Der Prager Komponist Erwin Schulhoff ist hier in der Gefangenschaft gestorben. Unsere beiden jüdischen Internierten haben die Gefangenschaft überlebt und begannen nach Kriegsende in Weißenburg mit der Herstellung von Oberhemden. Wie mögen sich die beiden in dem fremden Land gefühlt haben? Die Firmengründer Henryk Barig und Dr. Michael Aisenstadt machen sich auf, Handwerk und Design nach ihren eigenen Vorstellungen zu verschmelzen, steht auf der Regent Internetseite. Gefolgt von dem noch schwachsinnigeren Satz: Zuerst stellte man nur Hemden her, doch zeigen sich bereits hier außergewöhnliches Raffinement und ein selbstbewußter Gestaltungswille. Wer so etwas schreibt, der glaubt auch, dass die Kunden den Intelligenzquotienten einer Roßhaarplackeinlage haben. Ich glaube die beiden waren 1946 froh, mit dem Hemdennähen ein Auskommen zu haben.

Mit dem Anfang nach 1945 hat die Firma gegenüber vielen Textilfirmen einen Vorteil (an den damals werbemäßig allerdings niemand dachte): sie ist frei von einer dunklen Vergangenheit wie sie zum Beispiel die Firma Hugo Boss auszeichnet. Die haben sich ihrer Nazi-Vergangenheit ja erst sehr, sehr spät gestellt (immerhin sind sie im Jahre 2000 der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beigetreten). In den Hochglanzprospekten einer Weltmarke macht sich eine Nazi-Vergangenheit nicht so gut, und man verdrängt wie der Rest der deutschen Konfektionsindustrie diese Zeit sehr gerne. Lesen Sie doch einmal den Wikipedia Artikel zu Herbert Tengelmann, dann wissen Sie was ich meine. Über den Kriegsverbrecher ➱Walter Többens aus meinem Heimatort, der einmal der größte Textilunternehmer im Warschauer Getto war, habe ich schon einmal geschrieben.

Mein erstes Regent Jackett kaufte ich mir im Sommerschlussverkauf 1965 bei dem Schneidermeister H. Kolbe in den Großen Bleichen in Hamburg für 75 Mark, das war ein Viertel meines monatlichen Wechsels als Student. Ich wusste, was ich tat, denn ich kannte die Firma damals schon. Was natürlich daran lag, dass mir ➱Albert Dahle von der Vegesacker Firma Karl Kass immer die Fachzeitschriften wie zum Beispiel das ➱Herrenjournal lieh (oder manchmal auch schenkte). Im Herrenjournal der damaligen Zeit spielte allerdings die Firma Regent keine große Rolle, sie gehörten nicht zu den Marktführern, was die Zahlen anbetrifft. Und was die Qualität anbetrifft muss man sagen, dass es damals noch eine Vielzahl von kleinen Firmen gab, die auf dem gleichen handwerklichen Niveau produzieren konnten. Das ist – um einen Vergleich zu geben – ähnlich wie in der Schweizer Uhrenindustrie: auch da gibt es vor fünfzig Jahren noch eine Vielzahl von inhabergeführten Uhrenfabriken, die qualitativ auf dem gleichen Niveau wie die großen Namen sind. Aber außer den Sammlern kennt heute keiner ihre Namen mehr. Sie sind genau so untergegangen wie die westdeutsche Konfektionsindustrie (oder die westdeutsche Photoindustrie). Unter anderem deshalb, weil sie Qualität hergestellt haben.

Das Regent Jackett, das für die damaligen Verhältnisse erstaunlich leicht war – was sicherlich daran lag, dass da keine dick verklebten Einlagen drin waren, die die Kleidung der 50er Jahre geradezu schuß- und bißsicher machte – hatte innen drin noch nicht das elegante, coole Firmensignet. Auf dem hellbraunen Bemberg Seidenfutter prangte ein barockes Phantasiewappen, so wie es sich für einen Regenten gehörte. Zu der Zeit, als mich mir das Jackett kaufte, hatte Regent beim Deutschen Patent- und Markenamt eine neue Wortmarke namens Esquire registrieren lassen. Ich zitiere mal eben aus dem Registerauszug, danach galt der neue Markenname für: Anzüge, Sakkos, Hosen, Sport- und Freizeit- Bekleidungsstücke, Herrenmäntel, Herren-Oberbekleidungsstücke aus gewebten, gewirkten und gestrickten Stoffen, sämtliche Waren für den Export bestimmt. Der Markenname Esquire wurde erst im Jahre 2005 aus dem Register gelöscht. Mein erster Auftritt mit dem schönen neuen dunkelgrünen Glencheck Jackett entbehrt übrigens nicht einer gewissen Komik, weil ich mir im Nordexpress von Hamburg nach Bremen das Abteil mit einem dänischen Herren teilte, der genau das gleiche Jackett anhatte wie ich. Wir vermieden jegliche Konversation.

Die Firma Regent stellte in den sechziger Jahren, nachdem sie zuerst von der Hemdenproduktion zur Produktion von Casuals (wie Skianzüge und Freizeitjacken) übergegangen war, inzwischen das volle Programm der HAKA her, in erstklassiger Qualität und vielleicht ein wenig langweilig. So wie der Herr oben auf seinem roten Mercedes 190 SL. War werbemäßig ein klein bisschen blöd, wo jeder in Deutschland bei diesem Auto nur an Rosemarie Nitribitt dachte, aber die ikonographische Beigabe Mercedes musste im Wirtschaftswunderland eben sein. War ja auch wie Regent (und hundert andere kleine Hersteller) Made in Germany. Aber obgleich man schon von den geheimen Verführern gehört hatte, war man in der Werbung immer noch ein wenig naiv (Windsor hatte von Anfang an eine bessere Werbung). Das gilt auch für das Bild unten aus dem Herrenjournal, heute würde es solche Modezeichnungen nicht mehr geben. Sie verraten natürlich viel über den Geist der Zeit, mehr als manche Geschichtsbücher. Der französische Historiker Lucien Febvre hat einmal seinen Kollegen empfohlen, sich weniger mit Helden und Schlachten zu beschäftigen und sich stattdessen dem Studium der Knöpfe, sprich der Alltagskultur, zu widmen.

Die in den sechziger Jahren gegründete Firma ➱Windsor war modisch wagemutiger als Regent. Damals unterschieden sich beide Firmen kaum in der Qualität ihrer Produkte, sie unterschieden sich auch kaum im Preis. Regent hatte sich noch nicht in die Höhen bewegt, wo ➱Brioni (gleich alt wie Regent) und Kiton (gegründet 1968) herrschten. Und all diese anderen Italiener: ➱Caruso, Belvest, ➱Nervesa, Pal Zileri, ➱Ermenegildo Zegnayou name them. Zu denen noch andere Firmen kamen, die ein trading up vollzogen hatten, wie zum Beispiel Canali (früher Cafra) oder Corneliani.

Aus einer wohl repräsentativen Umfrage des Jahres 1987 kann man entnehmen, dass Regent auf Platz 88 einer Bekanntheitsgradliste stand. Windsor hatte es immerhin auf Platz 44 geschafft, Boss auf 11. Trigema war auf Platz 26, so ein Affe macht doch viel aus. Numero Uno war natürlich Adidas. Die Firma Van Laack war mit einem Bekanntheitsgrad von 13% nur auf Platz 116. Aber der berühmte Hemdenhersteller aus Mönchengladbach wurde das Schicksal für die damals still dahin siechende Firma Regent.

Die traditionsreiche Firma war 1986 von den Enkeln der Firmengründer an eine gewisse IPG Fashion Holding verkauft worden, hinter der die Familie Quandt steckte. Sicherlich die reichsten Leute in Bayern wenn nicht in Deutschland. Günther Quandt verdankt den Nazis seinen Aufstieg und sein Vermögen, weshalb er nicht in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, das wissen die Götter. Der Quandt Junior Stefan holte sich mit Rolf Schuemann einen Spezialisten ins Haus und gab ihm viel Spielgeld, damit der aus Van Laack einen Weltkonzern machte. Flagship Stores in New York und an der Rue de Fauborg St. Honoré in Paris, Old Bond Street in London und solche Dinge. Man entwickelte einen Zehnjahresplan, um ganz oben in der Welt dabei zu sein. Und dazu gehörte natürlich nicht nur ein Ziel von 35 Luxusboutiquen weltweit, dazu gehörte eine Vollkollektion. Also kaufte man die Firma Regent in Weißenburg. Und seitdem haben die Jacketts und Anzüge von Regent den berühmten Dreilochknopf der Firma Van Laack.

Man kann hier natürlich mit Brecht sagen Ja, mach nur einen Plan Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan Geh‘ n tun sie beide nicht. Der gesunde Menschenverstand hätte einem sagen können, dass das nichts wird, aber mit dem gesunden Menschenverstand ist das so eine Sache, wenn die Marke… ganz oben direkt unter der Luxusschiene positioniert werden soll. Dazu gehörte, dass Regent seine Preise verdoppelte, weil man ja jetzt der deutsche Brioni (oder ➱Kiton) sein wollte. Was erstmal dazu führte, dass die meisten gutbürgerlichen Herrenausstatter in Deutschland Regent aus dem Sortiment schmissen. Irgendwann verlor Stefan Quandt das Interesse an seinem Spielzeug und Van Laack und Regent standen zum Verkauf.

Mir wäre es ja eigentlich völlig gleichgültig, wie Jungmillionäre ihr Geld verbrennen, aber ich möchte an dieser Stelle doch einmal an die Adresse der Quandts sagen, dass die vielen Zwangsarbeiter sicher dankbar gewesen wären, wenn sie einen klitzekleinen Teil von den Millionen bekommen hätten, die in den Quandt Jahren bei Van Laack für Werbung verpulvert wurden. Denn im Gegensatz zu der Firma Hugo Boss, die der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beigetreten sind, hat sich die Familie Quandt hartnäckig geweigert, die von ihnen ausgebeuteten Zwangsarbeiter in irgendeiner Form zu entschädigen. Der NDR hat vor Jahren einen hervorragenden Dokumentarfilm, ➱Das Schweigen der Quandts, gesendet, den man glücklicherweise unter dem obigen Link im Internet sehen kann. In dem Film tritt auch ein Sven Quandt, von Beruf Rallye-Fahrer auf, der so schöne Sätze sagt wie: Wir müssen endlich mal versuchen, das zu vergessen. Es gibt in anderen Ländern ganz ähnliche Dinge, die passiert sind. Auf der ganzen Welt. Da redet keiner mehr drüber.

Der nächste Besitzer von Regent hieß Tombolini. Er heißt immer noch so, die Mutterfirma mischt sich nach den ersten Irrungen und Wirrungen nur nicht mehr so ein. Dass sie noch da sind, kann man ganz unten auf der Internetseite von ➱Regent sehen. Von einer Verlagerung der Produktion nach Italien ist nicht mehr die Rede, auch der Ausbau der Produktion in Wroclaw (als die Stadt noch Breslau hieß, war sie ja mal eins der Zentren der deutschen Herrenkonfektion) ist vom Tisch. Man will wieder Made in Germany sein. Das ist ja sicherlich im Zeitalter einer immer groteskere Formen annehmenden Globalisierung begrüßenswert, wenn auch ein Wagnis. Ich werde es nicht vergessen, wie Heinz Dressler, der Besitzer der Firma Eduard Dressler, kurz vor dem Untergang seiner Firma in einem Interview fassungslos berichtete, dass ihm die Gewerkschaften vorgeworfen hätten, zu lange am Standort Deutschland festgehalten zu haben. Da ist er wieder, der angebliche Standortnachteil. Für die Firma Sig Sauer in Eckernförde (oder Heckler & Koch in Oberndorf) ist das überhaupt kein Thema, die Welt wäre wahrscheinlich unglücklich, wenn Handfeuerwaffen nicht aus Deutschland kämen. Aber bei so etwas Zivilem wie der Herrenoberbekleidung bricht gleich das große Lamentieren aus, wenn vom Standort Deutschland die Rede ist. Zu teuer, nicht zu bezahlen. Ein Kleidungsstück reist heute in seiner Entstehung einmal um die Welt (kostet offensichtlch nix), lesen Sie doch einmal diese ➱Rezension von Pietra Rivolis Buch The Travels of a T-shirt in the Global Economy: An Economist Examines the Markets, Power, and Politics of World Trade. Oder lesen Sie gleich Naomi Kleins Buch No Logo, kommt aufs gleiche raus.

Sie sind wagemutig in Weißenburg, wenn sich sich gegen diesen Globalisierungsunsinn stellen. Angeblich honorieren die Kunden das. Man kann es nur hoffen. Die Frage bleibt, welche Zielgruppe man erreichen will. Die von der Geiz ist Geil-Seuche Befallenen sind wahrscheinlich nicht die Kunden der Zukunft. Man lässt in der Firma durchblicken, dass Helmut Schmidt immer Regent getragen hätte. Das ist keine gute Reklame, genau so schlecht wie das Werbephoto mit diesem Dorian Gray Verschnitt hier (nein, nicht dem da unten). Was soll aller schneiderischer Aufwand, wenn das hinterher so aussieht? Hält irgendjemand in der Firmenleitung so etwas für verkaufsfördernd?

Helmut Schmidt sah trotz Regent immer so aus, als trüge er C&A Anzüge, in denen er zwei Tage gepennt hatte, damit kann man werbemäßig keinen Blumentopf gewinnen. Und die Werbung mit Ex-Kanzlern ist sowieso ein zweischneidiges Schwert, wenn wir an den Brioni-Kanzler Schröder denken. Wenn man in Weißenburg einfließen lässt, dass Franz Josef Strauß Anzüge von Regent getragen habe, dann ist das vielleicht in Bayern ein Verkaufsargument, aber auch nur da. Nirgendwo sonst. Kann man nicht einmal fett damit werben, dass man zu Hause in Deutschland sehr gute handwerkliche Qualität herstellt? Der Werbespot mit Ernst Post von der Firma ➱Liqui Moly ist doch voll O.K. Man sollte auch nicht andeuten, wie ich es mal gelesen habe, dass viele Industrielle (zum Beispiel Jürgen Schrempp) und Banker Anzüge von Regent tragen. Damit konnte man vielleicht einmal werben, als die noch nicht Nieten in Nadelstreifen hießen und Banker noch kein Schimpfwort war.

Man sollte auch nicht ständig den Vergleich mit Brioni und Kiton suchen. Regent braucht mehr Werbung titelte die Badische Zeitung vorgestern. Ganz  meine Meinung, allerdings war damit nicht die Firma in Weißenburg gemeint, sondern eine Rotweinsorte, die nicht in Konkurrenz zum Spätburgunder trete, sondern eine ideale Ergänzung und vor allem bei internationalen Weinkennern beliebt sei. Das sollte man sich bei Regent mal merken. Und da ich gerade bei konstruktiver Kritik bin: Lieber Herr Diehm, wenn Sie als Firmenchef so herumlaufen – meinetwegen. Aber das da am Arm, das geht nun gar nicht. Ich fasse es nicht, in der Welt, die sich um Stil bemüht, trägt noch jemand eine Rolex! Wie war die Schlagzeile der Süddeutschen zum ➱MCM Revival? Richtig, Aääh, mach das weg!!! [P.S. Man hat bei Regent reagiert, das Bild von Detlev Diehm mit der Rolex am Arm findet sich nicht mehr im Netz]

Ich habe seit Jahrzehnten immer wieder mal Teile von Regent gekauft, vieles trage ich nach Jahrzehnten noch. Ich habe auch einen tollen Smoking von Regent, habe ich gleich das Etikett draus entfernt. Für mich sind das Kleidungsstücke, keine Reliquien oder Statussymbole. All denen, die eine Firmenlabel-Vergötterung betreiben, die an die sapeurs in Brazzaville (oben) erinnert, empfehle ich die Lektüre des wunderbaren Buches Meine Kleider von Alfred Kantorowicz. Danach nehmen Sie das nicht mehr so ernst.

Die Werbung könnte ja auch einmal betonen, dass diese Sachen zum Leidwesen der Firma auch sehr lange halten. Slow Wear ist heute doch ein angesagtes Thema. Und was ich bei aller Grandiosität der Werbung vermisse: wo ist der Humor? Also jetzt mal von Trigemas Affen abgesehen. So ein bisschen schöner  tongue in cheek Humor, wie es die Engländer können. Paul Smith fällt mir da als erstes ein, der nimmt ja auch eine Menge Geld für seine Anzüge. Aber er verkauft sie mit Witz und Esprit.

Mein Regent Jackett aus dem Jahre 1965 ist mir irgendwann zu klein geworden, ich habe es einer Schultheatergruppe geschenkt und konnte es noch einige Jahre auf der Bühne bewundern. Irgendwann wurde es aus dem Fundus geklaut. Wahrscheinlich läuft heute noch ein Teenie damit rum. Die Sachen halten ja lange. Das dunkelblaue Jackett auf meinem Photo hier auf der Seite ist beiläufig gesagt auch von Regent, das habe ich auch schon lange. Zeitlosigkeit ist nicht gerade umsatzfördernd für einen Hersteller, ich weiß. Aber auch damit könnte man werben. Im Internet gibt es eine Website, die sich dem Buy British verschrieben hat. Könnte das nicht für deutsche Hersteller ein Vorbild sein, eine ähnliche Sache zu machen?

Ich habe mir einige Abbildungen von der interessanten Seite ➱Gentleman’s Gazette gemopst, ich hoffe Sven Raphael Schneider verzeiht mir das. Und wenn Sie diesen Artikel nicht im Jahre 2011 gelesen haben, sondern jetzt erst lesen, dann wissen Sie, dass Regent insolvent ist. Aber es gibt noch Hoffnung – und die heißt ➱C&A. Hier sind Philippe Brenninkmeijer und der Eichstätter Bauunternehmer Andreas Martin Meier, die die Firma gerade gekauft haben und sie wieder in die schwarzen Zahlen bringen wollen.

Questo è il fin di chi fa mal! E de‘ perfidi la morte alla vita è sempre ugual! singen sie am Schluss der Oper, nachdem der Erdboden Don Giovanni verschlungen hat. Was bleibt dem Bösewicht? Natürlich die Hölle. Seit etwas mehr als hundert Jahren wissen wir, wie es da aussieht. Dank ➱George Bernard Shaw. Der kennt sich da aus. In der Hölle unterhalten sich Don Juan Tenorio und sein Opfer, der jetzt eine Statue ist, ständig miteinander. Beide, Liebhaber und Vater, erkennen Donna Ana nicht, die jetzt eine alte Frau ist. Don Juan bleibt immer jung, der Komtur immer eine Statue. Das alles finden wie in einem ➱Zwischenspiel, dem III. Akt von Man and Superman, der häufig als eigenes Stück unter dem Titel Don Juan in Hell aufgeführt wird. Oder das bei einer Aufführung, wie zum Beispiel bei der Premiere des Stückes, ganz weggelassen wird. Wahrscheinlich wussten sie nicht, wie sie ein Auto auf die Bühne kriegen sollten. Denn Man and Superman ist von allen Versionen der Don Juan/Don Giovanni Geschichte die erste, in der ein Automobil eine Rolle spielt. Man mag sich gar nicht ausdenken, was aus Don Giovanni geworden wäre, wenn er schon ein Auto gehabt hätte. Wahrscheinlich so ein italienischer Strizzi mit Goldkettchen und Pomade im Haar, der aus einem Cabrio heraus la ci darem la mano brüllt.

In Shaws Theaterstück hat John Tanner (Shaw spielt hier mit dem Namen Don Juan Tenorio, da man Tanner und Tenor gleich ausspricht) ein Auto, aber er hat natürlich kein Goldkettchen. Es wird in dem Stück auch wenig gesungen, aber dennoch ist Mozarts Don Giovanni die ganze Zeit die Folie für Man and Superman. In den Szenenanweisungen (die bei diesem Stück schon die Länge einer Kurzgeschichte annehmen) finden sich auch Noten von Melodien aus Don Giovanni. Nicht einfach so reinkopiert ohne Sinn und Verstand wie bei den Autoren der Postmoderne, nein, mit Mozart kennt Shaw sich aus. All my musical self-respect is based on my keen appreciation of Mozart’s work, hat er einmal gesagt. Auch wenn man bei ihm manchmal nicht den Eindruck hat, wenn er mit seinen seltsamen Dr Jaeger Gesundheitsanzügen durch die Gegend läuft (auf dem Bild GBS im Hintergrund in einem Jaeger Anzug), dass er etwas von Musik versteht – dieser Eindruck täuscht. Er kann Noten lesen, kann Klavier spielen und war jahrelang Musikkritiker. Und er hat scharfsinniges Zeug über Musik gesagt. Hat ein ganzes Buch über ➱Wagner geschrieben – das wäre ja nun wirklich nicht  nötig gewesen. Hat böse Dinge über Brahms gesagt, wie it could only have come from the establishment of a first-class undertaker über das Deutsche Requiem. Das ist fies, ich mag das Deutsche Requiem, ich lege es jeden Karfreitag auf. Er hat aber Jahrzehnte später gesagt, dass er sich in Bezug auf Brahms damals geirrt hätte. All my musical self-respect is based on my keen appreciation of Mozart’s work.

Ich komme natürlich heute auf Don Giovanni, weil heute vor 224 Jahren Il dissoluto punito ossia il Don Giovanni in Prag zum ersten Mal aufgeführt wurde. War übrigens mit zweieinhalb Stunden nur halb so lang wie Shaws Man and Superman. Ich hätte ja gerne über die Oper geschrieben, jedoch: —- ich habe es vor genau einem Jahr schon getan. Wenn Sie das damals nicht gelesen haben sollten oder wenn Sie wissen wollen, welche Aufnahme der Oper Sie sich kaufen sollen, dann lesen Sie doch noch einmal diesen schönen kleinen ➱Artikel.

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Und wenn ich nachher meine Aufgabe als Streckenposten bei der Kindergeburtstags-Schnitzeljagd erfüllt habe, dann lege ich für den Rest des Tages Mozarts Don Giovanni auf. Ich hätte ja auch zu den Maßtagen bei ➱Kelly’s mit dem Schneider Thomas Ertl von der Firma ➱Regent gehen können. Ich habe auch nichts gegen die Firma Regent, die machen schon gutes Zeug (meine Brisbane Moss Cordhosen von Regent halten seit zwanzig Jahren), natürlich alles viel eleganter als die Jaeger Anzüge von Shaw. Aber die Kindergeburtstags-Schnitzeljagd ist heute wichtiger. Vielleicht ziehe ich nachher dazu ein Regent Jackett an, das wäre der echte Snobismus.

Dies Regent Jackett ist von der ebay-Seite kopiert, ich wollte eins von der Regent Internetseite nehmen, aber das ging nicht. Nicht wegen des zweifelhaften englischen Wortes handtailored, das wie Talkshow und Handy wohl eher eine deutsche Erfindung ist. Nein, wegen des Models, das da in Regent Modelle gehüllt ist. Eine Mischung zwischen latin lover und Oscar Wilde Dandy. Sieht so die Zielgruppe der Firma aus? Gibt es in der ganzen Produktwerbung nichts mehr zwischen dem ➱Marlboro Man und diesen schmierigen Typen der Dolce & Gabbana Werbung?

Hat Don Giovanni Probleme mit seiner Selbstdarstellung als Mann? Wenn er einen Diener beschäftigt, der eine Strichliste über die Eroberungen führen muss (ma in Ispagna son già mille e tre), dann haben wir doch schon leichte Zweifel. George Bernard Shaw löst diese Fragen auf seine Weise. In seinem Stück heißen die wirklichen Männer nicht John Tanner, Gentleman und Salon-Revolutionär, sondern sie heißen ‚Enry Straker und Ann Whitefield. Ein Cockney sprechender (dropping the aitches) Chauffeur und Mechaniker und die New WomanBut all this is beside the point as an explanation of Ann’s charm. Turn up her nose, give a cast to her eye, replace her black and violet confection by the apron and feathers of a flower girl, strike all the aitches out of her speech, and Ann would still make men dream. Vitality is as common as humanity; but, like humanity, it sometimes rises to genius; and Ann is one of the vital geniuses. Not at all, if you please, an oversexed person: that is a vital defect, not a true excess. She is a perfectly respectable, perfectly self-controlled woman, and looks it; though her pose is fashionably frank and impulsive. She inspires confidence as a person who will do nothing she does not mean to do; also some fear, perhaps, as a woman who will probably do everything she means to do without taking more account of other people than may be necessary and what she calls right. In short, what the weaker of her own sex sometimes call a cat.

Dagegen ist Mozarts Donna Ana ein blasses Wesen. Und wenn es bei Shaw am Ende über Ann und John Straker heißt: ANN [looking at him with fond pride and caressing his arm] Never mind her, dear. Go on talking – dann wissen wir, wer im Geschlechterkampf gewonnen hat. Dalla sua pace la mia dipende.

 

Jetzt ist es wirklich Herbst, man kann es nicht mehr leugnen. Ich merke es auch daran, dass ich in den letzten Wochen mehrfach Wildlederschuhe getragen habe. Braune Wildlederschuhe trage ich nur im Herbst, ich käme niemals auf die Idee, braune Wildlederschuhe im Frühling oder im Sommer zu tragen. Doch amerikanische Moderatgeber sagen ihren unsicheren Lesern immer wieder, dass braune Wildlederschuhe zu Zweireihern de rigueur sind. Habe ich einmal gemacht, bin mir dabei aber ziemlich blöd vorgekommen.

Die Sache geht natürlich wieder einmal auf den Prince of Wales zurück, der 1924 im Long Island Meadowbrook Country Club tan suede shoes zu einem Flanellanzug getragen hat. Shocking. Aber jemand aus der Entourage des Prinzen versicherte einem empörten Amerikaner, dass dies kein Fauxpas des Prinzen sei: It would be wrong if it were a mistake. But he knows better, so it’s all right. Und auf diese Versicherung hin gilt es in Amerika fortan als der Höhepunkt der Mode, braune Wildlederschuhe zu Flanellanzügen zu tragen. Bis dahin galt das als prollig, Wie sich doch die Maßstäbe ändern, nur weil ein arbeitsloser, klamottenverrückter Prinz mit den goldenen Regeln des Geschmacks spielt!

Braune Schuhe dringen in den zwanziger Jahren langsam in die Herrenkleidung ein, wobei es immer wieder warnende Stimmen gibt, dass man die niemals mit blauen Anzügen kombinieren darf. Man muss dabei berücksichtigen, dass die braunen Schuhe der zwanziger Jahre nicht die eleganten braunen Schuhe der gut gekleideten Herren im heutigen Mailand sind, die immer dunkelbraune Schuhe zum blauen Anzug tragen. Nein, das ist ein fieses Braun, das gegen Gelb geht und an die yellow perils in der Geschichte The Story of Cedric von P.G. Wodehouse erinnert. Und da wir gerade bei unantastbaren Regeln sind, der Satz no brown after six heißt nicht, dass Sie um 18 Uhr die braunen Schuhe ausziehen müssen. Er bedeutet lediglich, dass Sie zu offiziellen Abendeinladungen mit Gesellschaftskleidung keine braunen Schuhe tragen sollten. Auch keine Wildlederschuhe.

Denn ansonsten sind braune Schuhe eigentlich immer O.K., sogar die Protokollchefs der englischen Königin fühlten sich vor einigen Jahren bemüßigt, diesen Satz auf Einladungen zum Nachmittagstee bei der Queen zu schreiben. Die zehn ultimativen Regeln sind vor kurzem im Forum des Stilmagazins von Des Esseintes aufgestellt worden: Meine Herren, die unverbesserlichen Schwarzträger unter Ihnen kennen offenbar noch nicht die berühmten zehn Stufen zum iGentry-Schuhnirvana:


1. Braune Schuhe tragen

2. Braune Wildlederschuhe tragen

3. Ausschließlich braune Schuhe tragen

4. Ausschließlich braune Wildlederschuhe tragen

5. Braune Wildleder-Doppelmonks tragen

6. Braune Bespoke-Wildleder-Doppelmonks tragen

7. Braune Bespoke-Doppelmonks aus dem Zwerchfell einer ausgestorbenen polynesischen Makakenart tragen, welches aus Gründen des Understatement für den uneingeweihten Laien exakt so aussieht wie… gemeines Wildleder natürlich

8. wie 7., Leder stammt aus einem kürzlich gehobenen portugiesischen Wrack (gesunken 1592, somit vieeeeeel älter als das popelige russische Zeugs bei Cleverley et al)

9. wie 8., Schuhe angefertigt von dem legendären Mystery Bespoke Shoemaker, der in den Pariser Katakomben sein Atelier hat und von dem hinter vorgehaltener Hand behauptet wird, er sei die Reinkarnation von Nikolaus Tuczek

10. wie 9., aber angesichts des mittlerweile erreichten Erleuchtungszustandes nicht laufen sondern schweben, damit die bevelled waist, auf die selbst Guarneri neidisch wäre, für alle sichtbar wird.

Dem ist nun nichts mehr hinzuzufügen, witzig und geistvoll. Die braunen Wildlederschuhe, die der Prince of Wales in Amerika heimisch gemacht hat, sind nicht seine eigene Idee. Sie kommen (wie gleichzeitig die Rollkragenpullover) aus Oxford. David, der Prince of Wales, der Jahre später Edward VIII sein wird, wird neuerdings in einer Vielzahl von Style- und Modeblogs zu dem größten Style Guru des 20. Jahrhunderts erklärt. Wir sollten dabei aber einmal daran denken, dass er dumm wie Bohnenstroh ist. Bertie Wooster, den sein Butler Jeeves als mentally negligible bezeichnet, ist wahrscheinlich intelligenter als David. Der ist sicherlich ein armes Schwein, ein Produkt einer Hölle von Erziehung, der in seiner verzweifelten Hinwendung zur Herrenmode seine Form des Protestes sieht, um gegen den Vater zu rebellieren.

Die großen Dandies wie George Brummell, Fürst Pückler, Graf Robert Montesquiou-Fézensac oder Oscar Wilde besaßen neben ihrer Liebe zur vestimentären Selbstdarstellung auch noch ein wenig Geist und Intelligenz. Den natürlich all diese neuen jungen Leute in Oxford oder Cambridge – die wir die Brideshead Generation nennen können – besitzen, der arme Prince of Wales auf keinen Fall. Betrachten wir einen Augenblick den 21-jährigen Adelsspross Stephen Tennant auf diesem Photo von Cecil Beaton. Der Zweireiher (das gleiche Teil, das auch die königliche Kleiderpuppe propagiert) ist wahrscheinlich von Anderson & Sheppard, die Lederjacke ist eine von einem Schneider angefertigte Replik einer Pilotenjacke des Ersten Weltkriegs. Mit Chinchillakragen, was für eine Inszenierung!

Einer anderer aus dieser Generation, der Dichter Brian Howard, findet es in einem Brief an den Maler William Acton sehr vulgär, dass der Prince of Wales jetzt die Kleidung des kleinen Zirkels der Bright Young Things popularisiert. William Acton trägt zu seinen Wildlederschuhen einen flaschengrünen Anzug von Frederick Scholte (der auch der Schneider des Prince of Wales ist), ein himbeerfarbenes crêpe de Chine Hemd und einen Querbinder. Brian Howard taucht in Evelyn Waughs Roman Brideshead Revisited als Anthony Blanche auf: ...He had on a smooth chocolate-brown suit with loud white stripes, suède shoes, a large bow-tie and he drew off yellow wash-leather gloves as he came into the room. Wildlederschuhe werden also jetzt von einer kleinen ästhetischen Oxbridge Elite und der Bohème von Bloomington getragen. Jeder von ihnen ein kleiner genius manqué, jeder ein Verwandter von Lord Sebastian Flyte, ein Geistesverwandter von Oscar Wilde oder Ronald Firbank. Wenn Sie einmal den Wikipedia Artikel zu Brian Howard lesen, wissen Sie, worum es geht. Brian Howard hatte übrigens bei seinem Selbstmord Wagners Liebestod aus der Oper Tristan und Isolde aufgelegt. Wahrscheinlich trug er dazu auch Wildlederschuhe von Nikolaus Tuczek oder George Cleverley.

Philip Hoare hat die Renaissance der ➱englischen Dandies der zwanziger und dreißiger Jahre im Neo Edwardian Style süffisant ironisch folgendermaßen beschrieben: the New Edwardians, as they became known, evoked the same golden age in which Tennant, Beaton and Visconti had grown up, the era of the last dandies, of Saki and of Sitwell’s eloquent memoirs (which would themselves appear in 1948). Where the Waffen SS wore silver skulls on their lapels, they sported coats with black velvet collars – originally a macabre tribute to the aristocrat victims of the guillotine during the French Revolution (and thus a kinship with the avant garde incroyables and merveilleuses dandies of the Directoire). With their narrow calvary twill trousers, and – the real mark of a bounder – suede shoes, theirs was a statement against the utilitarian restrictions of wartime, its utility suits and ubiquitous khaki.

Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass Philip Hoare (der gerade den Samuel Johnson Prize gewonnen hat) eine sehr seriöse Biographie über Stephen Tennant (Serious Pleasures: The Life of Stephen Tennant) verfasst hat. Und dass das Slang Wörterbuch von Eric Partridge das Wort bounder folgendermaßen definiert: A vulgar though usually well dressed man, an unwelcome pretender to Society, a vulgarly irrepressible person within Society. Diese Assoziation bounder wird der Wildlederschuh nie so richtig los. Zumal er in den fünfziger Jahren als Modeartikel noch eine Specksohle und den Beinamen brothel creepers bekommt.

Es gibt aber gleichzeitig nach dem Krieg eine Sorte Wildlederschuh, bei dem die Gedanken an die Bohème nicht aufkommt, obgleich er auch von der neuen Bohème getragen wird. Der desert boot, den die Firma Clarks nach dem Krieg auf den Markt bringt, ist eine einzigartige Erfolgsstory. Ich hatte Ende der fünfziger Jahre ein Paar in Dunkelgrün. Niemand außer mir hatte ein Paar dunkelgrüner Clarks. Konnte man mit Jeans tragen, aber genau so mit Flanellhosen oder Cordhosen. Gingen beinahe nie kaputt. Clarks hat das Modell (natürlich nicht in grün) heute immer noch im Programm, die Qualität der fünfziger Jahre werden diese Schuhe aber nie wieder bekommen. Man kann heute in England selbstverständlich noch chukka boots aus Wildleder von anderen Firmen als Clarks in besserer Qualität bekommen (ich habe ein Paar gelbe von Crockett&Jones), aber meinen alten grünen Clarks trauere ich immer noch nach.

In den fünfziger Jahren konnte man in den notorisch anglomanen Hansestädten noch eine andere Sorte Wildlederschuhe bekommen, die von der Firma Morlands kamen. Konnte man nur im Winter tragen, weil sie innen mit Lammfell gefüttert waren (oder man trug sie in notorisch kalten englischen Häusern, weil die Zentralheizung in dem Land sehr spät erfunden wurde, und die Türen noch nicht bis unten auf den Fußboden reichten). Während der Battle of Britain hatte die Firma Morlands gefütterte Pilotenstiefel hergestellt, diese chukka boots waren offensichtlich der zivile Abkömmling. Der Krieg ist der Vater aller Dinge, auf jeden Fall von Clarks‘ desert boots und Morlands‘ sheepskin boots.

Die meisten Wildlederschuhe sind leider potthässlich, geben Sie mal bei Google Bilder Wildlederschuhe ein und gucken Sie sich das an. Akzeptabel sind natürlich nur die, die ich hier oben abgebildet habe. Weil die genau so aussehen wie meine. Meine sind ein Vierteljahrhundert alt, sehen aber aus wie neu. Weil sie nur wenige Male in jedem Herbst getragen werden. Und weil sie geschont werden, schließlich sind es Schuhe von Edward Green, damit latsche ich doch nicht durch den Regen. Ein solcher tasselled loafer wie auf dem Bild hier ist natürlich auch noch akzeptabel, auf jeden Fall zu Jeans.

Und damit wären wir schon am Ende des Wildlederschuh Panoramas – und wir vergessen bitte nicht, dass unten auf jedem Wildlederschuh mit unsichtbarer Tinte das Wort bounder geschrieben ist. Aber einen Schuh müssen wir natürlich noch erwähnen. Der mit den unsterblichen Zeilen verbunden ist:

Do anything that you want to do, but uh-uh,

Honey, lay off of my shoes

Don’t you step on my blue suede shoes.

You can do anything but lay off of my blue suede shoes

Wenn Sie jetzt zufälligerweise Carl Perkins oder Elvis heißen, dann dürfen Sie den natürlich tragen.

Das Bild von Diana Mosley (die auch zur Brideshead Generation gehört) ist von Brian Howards Freund William Acton, dem jüngeren Bruder von Sir Harold Acton. Diese blonde Göttin ist dieselbe Diana Mitford, die 1936 im Büro von Joseph Goebbels im Beisein von Hitler und Goebbels den Bund fürs Leben mit dem englischen Faschistenführer Sir Oswald Mosley schloss. Ich musste das mal hier plazieren, weil es so schön die zweifelhafte Welt der effete Dandies illustriert.

Noch mehr Schuhe hier: ➱Cliff Roberts, Artisan, ➱Dinkelacker, ➱Kuckelkorn, ➱Kiton/Chiton, ➱wayward cows, ➱Lord Byrons Schuhe, ➱Militärisches Schuhwerk,  ➱Chelsea Boots, ➱Englische Herrenschuhe (Trickers), ➱Englische Herrenschuhe (London), ➱Englische Herrenschuhe (Alfred Sargent), ➱Wirkungen, ➱Zeit der Unschuld, ➱Gamaschen, ➱Christian Rohlfs, ➱Laurence Harvey, ➱Blazer, ➱Morning Coat, ➱Fernandel, ➱Léo Malet, ➱Schuhcreme

 

Comeback des Cordsakko. Eigentlich ist es falsch, beim Cordsakko von einem Comeback zu sprechen – denn es war eigentlich nie richtig weg. Das Sakko von Tommy Hilfiger wurde jedoch ganz neu interpretiert und die Idee des Cordsakkos auf innovative Weise umgesetzt. Und das kann sich sehen lassen! Der Einreiher aus Baumwollcord ist schmal geschnitten und kommt zunächst recht casual daher. Doch die Details sprechen eine andere Sprache und lassen das Herrensakko ganz schön elegant wirken. Es lässt sich, je nach Anlass, perfekt kombinieren und wertet jedes Outfit – egal ob Businesslook oder die sportliche Jeans/Pullover-Variante – extrem auf. Die typischen Kissing Buttons an den Ärmeln, die feine Verarbeitung der Taschen und Nähte und das softe Innenfutter mit darin eingewebtem Designer-Schriftzug machen das Stück zu einem echten Hilfiger.

Ich lese so etwas ja zu gerne, weil diese Texte (gleichgültig für welche Marke) so völlig schwachsinnig sind. Glaubt irgendjemand das, was hier steht? Erinnern Sie sich noch an den Loriot Sketch mit dem ➱Anzugkauf? Vielleicht lernen Verkäufer diese Texte auswendig, um sie ihren Kunden zuzuflüstern. Wenn irgendjemand in der Lage ist, Locken auf eine Glatze zu ziehen, dann sind es die Werbetexter, die für die Modeindustrie schreiben.

Der berühmte ➱Roland Barthes hat einmal ein Buch mit dem Titel Die Sprache der Mode geschrieben. Aber so scharfsinnig und witzig er sonst in seinen Beobachtungen der Alltagskultur ist, dies ist leider ein völlig humorloses und unlesbares Werk. Ein etwas verzweifelter Versuch mit einem strukturalistisch-semiotischen System Claude Lévi-Strauss zu imponieren. Barthes hoffte vergebens, dass Lévi-Strauss (nicht mit der Jeansdynastie verwandt) das als Doktorarbeit annehmen würde. Ich will mich nicht auf die semiotischen Spuren von Roland Barthes begeben, Sätze wie Ein Zeichen des ersten Systems (ein schwarzes Kleid, das einen festlichen Anlaß bedeutet) wird zum Signifikanten des zweiten Systems, dessen Signifikat die Modeideologie oder Moderhetorik bildet, werden mir nicht über die Lippen kommen.

Natürlich sagt Kleidung etwas. Auch wenn wir die Botschaft häufig nicht verstehen, selbst als dedicated follower of fashion. Wie zum Beispiel bei den Klamotten von ➱Thomas Gottschalk. Was sollen sie uns sagen? Und selbst, wenn auf dem Kleidungsstück noch eine sprachliche Botschaft steht, ist die nicht immer klar. Für 12,50 € können Sie bei amazon.com ein T-Shirt mit der Aufschrift I fucked Paris Hilton kaufen. Ob der Käufer qualifiziert ist, ein Hemd mit diesem Satz zu tragen, wird von Amazon nicht überprüft. Die Sprache der Mode ist ein Babel, für das Google Translate noch kein Übersetzungsprogramm hat. Aber ich will nicht auf der Ebene von Roland Barthes Sprache der Mode schreiben, ich will auch nicht Alison Luries interessantes Buch The Language of Clothes diskutieren, ich möchte einmal dem Cordjackett in der Geschichte der Mode nachgehen. Und der Frage: woher kommt es eigentlich?

Das Cordjackett ist jetzt überall zu sehen. Letzte Woche habe ich im Fernsehen drei Moderatoren gesehen, die eins trugen. Es ist schon seit einigen Jahren Mode (ich bin mit meinen unzeitgemäßen Beobachtungen etwas spät dran), vor zehn Jahren wurde in Modezeitschriften eine Renaissance des Cordjacketts gefeiert. Im Herbst 1994 auch, es kommt offensichtlich immer beharrlich wieder. Und beharrlich kommen auch solche Sätze wieder wie: Corduroy used to be considered déclassé. But with today’s plush new versions and colours, the fabric has a more luxe look that even works for eveningSidney Webb wäre im ausgehenden Jahrhundert ein Zeuge für den Gedanken des déclassé, wenn er schreibt: corduroy has been relegated to the use of navvies and tramps.

Aber der Cord kommt seit einigen Jahrzehnten in der Herrenmode immer wieder, und das nicht bei den navvies und tramps. Eher bei Caruso, Cucinelli, Kiton und Zegna, bei denen ein Cordjackett dann auch leicht etwas Vierstelliges kostet. Cord ist vor allem gefragt, wenn sich Männer jugendlich geben wollen. Wir alle haben Edmund Stoiber mit seinem hellbraunen Cordanzug noch nicht vergessen. Das war natürlich a bit too much of a good thing, ➱Cordhosen sind O.K. Cordsakkos auch, aber Cordanzüge, die sind nun ganz daneben. Es sei denn, Sie hätten noch einen olivgrünen needlecord Anzug von John Stephen aus Carnaby Street circa 1970, das lassen wir noch durchgehen. Catherine Horwood ist in ihrem Buch Worst Fashions: What we shouldn’t have worn…but did etwas doktrinärer. Bei ihr heißt es ganz simpel: Avoid at all costs: Anything corduroy – poor man’s velvet! So streng wollen wir heute mal nicht sein. Dennoch gelten Regeln für Cord. Erstens: niemals Breitcord! Zweitens: keine Cordanzüge! Erst recht keine Cordanzüge aus Breitcord. Das sage ich nun einmal in meiner Eigenschaft als arbiter elegantiarum. Stoiber hätte mich fragen sollen, da ist er jetzt selbst dran Schuld, dass er kein Bundeskanzler geworden ist. Das war eine Sprache der Mode, die wir alle verstanden haben.

Die Cordjacketts in ihrer augenblicklichen Form sind als modisches Kleidungsstück noch nicht so alt. Wenn wir mal alle Formen von Arbeitsjacken und Outdoorjacken (links) und deren Revival (wie zum Beispiel die schönen toskanischen Jagdjacken von der Firma Capalbio) draußen vor lassen. In dem Bereich kann man Cordjacken schon bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen, und für solche Jacken hat Cord immer eine Rolle gespielt. Auch Cowboys haben Cordjacken getragen. Der Katalog vom Versandhaus Montgomery Ward enthält 1895 ein halbes Dutzend Cordjacketts, die mit Preisen zwischen 9 und 11 Dollar sogar teurer sind als manche Jacketts aus Wolle. Wahrscheinlich werden sie deshalb gekauft, weil sie den Ruf haben, unverwüstlich zu sein, the poor man’s velvet.

Es fehlt auch nicht an Erwähnungen von Cordjacketts in englischen Romanen und Autobiographien im 20. Jahrhundert, wo sie immer etwas zweckentfremdet von Großvätern als Jacke für die Gartenarbeit getragen werden. Entweder haben die alle den selben Großvater mit dem selben Cordjackett oder der Opa im Garten mit dem alten Cordjackett ist schon zu einem Stereotyp geworden. Es fehlt auch nicht an Klagen darüber, dass man keine qualitativ hochwertigen Cordhosen oder Cordjacketts mehr bekommt, weil sie keine Mode sind. Das kann ich nachfühlen, das kenne ich. Ein Leben lang auf der Suche nach der ultimativen Cordhose – und manchmal gab es zehn Jahre lang überhaupt nichts (außer Zimmermannshosen aus Manchesterkord) in den Läden. Gibt es nur, wenn es der Mode einfällt, von einem Comeback des Cordsakko zu reden – mit der Mode für Cordjacketts ist es wie mit dem Schweinezyklus.

Im Amerika der zwanziger Jahre taucht Cord in der Form von Cordhosen an den Ivy League Universitäten auf – von den ➱Waschbärmänteln und den Stutz Bearcats wollen wir heute nicht reden. Cordjacken auch, die werden aber nur von Studentinnen getragen (und dann in bunten Farben). An die Damen richtet sich auch eine Mode, die nach dem Krieg aus Frankreich nach Amerika schwappt (auf jeden Fall schreibt Life ganz begeistert im Jahre 1946 darüber), Cordjacken aller Art und Kostümjacken aus Cord sind die große Mode. Ist auch billiger als teure Wollstoffe. Für die einen gibt es ➱Christian Diors New Look, für die anderen gibt es Cord. Der wird (wie alle Gewebe, die im Englischen fustian heißen) das Image nie ganz los, the poor man’s velvet zu sein.

In der Herrenmode gibt es in Amerika in den fifties auf dem ➱Ivy League Campus auch Cordjacketts, auf jeden Fall bieten J. Press und Brooks Bros. so etwas an. Die werden zu einer Art typischer Berufskleidung von Professoren. Und Lehrern. Wird auch so in Katalogen beworben: perfect for the classroom. Da, wo man sich nicht den guten Anzug ruinieren will. Die Sakkos ist einreihig, beige oder braun. Meistens drei Knöpfe, wobei das oberste Knopfloch in den 50er und 60er Jahren noch in das Revers hineingebügelt wurde. Nicht nur bei Cordjacketts, das ist eine amerikanische Eigenart, die ich nie verstanden habe. Sie können in Alan Flussers Clothes and the Man genügend Bilder davon sehen. Die Italiener, die so stolz auf ihr strappato Revers sind, würden bei diesen Bildern wahrscheinlich auf der Stelle blind werden.

Aber nicht nur Professoren tragen das corduroy jacket, irgendwann tragen es auch die Studenten. Falls Sie einen Beweis brauchen sollten: was trägt Dustin Hoffmann in der Szene von The Graduate, in der sich Anne Bancroft so lasziv ihre Strümpfe anzieht? The PTA, Mrs. Robinson Won’t OK the way you do your thing Ding, ding, ding. Da sich der Ivy League Stil offensichtlich ad infinitum recyceln lässt, hat natürlich heute Ralph Lauren Cordjacketts im Programm. Wenn man Glück hat, sind die in Italien von einer reputierlichen Firma gemacht. Ich habe mal in einem Secondhand Laden ein altes Brooks Brothers Cordjackett (Made in the USA of Imported Fabric) gekauft, das bei mir nur mein Mrs Robinson Jackett heißt. Immer wenn ich es trage, warte ich heimlich darauf, dass ich ➱Katharine Ross treffe.

In England sieht es mit der Entwicklung des Cordjacketts ein wenig anders aus (von diesem Cordanzug aus dem Jahre 1967 mal abgesehen). Zum einen sind Cordhosen an englischen Universitäten in den zwanziger Jahren kein Thema. Man trägt flannels, die irgendwann unter dem Namen ➱Oxford bags groteske Weiten annehmen. Und dazu einen Blazer vom Cricketclub oder der Rudermannschaft. Oder ein Tweedjackett. Das Cordjackett oder Cordsamtjackett findet sich eher in den Kreisen, die man heute mit dem Wort Bloomsbury belegt. Da kommt man zwar aus der upper middle class aber man möchte gerne ein wenig Bohème sein, da ist ein Cordjackett oder ein Cordsamtjackett genau das richtige. Aber nicht in den Farben von beige bis braun, die heute vorherrschen.

Wenn man schon die englische Bohème ist, dann besinnt man sich doch auf englische Exzentrik und trägt Cordjacketts in allen Schattierungen von Lila. Ein dunkles Flaschengrün ist auch sehr beliebt. Der Farbton wird sich in England lange halten, David Hemmings trägt in ➱Antonionis ‚Blow-up‚ natürlich ein dunkelgrünes Cordjackett. Es war nicht sein eigenes, wie man manchmal liest: I had a costume fitting that same afternoon, where they threw a pair of white jeans and a green corduroy jacket at me. And for the first time, I was allowed to see the script and was given a copy to take away. Das Jackett wurde übrigens während der Dreharbeiten gestohlen. Jocelyn Rickards, die für die Klamotten des Films verantwortlich zeichnete, hatte großes Schwierigkeit, ein Ersatzjackett so umzuschneidern, dass man beim späteren Dreh keine Unterschiede zum ersten Jackett erkennen konnte.

Bei diesem Typ des Cordjacketts kann man sicherlich in Farbe und Materialien die Vorläufer in dem englischen ➱smoking jacket des 19. Jahrhunderts sehen. Dieser Look wird sich in England lange halten, der New Edwardian Style wird ihn wiederbeleben. Dessen groteske Proletarisierung, der ➱Teddy Boy Look, wird ihn nicht umbringen können. Und in der Zeit der Peacock Revolution ist er wieder da, und in den Anzeigen der sixties liest man Farbbezeichnungen wie crimsonmauve und burnt orange. Im Katalog The Cutting Edge: 50 Years of British Fashion 1947-1997 des Victoria & Albert Museums findet sich zum Beispiel ein schönes dunkelbraunes Cordsamtjackett mit paspelierten Revers, das einmal Roy Strong gehört hatte. Den habe ich immer für seine schrille Kleidung bewundert.

Und selbst eine eher konservative langweilige Firma wie Dunn & Co. hatte nette flaschengrüne Cordjacketts im Angebot (links). Wo ich die verblichene Firma Dunn & Co., die über Jahrzehnte ganze Generationen von Engländern mit Tweedjacketts versorgte, erwähne, sollte ich auch Beale&Inman erwähnen, die mal für die Qualität ihrer Cordprodukte berühmt waren. Auch sie gibt es nicht mehr, sie wurden irgendwann von der Moss Bros. Gruppe geschluckt, in ihren Laden in London ist inzwischen die italienische Firma Corneliani eingezogen. Das sind so Sachen, die ich bedauere. Wenn bei ➱Staben in Hamburg die italienische Firma Pal Zileri einzieht, dann bedauere ich das nicht. War eh der langweiligste Laden in Hamburg (Helmut Schmidt kaufte da immer), und der Senior Willi Staben war ein großer Nazi (mit dem schönen Titel Reichsmodewart) gewesen.

Ich lasse die Italiener heute mal draussen vor. Sie machen keine Mode, sie machen nur alles eleganter und in besserer Qualität, aber sie sind nicht wirklich innovativ. Doch einen Sprung über den Kanal zu den frogs müssen wir noch machen, nach Paris, an das linke Seineufer. Dort, wo der Existentialismus in den Straßencafés und Jazz Clubs gelebt wird. Wo man all das abgelegte Zeug der amerikanischen Truppen trägt – army surplus wird jetzt mit einem Hauch existentialistischer Theorie veredelt. Jean Paul Sartre trägt auch eine Parka. Cord bekommt hier zusätzlich eine klassenkämpferische Note, weil es eigentlich eine Handwerker- und Arbeiterkleidung ist – aus diesem Grund hatten in den dreißiger Jahren englische Linksintellektuelle begonnen, Cordhosen zu tragen. Man wollte dem Arbeiter näher sein. Der Pariser Schmuddel-Look, lange bevor in Seattle grunge entsteht, ist zum Teil aus der Not der Nachkriegszeit geboren, zum Teil ist er aber auch nur Inszenierung.

Der Look wird sich lange halten. Er verschmilzt auch schnell mit einer anderen Jugendkultur, die wir in England und den USA finden, den so genannten folkies. Karierte Holzfällerhemden und Cordjacketts werden ihr Standardoutfit. Woody Allen läuft immer noch so rum. Wir müssen die folkies noch von den gleichzeitig auftauchenden Beatniks abgrenzen, mit denen sie aber viel gemeinsam haben. Es gibt jetzt zum ersten Mal im 20. Jahrhundert gleichzeitig eine Vielzahl von Jugendkulturen, die sich durch einen eigenen Modestil auszeichnen. Das Cordjackett findet sich bei mehreren dieser Kulturen (Existentialisten, folkies, Beatniks und zum Teil auch bei Teddy Boys), wird aber niemals von hipsters, ➱Mods oder Rockern getragen. Kleidungsstücke sprechen jetzt nicht nur eine Sprache, sie werden auch schon zu einer Art Glaubensbekenntnis.

Wenn Pierre Cardin in den sechziger Jahren die Mode revolutioniert, hat er auch Cordjacketts im Programm. Die haben dann allerdings kein Revers und keinen Kragen mehr, und wir können sie wenig später an den Beatles entdecken. Mein Bruder hatte damals so ein Teil, als er eine schwere Phase von Beatlemania hatte. Die Beatles tragen natürlich keine Pierre Cardin Jacken. Aber ihr Schneider ➱Douglas („Dougie“) Millings (hier auf dem Photo) hatte sich schon von dem Franzosen inspirieren lassen.

So, da haben wir in Kurzfassung die Entwicklungslinien. Amerikanische Universitäten, zerstreute Professoren, folkies, ältere Buchhändler in Antiquariaten – Hollywood trägt in vielen Filmen seinen Teil zur Stereotypisierung bei. Cordjackett bedeutet immer: ein klein wenig intellektuell und ein klein wenig weltfremd. Der perfekte Tarnanzug für alle grauen Modemäuse und alle Woody Allens dieser Welt. Und dann haben wir noch die englische Bohème der Zwanziger, die Pariser Intelligentzia im Quartier Latin der Nachkriegszeit. Aus all dem bedient sich heute die italienische Mode. Heute bringen italienische Luxusfirmen wie ➱Raffaele Caruso Cordsakkos mit echten Knopflöchern auf den Markt, das muss nicht sein. Ich fand es schon etwas übertrieben, dass die Knopflöcher an meiner Tom Reimer Cordhose schneidermäßig echt umsäumt sind. Der Cord bei dem Caruso Jackett ist (ich weiß das, weil ich eins habe) aus einem Stoff, der bei Zegna Cashco heißt. Ist ein Blending aus cashmere und cotton. Klingt aber nach cashDas ist eine Baumwolle, die hat schon ganz nahe neben der Kaschmirziege gelegen, sagte mir einmal ein Verkäufer. Man vergisst solch blöde Sprüche nie, das ist wie bei Loriot. Aber seien wir ehrlich, diese eleganten Cordjacketts sind natürlich völlig daneben. Wenn ein Cordjackett aus Cord von Brisbane Moss ist, dann ist das völlig O.K. Cordjacketts sollen nicht elegant sein. Das müssen olle ehrliche Dinger sein, die man am besten im Secondhand Laden kauft – und möglichst in Läden, die auch noch Manchester Hosen führen – dann haben sie schon die richtige Patina.

Oder man trägt sie seit einem halben Jahrhundert wie Hans-Olaf Henkel: Das Cordjackett auf diesen Fotos hat mich mein Leben lang begleitet. Ich trug es in meiner Sturm-und-Drang-Zeit in Hamburg, es kam mit nach Sindelfingen, Böblingen und München, wo ich für IBM war. Es war in Amerika, Ceylon, Kalkutta, Paris. Das Sakko hatte sich mein Stiefvater 1953 beim Schneider Nauschütz in den Hamburger Colonnaden schneidern lassen. Mein Stiefvater war Künstler, Lautensänger (er hat den Evergreen „Einmal noch nach Bombay“ komponiert). 1958 vermachte er mir das Sakko. Es hatte einen phantastischen Stoff, eine tolle Farbe – nur die Ärmel waren entsetzlich kurz und die Schultern zu breit. Ein Schneider hat mir die Ärmel verlängert. Man sieht noch heute den Rand, der die ursprüngliche Ärmellänge anzeichnet und den mehrfaches Reinigen nicht beseitigen konnte. 2000 habe mich in dem Sakko für das Titelfoto meiner Lebenserinnerungen ablichten lassen. Einen 80-jährigen Schneider bewog das, mir zu schreiben und anzubieten, das Jackett zu restaurieren. Er hat die Knöpfe, das Futter und die Nähte erneuert – ich bin überzeugt, dass das Jackett jetzt noch weitere 52 Jahre halten wird. Die Frage ist, welcher meiner beiden Söhne es mal erben wird.

Genauso muss das sein, Sie können das rührende Festhalten eines Mannes an seinem Lieblingsjackett hier noch einmal im ➱Bild sehen. Ich bin übrigens ohne ein Cordjackett durch das Leben gekommen, aber seit einigen Jahren habe ich doch ein paar. Alle second hand oder Ebay, aber von den feinsten Firmen. Ich trage sie zuhause als Strickjackenersatz, lümmel mich mit ihnen im Sessel rum und schreibe meinen Blog. Mit meinem Mrs Robinson Jackett kann ich allerdings nicht am Computer schreiben. Das hat nämlich Lederknöpfe am Ärmel, und die klappern immer auf dem Schreibtisch, ding, ding, ding.

 

 

Sehen Sie die kleinen Stummelschlitze an dem Jackett? Wir sind im Jahre 1959, die langen Seitenschlitze, die wir heute kennen (und die in den 70er Jahren noch viel länger waren), haben sich noch nicht durchgesetzt. Das Werbeplakat der Firma Daks/Simpson wurde von dem berühmten Max Hoff gezeichnet, den Simpson seit 1936 unter Vertrag hatte. Eine seiner ersten Modezeichnungen für Simpson zeigte 1936 unter dem Titel Race Going Clothes zwei Gentlemen auf dem Rennplatz. Der eine, der mit einer Zigarre im Mund wohlwollend ein Pferd streichelte, trug einen einreihigen Glencheckanzug. Der andere, nur in der Rückenansicht zu sehen, einen Tweedanzug mit herringbone Muster. Und zwei langen Seitenschlitzen: His companion has kindly turned his back to show us that his jacket has long side vents. It is thus highly suitable as a hacking coat, lautet der Text der Anzeige. coat bedeutet damals (und auch heute im Englisch von Eton Zöglingen) nicht Mantel sondern Jackett. Wichtig ist der Hinweis auf hacking coat, denn von dem hacking coat oder dem Norfolk jacket kommen die Rücken- oder Seitenschlitze. Punkt.

Es lassen sich nicht so viele Modezeichnungen in den dreißiger Jahren finden, die Jacketts mit Rückenschlitzen zeigen, Rückenschlitze sind noch nicht en vogue. Das ist in Deutschland nicht anders. In dem Büchlein Männerkleidung unter den Augen des Fachmannes (1937), herausgegeben von der Fachgruppe Textil-Einzelhandel, taucht nur ein einziges Jackett mit einem Rückenschlitz auf, ein Sportsakko mit Rückensattel und Kellerfalten, Rundgurt mit hohem Rückenschlitz. So etwas Ähnliches trägt Heinz Rühmann in der Feuerzangenbowle.

Ich habe am Wochenende in einer Beilage meiner Lokalzeitung in den Ausführungen eines Schneidermeisters aus Schleswig lesen können, wie Schneideranzüge sein sollen. Dort war zu lesen: Ob mit oder ohne [Weste] – der englische Maßanzug ist körperbetont, die Jacke besitzt gerade geschnittene Pattentaschen, eine kleinere Seitentasche, links oben eine Brusttasche und rückseitig einen Mittelschlitz. „Der Italiener“ ist traditionell taillierter geschnitten, wirkt insgesamt jedoch legerer. Die Jacke hat oft schräg geschnittene Paspeltaschen und rückseitig zwei Schlitze. Dazu kann man nur mit Goethe sagen: getretner Quark wird breit, nicht stark.

Denn wenn irgendetwas den englischen Anzug auszeichnet, dann sind es schräg geschnittene Taschen und Seitenschlitze. Die schrägen Taschen kommen natürlich wieder vom hacking jacket aus dem Reitsport. Falls Sie kein Pferd haben sollten, machen Sie mal den Test auf dem Fahrrad: in eine schräg geschnittene Tasche kann man hineingreifen. Bei einer gerade geschnittenen ist das schon schwieriger. Rücken- und Seitenschlitze sind ein Element der sportlichen Kleidung, in der formellen Kleidung haben sie nichts zu suchen. An ein dinner jacket gehören keine Schlitze. In den 50er Jahren konnte man vereinzelt auf Photos Schauspieler mit kleinen Stummelschlitzen am Smoking entdecken, aber das braucht man nicht nachzumachen. Hollywoodstars haben sich in den letzten Jahren angewöhnt, schwarze Langbinder zum Smoking zu tragen, das ist nur ein Zeichen von schlechtem Geschmack. Wahrscheinlich können sie keine Schleife binden. Sicher haben Hollywoodstars einen großen Einfluss auf die Mode – vor allem in den 30er Jahren – aber nicht alles setzt sich durch. ➱Humphrey Bogart trug mal das Knopfloch nicht im linken Revers sondern rechts. Hat man jemals davon wieder gehört?

In der Zeit von 1939 bis 1949 tut sich modisch auf dem Gebiet der Rückenschlitze in England nicht so viel. Wer jetzt Rückenschlitze trägt, ist beim Militär. Für die zivile Kleidung ist die Rationierung von Stoffen angesagt. Was auch bedeutet, dass die Jacketts kürzer werden, bumfreezer nennt der Volksmund die. An einem derart kurzen Jackett wird kein Schneider einen Schlitz anbringen. Simpsons am Piccadilly, die Teile ihres schönen modernistischen Neubaus aus den 30er Jahren den englischen Streitkräften als ➱Messe zur Verfügung stellen, präsentieren jetzt beinahe nur noch Uniformen (I know a good uniform when I see one! verkündet ein Major auf einer Simpson Werbung 1940). Die Uniformjacke fängt bei fünf guineas an, für den Preis kann man bei Simpson auch schon einen shelter suit für die Zivilbevölkerung bekommen. Es ist erstaunlich, wie schnell sich Mode und Werbung auf die Verhältnisse eingestellt haben. Wem die 70 shilling für den shelter suit zuviel sind, der kann sich für 6 shilling einen Schnittmusterbogen kaufen und das Teil selbst nähen.

Der shelter suit (der natürlich keine Rückenschlitze hat), den Simpsons verkaufen, sieht beinahe genau so aus wie die seltsamen Klamotten, die Laszlo Moholy-Nagy getragen hat. Alec Simpson hatte ihn in den dreißiger Jahren als Designer und Innenarchitekten für den Neubau des Firmengebäudes von Joseph Emberton gewonnen. Das ist inzwischen schon Vergangenheit: A little bit of old England disappears today when Simpsons of Piccadilly closes its doors for good, hieß es im Guardian, als die Japsen, die inzwischen DAKS/Simpson besaßen, den Laden dichtmachten.

Die Armee entlässt ihre Soldaten 1945 mit einem zivilen Anzug (dem so genannten demob suit), natürlich wieder ein bumfreezer Jackett ohne Rückenschlitz. Und schauen Sie sich Peter Willes in dem docudrama von 1946, The Way We Live, in seinem demob suit an, keine Seitenschlitze. Sieht furchtbar aus. Stoff ist immer noch rationiert, erst im März 1949 hebt Sir Stafford Cripps die Coupon-Wirtschaft für Damen- und Herrenkleidung auf. Und ähnlich wie Christian Dior mit seinem New Look jetzt Unmassen von Stoff verwendet – hat nicht Scarlett O’Hara bei Kriegsende die Vorhänge von den Fenstern geholt und sich daraus ein neues Kleid schneidern lasssen? – schlägt jetzt auch die Savile Row zu. Ganz lange, glockenförmig taillierte Jacketts. Mit langen Schlitzen, manchmal auch mit seitlichen Falten (die sich aber nicht durchsetzen). Es ist für die Schneider der Savile Row eine große sartoriale Tragödie, dass sich die working class Prollies diesen ➱Neo-Edwardian Look aneignen und daraus den ➱Teddy Boy Look machen.

Seit den 50er Jahren beginnen die Italiener im großen Stil zu einer Wirtschaftsmacht in Sachen Herrenmode zu werden. Zwar hatten die Herren Nazareno Fonticoli und Gaetano Savini die Firma Brioni schon bei Kriegsende gegründet, aber erst Anfang, eher Mitte der 50er Jahre trat sie wirklich öffentlich in Erscheinung. Hat auch gleich viele amerikanische Schauspieler als Kunden, Hollywood dreht da jetzt gerne Filme. Die Italiener sind in der Herstellung billiger als Engländer und Franzosen, und sie liefern zu beinahe hundert Prozent Handarbeit – das wird bis heute das Erfolgsrezept des Made in Italy sein.

Eine wirkliche Mode machen sie nicht, sie kopieren eigentlich nur die Engländer. Eleganter und mit mit leichteren Stoffen, aber sonst auch nix. Denn der ➱Italian suit der 60er Jahre, dunkel, tailliert, mit engen Hosen (das was Tarrantino in Reservoir Dogs auf die Leinwand bringt), ist eigentlich nicht anderes als der Typ des Anzugs, den die Gardeoffiziere tragen. Und den eines Tages Anthony Sinclair für ➱James Bond schneidern wird. Es ist ein zeitloser Stil, den man an diesem englischen Anzug aus dem Jahre 1957 sehr schön studieren kann.

Ende der 50er Jahre war es eine große Schwierigkeit, in Deutschland ein Jackett mit einem Rückenschlitz zu finden. Ich weiß noch ganz genau, wie ich mit einer geliehenen englischen Fachzeitung in der Hand dem Schneider meines Vaters ganz genau erklärte, dass ich an dem Anzug, den er für mich änderte, einen Rückenschlitz haben wollte. Und nicht so’n kleinen Stummelschlitz. Anton Schiwal war zuerst skeptisch, aber dann hat er das doch toll hingekriegt. War wahrscheinlich der erste Rückenschlitz in seinem Schneiderleben. Wahrscheinlich war er da so stolz drauf, dass er an den nächsten Anzug, den mein Vater bei ihm bestellte, auch einen Rückenschlitz machte. Das war allerdings ein Zweireiher. Haben Sie schon mal einen Zweireiher mit Rückenschlitz gesehen? Eben. Es sieht auch nicht aus. Seitenschlitze sind wunderbar, aber Zweireiher und Rückenschlitz geht nun gar nicht.

Aber die Seitenschlitze kommen in den sixties auch zu uns nach Deutschland. Nicht nach Amerika, da wird nur ein Rückenschlitz getragen (und die Hosen als kurze Hochwasserhosen), das ist eine erstaunliche Sache. Noch in den siebziger Jahren empfiehlt das tonangebende GQ (qualitativ auf viel höherem Niveau, als das gleichnamige deutsche Produkt) für Bewerbungsgespräche den Anzug mit einem Rückenschlitz (more moderate than twin vents). Bei dem was die Amerikaner als Anzüge tragen (die ja nichts als eine Variation des Sack Suit Numer One von Brooks Brothers sind) ist das eigentlich auch völlig egal. Die neue Mode der sixties kommt jetzt aus England, und das neue Schlagwort heißt ➱Peacock Revolution. Wenn Ihnen der Begriff bisher fremd war, gucken Sie sich doch mal dies Photo von Ringo in einem Anzug von Tommy Nutter an.

Und jetzt kommen die Seitenschlitze en masse, nicht nur bei Tommy Nutter (die auf dem Bild sind allerdings von ihm). Und mit Seitenschlitzen meinen die Engländer jetzt die ganz langen Seitenschlitze. Nicht die akzeptablen sieben bis neun inches. Das ist jetzt das ➱schrille Zeug eines Jahrzehnts, das vom Geschmack vergessen wurde, von den Beatles bis zu Peter Wyngarde, Roger Moore als James Bond nicht zu vergessen. Geschmacklich schlimm, vor allem, wenn man sich auf alten Photos entdeckt und aussieht wie ➱Austin Powers mit seinem ➱King’s Road Outfit (die weithin bekanntere Carnaby Street war ja eh nur für die Touristen).

Wenn auch viele auf den Straßen Londons in dieser Zeit so aussehen, als seien sie dem Schallplattencover von Sergeant Pepper’s Lonely Heart’s Club Band entsprungen (und sich auch die ersten psychedelischen Subkulturen zeigen), es gibt doch ein romantisches Stilwollen. Und vieles von den exzentrischen Sachen ist auch traditionell gut geschneidert, das gilt für Tommy Nutter genauso wie für ➱John Pearse (mit seiner Boutique Granny Takes a Trip) oder ➱Edward Sexton. In Italien machen sich derweil Giorgio Armani et.al. bereit, die Herrenmode zu verändern (ich lasse die Italiener heute mal draußen vor und schreibe über die ein anderes Mal). Geschmacklich nicht unbedingt zum Besseren, ich erinnere nur an Zweireiher mit fallendem Revers! Und jahrzehntelang ohne Rückenschlitze!

Einer Generation später gilt das alles als a bit too charlie. Ein Slangwort, das irgendwo an den Public Schools entstanden ist und nun zur Lieblingsvokabel einer neuen Spezies Mensch, dem Sloane Ranger, wird. Es bedeutet nichts anderes als cheap, nasty, flashy or in bad taste. Sloane Rangers (und ihre etwas erwachsenere Variante die Young Fogeys) wollten zurück zu einer Klassik der englischen Herrenmode, solche Pendelbewegungen haben wir ja immer wieder in der Mode, auf eine Phase der Romantik folgt ein Klassizismus. So ironisch und satirisch das ➱Official Sloane Ranger Handbook ist, es enthält auch Sätze, die ein Gesetzestext der Herrenkleidung sein könnten. Zum Beispiel über das Tweedjackett: The tweed jacket. Army Sloanes call it change coat. Etonians call it half change. Worn in all situations, particularly with jeans. Must be real tweed, seriously made by an English maker. Never in fashion cut. One vent. Ja, da genügt mein schönes italienisches Etro Jackett den strengen Anforderungen nicht, die Jacketts von Magee (die auch die Tweedjacketts für Hackett machen❋) schon. Aber Sie haben es gesehen: tweed jacket=one vent. Als das Official Sloane Ranger Handbook erschien gab, es die Firma ➱Dunn&Co. noch, deren Jacketts immer den Sloane-Richtlinien entsprochen haben. Aber ein Jahrzehnt später waren sie pleite, wahrscheinlich weil alle jetzt Armani Jacketts kauften.

Natürlich enthält die Bibel einer gewissen Sorte von Englishness auch einen Paragraphen über Rücken- und Seitenschlitze: Suits should never be cardboard. Better be rumpled than Flash Harry. A buttonhole is essential (we’re the morning-coat classes). And all but the most formal of the Sloane’s suits (no vents) have two vents, for two reasons: he can put his hands in both pockets, and when he moves fast  or dances, the skirts fly up, showing the silk lining (raspberry is a bit charlie, but it does look fine). Jetzt ist uns doch alles klar. Oder?

❋Mittlerweile offensichtlich nicht mehr, ich erhielt gerade eine Mail von einem Fachmann. Der mich auch darauf hinwies, dass die Tweed Jacketts von Magee inzwischen in Nordafrika hergestellt werden. Das wußte ich schon, wollte es aber meinen Lesern verschweigen. An welche Mythen sollen wir denn noch glauben, wenn die Donegal Tweed Jacken nicht mehr aus Donegal kommen?

Aääh, mach das weg!!! betitelte die Süddeutsche vor vierzehn Tagen einen Bericht über das Comeback der Taschenmarke MCM. Ich habe das fett gedruckt, weil es so schön ist: Aääh, mach das weg!!! MCM, der Höhepunkt des schlechten Geschmacks, ist wieder da. Vor Jahren, als Harald Schmidt noch witzig war, brachte er auch mal eine schöne Schlagzeile: Konkursgerüchte um MCM. Panikkäufe der Spielerfrauen von Bayern München.

Ich weiß jetzt nicht ganz, wie ich auf die Marke MCM gekommen bin, weil ich doch eigentlich über Louis Vuitton schreiben wollte. Denn der Firmengründer wurde heute vor 190 Jahren geboren. Aber irgendwie ist Louis Vuitton ja so etwas ähnlich Schreckliches wie MCM. Das weiß auch schon Google Bilder. Gibt man da MCM Taschen ein, bekommt man über all diesen vielen wunderschönen und geschmackvollen Taschen die Zeile Verwandte Suchanfragen: louis vuitton taschen. Quod erat demonstrandum.

Louis Vuitton ist auf jeden Fall schrecklich, seitdem die Marke zu dem Konzern LVMH von Bernard Arnault gehört. Vorher machte sie Gepäck für Millionäre, die mit dem Orient Express fuhren oder Erster Klasse über den Atlantik reisten. Falls die nicht ihre Koffer bei Hermès oder Loewe kaufen. Die spanische Firma Loewe (die das spanische Königshaus bevorzugt) gehört inzwischen auch schon zum LVMH Konzern, Hermès noch nicht (Arnault besitzt erst 20 Prozent). Aber viele wirklich feine Firmen gehören zum großen Leidwesen von dem Sarkozy-Freund Arnault (der als Mitterand an die Macht kam, Frankreich verließ) zu anderen Luxuskonzernen. Arnaults Konkurrent Johan Rupert hat viel feinere Namen in seinem Richemont Konzern. Wo Richemont im Bereich der Luxusuhren Jaeger LeCoultre, die IWC und Lange&Söhne besitzt, hat Arnault nur so etwas wie Dior Watches, Hublot und TAG Heuer. Aber dafür besitzt Arnault, den Airy Routier in einer selbstverständlich nicht autorisierten Biographie als L’Ange exterminateur beschrieb, natürlich die Firma Louis Vuitton.

Dass Louis Vuitton (wie Coco Chanel) von der Kollaboration mit den Nazis profitierte, hört man natürlich nicht so gerne (nur der englische Wikipedia Artikel hat einen Hinweis darauf, der französische und der deutsche Artikel verschweigen das ganz dezent). Man hört es sowieso überhaupt nicht, weil die Presse mit Ausnahme des Canard Enchaînénicht darüber berichtet hat. LV ist der größte Anzeigenkunde der französischen Presse, das will man sich nicht verderben. Le Canard Enchaîné erhält keine Anzeigen von LV.

Und Louis Vuitton hat nicht nur diesen guten Ruf, die Firma hat auch ganz viele Rechtsanwälte, die weltweit jeden verklagen, der irgendwie das LV Logo gebraucht, das der Sohn des Firmengründers vor über hundert Jahren entworfen hat. Deshalb gibt es heute hier keine einzige Louis Vuitton Abbildung. Ich werde einen Deubel tun und mich mit denen anlegen. Das mit den Rechtsanwälten ist wie bei Rolex, wo es inzwischen auch schon mehr Rechtsanwälte als Uhrmacher geben soll. Die Anwälte solcher Unternehmen schreiben ja häufig Rechtsgeschichte, weil man noch nach Jahrzehnten über sie lachen kann. Wie zum Beispiel im letzten Jahr als LV die dänische Künstlerin ➱Nadia Plesner verklagte. Obgleich Louis Vuitton in einer Instanz gewonnen hatten, hob das Bezirksgericht Den Haag vor wenigen Monaten das ➱Urteil auf. Und so darf Nadia Plesner weiterhin nackte hungernde Kinder aus Dafur mit einem Paris Hilton Handtaschenhund und einer Louis Vuitton Tasche malen.

Es ist immer sehr komisch, wenn Luxusgüterfirmen die Kunst für sich vor Gericht reklamieren. Rolex hat vor Jahren einmal behauptet, dass ihre Uhren Kunstwerke sein, die nicht verändert werden dürften. Da hatten sich Rolex Besitzer bei einem Juwelier eine Diamantlünette auf ihre Rolex basteln lassen. Das, was in Zuhälterkreisen Scherbenkranz heißt. So etwas hat Rolex auch im Angebot, ist aber woanders billiger. Rolex hatte solche Uhren einbehalten, als die zum Kundendienst kamen. Weil es ja Kunstwerke sind, die man nicht verändern darf. Das oberste deutsche Gericht urteilte mit gesundem Menschenverstand, dass jeder Käufer mit seiner Rolex machen kann, was er will. Er kann sie grün anmalen, wenn ihm das gefällt. Ist eine echte Alternative.

Die Dänin Nadia Plesner wird bestimmt keinen Job bei Louis Vuitton bekommen, die haben schon ihre eigenen Künstler. Wie eine Frau namens Vanessa Beecroft, über deren künstlerische Dimension dieFAZ schrieb: Die Künstlerin Vanessa Beecroft kann, wie der Schlagerkomponist Dieter Bohlen, auf ein Werk zurückblicken, das im Wesentlichen auf der Endlosvariation eines recht einfachen Grundmotivs beruht. In ihrem Fall sind das Auftritte von mehr oder weniger nackten Frauen, die bedeutungsvoll schweigend in Museumsräumen liegen oder stehen. Vanessa Beecroft hat vor Jahren bei der Eröffnung eines neuen Flagship Stores (ach, wieder so ein Lieblingswort von mir) auf den Elysischen Gefilden in Paris nackte Frauen stundenlang im Regal plaziert. Ja, das ist Kunst. Diese Sorte Kunst, wenn Jeff Koons seine italienische Pornodarstellerin zum Kunstwerk macht. Oder Damien Hirst zersägte Kühe in Plexiglas serviert.

Und mit dieser Sorte Kunst komme ich zu dem belgischen Künstler Wim Delvoye, der bei der Pariser Luxusfirma auch wohl keinen Vertrag bekommen wird. Er tätowiert nämlich Schweine mit Louis Vuitton Logos, und danach sind die ganz viel wert. Ein Schweinegeld sozusagen. Er macht das aber in China. Wenn er das hier machen würde, hätte er die Tierschützer am Hals – oder die Anwälte von Louis Vuitton. Ich weiß nicht, was von beiden schlimmer ist. Aber bei Louis Vuitton sollte man  vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob sie nicht doch Wim Delvoye unter Vertrag nehmen sollen. Der könnte ja auch zusammen mit Vanessa Beecroft ein Louis Vuitton Kunstwerk gestalten: Die Beecroft photographiert Wim Delvoyes piggies in den Regalen der LV Boutique und Delvoye tätowiert die nackten Models von der Beecroft mit LV Logos. Das wär‘ doch mal was.

Ich dachte bisher immer, dass Louis Vuitton Taschen nur von diesen sechsmal gelifteten Tussies getragen werden, die bei Frauke Ludowig aufschlagen. Unter deren eingeblendetem Namen immer der Zusatz Society Lady steht. Also diese Klientele, die früher MCM getragen hat. Aber es gibt sicher auch jüngere Trägerinnen, solch geklonte Paris Hilton Typen. Die meisten Louis Vuitton Träger auf der Welt tragen natürlich LV Fakes, die man in der Türkei schon für zehn Euro kaufen kann. Ich habe im Internet eine ➱Seite gefunden, die ich unbedingt empfehlen möchte, weil sie die ganze Tiefe dieses Problems auslotet. Intellektuell wie sprachlich. Vielleicht sollte Louis Vuitton einmal auf seiner Homepage einen Link zu dieser schönen Seite machen.

Und an die Gentlemen gewandt, die immer mal wieder in diesen Blog schauen, in der Hoffnung, dass ich mal wieder über Mode schreibe, habe ich eine ganz schlichte Botschaft: Uns braucht das alles überhaupt nicht zu interessieren. Niemand trägt einen Aktenkoffer von Louis Vuitton. Außer vielleicht Tony Blair, aber der ist kein Gentleman. Und der steht auf der Gehaltsliste von Louis Vuitton. Übrigens gab es bei Ebay gestern Abend 1.201 Teile von Louis Vuitton aber kein einziges von Swaine Adeney und Brigg. Und das bringt mich zu dieser jahrhundertealten Firma in der St James’s Street. Denn für den anglophil angehauchten Gentleman gibt es natürlich nur ein Köfferchen. Und das ist das schlichte rötliche lid-over Teil von Swaine, Adeney & Brigg. Also gut, Papworth ist auch erlaubt. Da sind denn auch glücklicherweise keine Buchstaben drauf bei denen man ausrufen möchte: Aääh, mach das weg!!! 

Der Koffer kann natürlich auch schon (wie meiner) Tragespuren zeigen. Schließlich ist der jeweilige englische Chancellor of the Exchequer seit William Gladstone hundert Jahre lang mit dem gleichen roten Köfferchen zum Parlament gefahren. Erst James Callaghan hat sich 1965 einen neuen machen lassen. Aber der hat auch Nadelstreifenanzüge getragen, bei denen der weiße Streifen aus lauter kleinen Buchstaben J und C gewebt war. Hat das Stil und Geschmack? Sein Nachfolger Roy Jenkins, der nie auf solche Gedanken mit seinen Anzügen gekommen wäre, hat dann wieder den alten Koffer von Gladstone hervorgeholt. Aber als Gordon Brown Schatzkanzler wurde, hat er sich einen ganz neuen roten Koffer machen lassen. Das hat doch keinen Stil. Und dann dieses goldene Wapperl da in der Mitte. Aääh, mach das weg!!! Und wo hat das hingeführt? Tony Blair hat England in den Golfkrieg geführt, macht mit Arnault auf dessen Yacht Urlaub (unten) und hat jetzt einen Job (der ihm angeblich 1.2 Millionen Pfund einbringt) bei Louis Vuitton.

Dazu zitiere ich doch mal gerne Tanya Gold vom GuardianWhy is Blair doing it? I can only ­imagine it is for money, final proof that socialism was never remotely close to his heart. The only consolation is – it is a ­beautiful metaphor about what Blair did to Britain. He took us further into the temple of pointless greed and ­consumerism. The gulf between rich and poor became a chasm. And in that gap, I suppose, lies leather goods. Happy handbag flogging, Tony.

Am 25. Juli 1854 hat Walter Hunt in New York unter der Patentnummer 11.376 den Papierkragen zum Patent angemeldet. Der Mann hat ja eine Vielzahl von nützlichen Dingen erfunden, von der Sicherheitsnadel bis zur Nähmaschine. Der Papierkragen (und der spätere Zelluloidkragen) ist heute ein wenig aus der Mode gekommen. Mein Opa hatte noch solche Dinger. Mein Vater hatte welche für sein Frackhemd. Einen davon habe ich aufbewahrt, der liegt jetzt als Inspiration zum Schreiben neben mir. Mit Kragenköpfen vorn und hinten. Er ist von der Firma Schäffer in Bielefeld (einstmals einer der größten deutschen Hemdenhersteller) und nicht von der Leipziger Firma Mey&Edlich, die mit Papierkragen groß geworden ist.

Wie schon die beliebte Zeitschrift Die Gartenlaube 1874 zu berichten weiß: Diese Mey und Edlich’sche Fabrik ist jedenfalls die bedeutendste in Deutschland. Sie ist so eingerichtet, daß sie täglich 400,000 Stück Kragen, 100,000 Stück Manschetten und 30,000 Stück Vorhemdchen liefern kann. Sie beschäftigt jetzt schon 150 weibliche und 50 männliche Arbeiter, hat nur Dampfbetrieb, eigene Cartonnagenfabrik, Tischlerei, mechanisches Atelier und verarbeitete im Jahre 1872 circa 700,000 Pfund Cartonpapier, aus welchen ungefähr 25 Millionen Kragen und fünf Millionen Manschetten und Vorhemdchen verfertigt wurden. Die sogenannten Papierabfälle, aus welchen dann in den Papierfabriken die feinsten Briefpapiere fabricirt werden, betrugen ungefähr 70,000 Pfund. Der Absatz dieses Etablissements geht hauptsächlich nach Deutschland, Oesterreich, der Schweiz, nach Japan, Indien und Süd-Amerika, nach Schweden, Norwegen und Rußland. Also, am besten lesen Sie den ganzen ➱Artikel, dann wissen Sie alles über den Papierkragen.

Wenn die Gartenlaube schreibt, dass die Amerikaner 1872 im Jahr 450 Millionen Papierkragen verbrauchen, dann werden diese Zahlen ungefähr stimmen. Man muss sicher noch eine hohe Zahl von anknöpfbaren Kragen aus Leinen oder dem billigen englischen shirting dazurechnen (die anknöpfbaren Manschetten lassen wir mal heute aus). Die im Übrigen nicht teurer sind, als die Zelluloidkragen. Mein Reprint eines Montgomery Ward Katalogs von 1895 (eine Fundgrube für Kostümhistoriker!) sagt mir, dass das Dutzend Leinenkragen (in den verschiedensten Formen) einen Dollar fünfunddreißig kostet. Das Dutzend Celluloidkragen (nur vier Modelle zur Auswahl) kostet einsfünfzig. Die Systematik des Katalogs ist etwas gewöhnungsbedürftig: Collars and Cuffs sind auf S. 91-93, Herrenhemden (mit abnehmbaren Kragen und Manschetten) finden sich auf S. 292.  Zwanzig Seiten später geht der Katalog übergangslos von Damenkorsetts zu Pferdegeschirr über, das finde ich sehr komisch.

Nicht nur Papier- und Leinenkragen werden bei Montgomery Ward im Dutzend angeboten, auch die Hemden sind im Dutzend billiger, wie man so schön sagt. So kostet ein Dutzend Hemden (mit zwei unterschiedlichen Kragen) je nach Qualität zwischen 10.80 $ und 16.50. Die Kragenknöppe gibt es umsonst dazu. Wir wollen jetzt lieber nicht danach fragen, was die Näherinnen für ein Hemd bekommen haben. Für den Preis von einem Dutzend Hemden kann man auch schon das billigste Modell einer Taschenuhr aus amerikanischer Produktion bekommen. Wenn sie gut gepflegt wurde, geht die heute noch. Papier- und Leinenkragen aus dem 19. Jahrhundert sowie die dazu passenden Kragenknöpfe kann man heute noch auf Auktionen oder im amerikanischen Ebay finden. Die niedrigen Preise für Hemdkragen sollen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Masse der Amerikaner im Gilded Age nicht gut geht. Der American Dream, diese Wunschvorstellung vom Tellerwäscher zum Millionär, bleibt für die meisten der jetzt nach Amerika kommenden Einwanderer ein Traum. Die Vanderbilts, Rockefellers und Carnegies kaufen ihre Hemden nicht bei Montgomery Ward oder Sears&Roebuck und wie die jetzt aus dem Boden schießenden Versandhäuser so heißen, die ganz Amerika nicht nur mit Papierkragen versorgen. Auch mit Korsetts und Zaumzeug für Pferde. Für den Preis von einem Dutzend Hemden kann man bei Montgomery Ward übrigens auch einen Colt kaufen. Oder eine Winchester ’73.

Die Papier- und Leinenkragen, die man im Victorian Age im Zwölferpack kauft und in keksdosenartigen Behältern aufbewahrt (ich habe noch einen aus braunem Leder), sind in den meisten Fällen weiß. Dies ist das Zeitalter derrespectability, man möchte einen sauberen weißen Kragen haben. Auch wenn alles um einen herum nicht so sauber ist. Wenn man einen blue collar trägt, ist man ein Arbeiter. Wenn man einen white collar trägt, ist man etwas Besseres. Obgleich das Englische ja auch den Begriff white collar crime kennt. Weiße Kragen bürgen nicht für Moral. Im Victorian Age nicht und heute auch nicht. Aber man hält an dem steifen weißen Kragen fest und wagt keine Veränderungen. Dahinter steht vielleicht, wie John C. Fluegel in seiner Psychology of Clothes schrieb: The guilt attached to the idea of abandoning traditional male costume, owing to the moral symbolism associated with it. A man is apt to feel that if he dispensed with his thick coat and stiff, tight collar, he would be casting off the moral restraints that keep him to the narrow path of virtue and of duty.

Weiße Hemden sind ja nun im Alltag nicht so praktisch, und so finden wir zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr gemusterte Hemden. Irgendwann gelangen die regatta stripes auf die Hemdbrust, aber immer gibt es dazu den weißen Kragen und die weißen Manschetten. Diese Hemdenmode von farbigen oder gestreiften Hemden mit weißem Kragen und weißen Manschetten hat sich in England gehalten, selbst beim ➱Cutaway findet man solche Hemden heute häufig. Ich finde das eigentlich sehr schick und habe davon immer noch eine Anzahl im Schrank. Obgleich dieses sehr englische Kleidungsstück irgendwann nach Deutschland kam und bevorzugt von Friseuren, Versicherungsvertretern und Autoverkäufern getragen wurde. Schrecklich. Ebenso schrecklich wie diese orientalisch bunten Hemden, die Mohamed Al Fayed trägt. Da bringt auch ein weißer Kragen keine respectablity. Die englische Staatsbürgerschaft für den phoney pharao erst recht nicht.

Je steifer und höher der Kragen ist, desto größer ist die Eleganz. Das wussten schon die Incroyables während der Zeit des Directoire. Diese Kragen halten sich bis in die Romantik. Sie waren vor allem bei Künstlern beliebt, wie das Bild von Rembrandt Peale zeigt, der hier seinen Bruder Rubens portraitiert hat (ja, Vater ➱Peale hat all seinen Kindern Vornamen nach Malern gegeben). Danach tendieren die Künstler etwas mehr zur Bohème und tragen den Byron Kragen oder den Schillerkragen.

Aber die Bourgeoisie, macht solchen Firlefanz nicht mit, die will den steifen Kragen haben. Die folgende Stelle aus H.G. Wells‘ RomanKipps mag dafür typisch sein: There came still other distractions, the natural distractions of adolescence, to take his mind off the inevitable. His costume, for example, began to interest him more; he began to realise himself as a visible object, to find an interest in the costume-room mirrors and the eyes of the girl-apprentices.
In this he was helped by counsel and example. Pearce, his immediate senior, was by way of being what was called a Masher, and preached his cult. During slack times grave discussions about collars, ties, the cut of trouser-legs, and the proper shape of a boot-toe, were held in the Manchester department. In due course Kipps went to a tailor, and his short jacket was replaced by a morning coat with tails. Stirred by this he purchased at his own expense three stand-up collars to replace his former turndown ones. They were nearly three inches high, higher than those Pearce wore, and they made his neck quite sore, and left a red mark under his ears…So equipped, he found himself fit company even for this fashionable apprentice who had now succeeded Minton in his seniority.

Der abknöpfbare steife Kragen hieß im 19. Jahrhundert im Französischen ironisch carcans (Halseisen) oder parasite (weil man ihn für unterschiedliche Hemden verwenden konnte). Der Wortwitz machte aus dem parasite den patricide, und so haben wir im Deutschen dann den Vatermörder. Dieser steife Kragen hat sich für formelle Kleidung wie den Frack bis heute gehalten. Und von Zeit zu Zeit trägt unser Karl Lagerfeld solche Kragen ja auch, aber es setzt sich als Mode nicht mehr richtig durch.

Unsere Hemden heute, bei denen Kragen und Hemd aus einem Stück sind, sind noch gar nicht so alt. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wird sich dieser Hemdentyp in Amerika finden. Die amerikanische Firma Cluett Peabody & Company in Troy (New York) wird diesen Siegeszug verantwortlich sein. Und natürlich die tolle Arrow Collar Man Werbung durch J.C. Leyendecker. Die kleine Stadt Troy am Hudson ist mit einer Vielzahl von Firmen, die Kragen und Hemden herstellen, das, was Leipzig mit Mey&Edlich für Deutschland ist. Irgendwann wird dieses amerikanische Troja den Namen Collar City bekommen.

Die Amerikaner haben den detachable collar erfunden, irgendwann in den 1820er Jahren. Vorher war das Oberhemd aus einem Stück. Wenige Jahrzehnte zuvor gab es noch gar keine Unterschiede zwischen Unter- und Oberhemd. Wenn heute junge Leute ein T-Sirt zu allen Gelegenheiten tragen, sind sie modisch wieder auf dem Stand von 1790, als das Hemd Unterhemd, Nachthemd und Oberhemd in einem war. Hundert Jahre nach der Erfindung des anknöpfbaren Kragens, der in diesem Jahrhundert alle Formen durchlaufen hatte, setzt sich in Amerika das Hemd, wie wir es heute kennen, immer mehr durch. Nicht in England. Engländer beharren länger auf Traditionen. Zwar gibt es in England seit 1929 eine Men’s Dress Reform Party (MDRP) und schon vorher eine Anti-Collar League, aber deren ➱Kleidungsideale werden sich im konservativen England nicht durchsetzen.

Denn selbst junge Engländer können sich mit all that jazz, der jetzt von Amerika herüberkommt, nicht so recht anfreunden; das gilt für die formlosen, leicht effeminierten Jacketts ebenso wie für die Hemden. Und so bleibt der detachable collar ein Standardteil der Garderobe. Das hat auch simple ökonomische Gründe: es ist viel billiger, einen Kragen zu waschen (oder reinigen zu lassen) als ein ganzes Hemd.

Der detachable collar, der für meinen Opa eine Selbstverständlichkeit war, ist nicht ganz tot. Der englische Politiker Enoch Powell, bei dem ich nie so recht weiß, ob man ihn bewundern oder hassen soll, machte im hohen Alter in einem Interview ein erstaunliches Geständnis. Er wusste überhaupt nicht, dass man Hemden kaufen konnte, die keinen abknöpfbaren Kragen hatten. Sein Schneider versorgte ihn immer nur mit Hemden mit detachable collars.

Es gibt heute noch Firmen in der Jermyn Street, die das anbieten. Für Frack und Cutaway bleibt er eine Selbstverständlichkeit für den konservativen Gentleman. Für andere, nicht so offizielle Hemden ist er das gewisse Extra für Young Fogeysdie Suzanne Lowrys Young Fogey Handbookauswendig gelernt und das Chap Magazine abonniert haben. Bei bestimmten Berufsgruppen hält sich derdetachable collar hartnäckig. Zum Beispiel der dog collar (eine etwas informelle Bezeichnung) der Geistlichen. Die Firma Gieves (bevor sie die Firma Hawkes kaufte und Gieves and Hawkes war) hielt für englische Offiziere selbstverständlich detachable collars parat (bei Gieves and Hawkes Military sind die immer noch im Angebot). Während die regulation shirts der Army und der Royal Air Force für den einfachen Soldaten keine abknöpfbaren Kragen vorsahen (nach manchen Modehistorikern läutete das das Ende des detachable collar ein), bestanden die Gentlemen bei ihren Hemden weiterhin auf dem detachable collar. Die Firma Gieve kommt mit ihren Offiziershemden übrigens auch in dem Film The Man Who Never Was vor. Es gibt noch eine Berufsgruppe in England, die auf dendetachable collar wohl nie verzichten wird: Die englischen Juristen, die eine Perücke tragen, haben im Gerichtssaal selbstverständlich einen Klappenkragen an ihr Hemd geknöpft. Wenn sie Old Bailey verlassen, haben sie den steifen Kragen natürlich für den Rest des Tages gegen einen weißen anknöpfbaren Umlegekragen getauscht.

Wir haben heute keine roten Streifen unter den Ohren wie der junge Kipps in H.H. Wells‘ Roman, der dabei ist, in der Gesellschaft aufzusteigen. Weil es diese Vatermörderkragen nicht mehr gibt, die three inches high sind (das ist im Jahre 1890 die große Mode, höher wird er nicht werden). Obgleich viele englische Oberhemden auch heute noch knallharte Kragen haben, und die englischen Hemdenmacher auch relativ hohe Kragen anbieten. Aber vielleicht kommt ja alles wieder, und Karl Lagerfelds verschmockte Kleidung ist wirklich einmal in seinem Leben die Avantgarde. So etwas kann in der Mode ja ganz schnell gehen, im gleichen Jahr, in dem sich in England die Men’s Dress Reform Party gründet (die übrigens nach elf Jahren wieder einging), sang Otto Reuter in Berlin sein Ick kann det Tempo nich vertragen!

Die Mode heut‘ erhitzt mein Blut. 
Man hat schon früher mal jetragen 
ein‘ steifen Kragen und schlappen Hut – 
doch bis ick dachte: „Schön, is jut, 
trägst steifen Krag’n und schlappen Hut“, 
da trug’n die andern, mir zur Wut 
ein‘ steifen Hut und schlappen Kragen! 
Jetzt – wo man wieder tragen tut 
n‘ schlappen Hut und steifen Kragen, 
da find‘ ick endlich erst den Mut – 
Statt’n steifen Krag’n und schlappen Hut 
für’n schlappen Hut und steifen Krag’n – 
nee, n‘ steifen Krag’n und schlappen Hut – 
nee, ’n schlappen Krag’n und steifen Hut- 
Ick kann det Tempo nich vertragen!


Eigentlich trage ich ja keine Jeans mehr. Nicht weil ich zu alt dafür wäre, nein, die Dinger ruinieren jeden Sessel, wenn man sie zu Hause trägt. So wie andersherum früher die Mercedes Sitze die maßgeschneiderten Hosen des Herren am Volant ruinierten. Den Bundesminister, der sich im gleichen Schreibtischsessel sitzend mehrere Hosen ruinierte und die neuen Schneideranzüge dem Steuerzahler in Rechnung stellte, will ich jetzt nicht erwähnen. So softig der Jeansstoff auch aussehen mag, er kriegt à la longue jeden Sessel klein. Aber wenn ich auch keine Jeans mehr trage, habe ich immer noch eine Handvoll alter Levis 501 im Schrank, die ja ein klassenloser Klassiker sind. Auch wenn man vergessen hat, dass es sie jahrelang gar nicht mehr gab, und sie erst durch eine Werbekampagne von den Toten auferweckt wurden. Nachdem sich das Modell vorher überhaupt nicht verkaufte und nur noch das Erkennungszeichen der schwulen Gemeinde von San Francisco war. In einer Zeit, die von der Semiotik der Alltagsobjekte geprägt wird, muss man schon ganz schön aufpassen mit den Sachen, die man anzieht. Aber jetzt ist die 501 natürlich wieder ein Klassiker. Wegen der Werbung.

Ich habe noch meine alte 501 aus dem Jahre 1957 im Schrank, passe ich natürlich nicht mehr rein. Die war noch aus dem Stoff, mit dem man sich vor dem Tragen in die heiße Badewanne setzen musste, damit die Jeans einlief: shrink to fit hieß es so schön in der Werbung. Hinterher nahm man die im Sommer mit an die Nordsee und stellte sich stundenlang in die Brandung, das Salzwasser bleichte dann den Denimstoff so schön aus. Ich habe über diese prägende Erfahrung vor einem Jahr unter dem Thema Kulturwandel hier etwas geschrieben. Heute braucht man das alles natürlich nicht mehr, weil die Jeans im used look geliefert werden, sandgestrahlt und stonewashed. Und Levis hat vor Jahren die gute alteshrink to fit Jeans wieder auf den Markt gebracht, da habe ich aber die Finger davon gelassen.

Dass heute jeder Jeans im used look haben will, aus dem längst ein destroyed look geworden ist, bringt Gefahren mit sich, an die Jeanskäufer kaum denken. Es sei denn, Sie hätten schon einmal versucht, ihre Jeans in der Badewanne mit Domestos zu behandeln und sich dabei Verätzungen der Lunge zugezogen. Wenn die Industrie Natriumhypochlorit verwendet, tut sie letztlich nichts anderes. Und da ich den Namen Domestos schon mal erwähnt habe, Domestos Jeans scheinen neuerdings wieder in zu sein. Auf jeden Fall in bestimmten Kreisen. Wie zum Beispiel Neonazis. Unglücklicherweise bevorzugen Skinheads inzwischen auch schon die Levis 501. Und dann der nächste Horror: Moonwashed, der letzte Schrei der DDR aus den achtziger Jahren, soll auch wieder im Kommen sein. Wenn wir lange genug warten, kommen auch noch die Bundfaltenjeans wieder. Mit Bügelfalte.

Der Preisunterschied liegt in der Waschung, sagte mir ein Verkäufer auf die Frage, weshalb die eine Jeans doppelt so teuer sei wie eine andere des gleichen Herstellers. Da können wir ja nur hoffen, das die Firma genau diesen Preisunterschied in die Lebensversicherung der Arbeiter einzahlt, die sich beim Hantieren mit den Giften der Waschung und mit dem Sandstrahlen des Denim Stoffes die Gesundheit ruinieren. Das weiß man schon etwas länger, aber wir alle scheinen vergessen zu haben, was uns Naomi Klein vor zehn Jahren mit ihrem Buch No Logo sagen wollte. Und meistens findet das ja in Pakistan statt und ist sowieso Kinderarbeit, da kümmert es uns nicht so sehr. Das bringt nun die italienischen Hersteller von Luxusjeans ein klein wenig in Schwierigkeiten. Um ihre Produkte als made in Italy verkaufen zu können, können sie diesen Teil der Fertigung natürlich nicht in Pakistan erledigen lassen. Aber vielleicht lassen sie italienischen Luxusfirmen, die jetzt ganz groß im Designerjeans Geschäft sind, die schmutzige Arbeit von den Chinesen erledigen, die in Italien schon zu einem Wirtschaftsfaktor geworden sind.

Designerjeans hat es in den achtziger Jahren ja schon einmal gegeben, als amerikanische Firmen wie Jordache und Gloria Vanderbilt auf die Idee kamen, auf ihre Billigjeans große Firmenlogos draufzunähen und die teuer zu verkaufen. Aber die Designerjeans der letzten Jahre sind doch etwas anderes. Teuerste und beste japanische Stoffe und angeblich (so Jacob Cohen) handgenäht. Und schweineteuer. Meine neuen Jacob Cohen Jeans kosten 299 €. Habe ich zum Leidwesen von Michael Rieckhof natürlich nicht bei Kellys gekauft, sondern bei ebay ersteigert. Für 39 €. Der Preis ist O.K. Eine Woche später ritt mich der Teufel, und ich habe mir noch eine zweite ersteigert. Bei einem österreichischen Händler, bei denen bietet ja keiner (bei ebay ist Krieg zwischen Deutschland und Österreich). Für sechs Euro (plus 13,80 Porto) war sie meine, unglaublich.

Und der Schneider bei mir um die Ecke hat sie mir von einem Tag auf den anderen gekürzt. Den muss ich mal eben erwähnen, weil der ganz toll ist. Zum einen ist das Ehepaar Yesilyurt riesig nett, und zum anderen ist Herr Yesilyurt ein Meister mit Nadel und Faden. Hat mir vor Jahren ohne mit der Wimper zu zucken ein Futter in die Vorderhose eines Savile Row Anzugs genäht. Denn in der Savile Row gibt es ja Firmen, die der Meinung sind, dass gefütterte Hosen etwas für italienische Weichlinge sind. Wenn man als Kind von den Eltern nach Gordonstoun verbannt wurde, wie Prince Philip und Charles, und sich in ungeheizten Schlafräumen den Arsch abgefroren hat, dann mögen ungefütterte Hosen ja O.K. sein. Aber ich möchte doch lieber gefütterte Hosen tragen. Hat Herr Yesilyurt erstklassig hingekriegt. Der kann auch hervorragend die Ärmel von Oberhemden kürzen. Schneidet die nicht nur unten ab, sondern versetzt den Ärmelschlitz mit dem kleinen Knopf weiter nach oben. Dieser kleine Knopf heißt übrigens im Englischen gauntlet button, was mir erst bewusst wurde, als ich ihn in einem deutschen Text als Handschuhknopf wiederfand. Die Schneiderei Yesilyurt ist in Kiel an der Ecke von Esmarchstraße und Feldstraße, gegenüber vom Weinhaus Tiemann, wo toute la Kiel seinen Wein kauft. Hat auch einen Parkplatz vorm Haus (Tiemann natürlich auch).

Dass es die Marke Jacob Cohen gibt, weiß ich seit den achtziger Jahren, weil ich da ein Abo auf die italienische L’Uomo Vogue hatte. Damals waren sie noch nichts besonderes, kein Objekt der Begierde. Und nicht so aasig teuer. Offensichtlich haben sie vor Jahren ein relaunch gemacht und sich nach ganz oben orientiert. Dafür werden die Jeans dann auch innen mit Etiketten vollgepflastert, haben versilberte Nieten und Knöpfe. Und bei irgendeinem Modell kriegt man noch Taschentücher, Nähfaden und einen Bimsstein zum Schmirgeln dazu. Auf der Seite des Herrenausstatters Braun in Hamburg steht noch: Highlight ist das aufgenähte Jacob Cohen Label aus echtem Ponyfell. Aber hallo, ein Highlight. Mit welchen Trivialitäten man doch überteuerte olabukse verkaufen kann! Das Wort olabukse ist norwegisch, schönes Wort. Habe ich im Netz gefunden, wo jemand versicherte, das Jacob Cohen the best olabukse in the world macht. Das Highlight aus Ponyfell ist natürlich schon ab. Erstens zerlegt es sich sowieso nach wenigen Waschgängen. Und zweitens will ich mich von Wanda und Carlo nicht fragen lassen: Hat man für deine Hose ein Pony totgemacht? Aber sonst ist die Jeans gut, sogar sehr gut. Die zweite (die für sechs Euro) sitzt nicht so gut, weil es ein anderes Modell mit einem anderen Schnitt ist, aber was kann man für sechs Euro verlangen? Bei Aldi kosten die Jeans 9,99 € (und da macht auch noch jemand Gewinn).

Jacob Cohen sind nicht die einzigen, die sich im Marksegment da oben bei 299 € tummeln, da gibt es noch True Religion, Seven for all Mankind, PRPS, Adriano Goldschmied und wie sie alle heißen. Manche sind offensichtlich exklusiver als andere. Von den 172.806 Herrenjeans bei ebay sind 783 von True Religion und 551 von Seven for all Mankind, aber nur zwei von Jacob Cohen. Adriano Goldschmied gibt es schon bei Conleys, wenn man da gelandet ist oder massenhaft bei YOXX auftaucht, ist man nicht mehr exklusiv. Was natürlich sehr exklusiv ist, ist bei ebay 60.000 Dollar für eine 155 Jahre alte Levis (oben) zu zahlen. Hat 2005 ein anonymer Japaner gemacht. Hoffentlich passt sie. Sonst kann ich mit der Adresse einer sehr guten Änderungsschneiderei aushelfen (siehe oben!). Die Japaner sind sowieso an allem Schuld. Eine Firma wie Kurabo (1889 gegründet) hat ihre alten Webstühle für das ring denim nie ausgesondert, dass zahlt sich aus, wenn bessere Qualitäten gefragt sind. Später haben die Japaner die alten Webstühle von den Amerikaner gekauft, um darauf ihr selvage denim zu produzieren, dann haben sie daraus die ersten wirklich teuren Jeans gemacht. Wie zum Beispiel die Firma Evisu. Ist wohl kein Zufall, dass evisu im Japanischen der Gott des Geldes ist.

In den fünfziger Jahren in Bremen eine Levis 501 (natürlich noch eine Big E) der besten Denim Qualität zu kaufen, war keine Schwierigkeit. Zwar waren wir keine amerikanische Enklave mehr, aber die Amerikaner waren immer noch da, die mochten den port of embarkation Bremerhaven (wo ja auch Elvis ankam) nicht aufgeben. Und es gab auch genügend Läden, die mit army surplushandelten. Dennoch waren Blue Jeans kein dominierendes Kleidungsstück. Kann man auf allen Photos aus dieser Zeit sehen. Und ich hatte auch nur diese eine Levis 501, keine zweite. Die hat aber aufgrund ihrer Qualität erstaunlich lange gehalten. Ich hatte Chinos, Cord- und Flanellhosen, damit kommt man durchs Leben. Fürs Segeln waren Jeans gut, das gebe ich gerne zu. Aber man braucht sie eigentlich nicht wirklich.

Das merkt auch die Firma Levis seit einigen Jahren, die sich in einer schweren Krise befindet. Auch japanische Billigfirmen, die sich auf dem japanischen Markt bekämpfen und Jeans für 5,10 € auf den Markt werfen, kämpfen einen vergeblichen Kampf gegen die chinesische Konkurrenz. Die können das mit Kinderarbeit und der Produktion in Gefängnissen noch unterbieten. There is nothing in the world that some man cannot make a little worse and sell a little cheaper, and he who considers price only is that man’s lawful prey. Soll Ruskin gesagt haben (so sicher ist das nicht), aber Ruskin oder nicht, der Satz bleibt wahr. Was hat sich seit den sweatshops der viktorianischen Zeit und Thomas Hoods Song of the Shirt geändert? Der cartoon da oben ist übrigens aus dem Punch des Jahres 1845.

Als ich nicht mehr in meine alte 501 passte, begann für mich eine Odyssee. Oder eine Gralssuche nach der richtigen Jeans. Wann immer man eine gefunden hatte, die gut passte, gab es wenig später das Modell nicht mehr. Das Prinzip der planned obsolescence gilt nirgendwo so wie auf dem Jeansmarkt. Wie gut Jeans sind zeigen sie erst nach Jahren. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass wenn Männer über Jeans reden, sie immer die Vergangenheitsform benutzen? In Sätzen wie: Die Pepe, die ich damals hatte, die war gut. Die überteuerten Designerjeans (und all die anderen Marken, die dadurch berühmt werden, dass sie letzte Woche von Brad Pitt getragen wurden) sind natürlich kein echter Wirtschaftsfaktor. Vielleicht sind sie nur die Götterdämmerung in der Krise der Jeansindustrie. Zu deren Krise ich natürlich beigetragen habe. Weil ich meine Jeans seit Jahren nur noch im Second Hand Laden kaufe.

Und zum Schluss habe ich noch einen Musiktip: die türkische Rockband bANDISTA, die laut und energisch gegen die Bedingungen kämpft, unter denen Jeans in der Türkei hergestellt werden, hat ihren nächsten Auftritt am 30. Juni in Hannover.


Als ich jung war, hätte ich gerne ein Hathaway Hemd gehabt, weil ich die Werbung so gut fand. Die waren bei uns aber nicht zu bekommen. Arrow Hemden schon, die hatten ja Jahrzehnte zuvor auch eine tolle Werbung als noch Leyendecker für sie arbeitete. Ich weiß nichts über die Qualität von Hathaway Hemden. Waren sie der Bielefelder Qualitätsware (was man damals in Oberhemden lesen konnte) überlegen? Ich glaubte das zumindest, weil dieser Typ mit der Augenklappe so überlegen aristokratisch aussah. Auch wenn sein Schlips natürlich viel zu kurz ist, aber die waren 1951 nun mal nicht länger. Ich war ein Opfer der Werbung geworden, genauer: ein Opfer von David Ogilvy. Der wurde heute vor hundert Jahren geboren, er war vielleicht der wichtigste Werbe Guru des 20. Jahrhunderts, the King of Madison Avenue. Die Kampagne (wie man unter Werbefuzzis sagt) The Man in the Hathaway Shirt war der Beginn seiner Karriere.

Heute sehen die Werbefuzzis, die sich aus irgendwelchen Gründen als Kreative bezeichnen, ja nicht mehr aus wie Gentlemen. Sie tragen dieses einheitliche Designer Schwarz und tragen alle offene weiße Hemden. Und natürlich keine Schlipse mehr, weil sie ja Kreative sind. Ihre Tussis tragen immer Prada (natürlich auch schwarz) und fahren einen schwarzen Porsche Cayenne. Als ich gestern eine Tussi mit Leoparden Leggings und einem silbernen Top in einen weißen Porsche Cayenne steigen sah, überlegte ich mir, ob das jetzt eine Variante der Prada Tussi oder einfach nur eine Nutte war. Seit uns Roland Barthes beigebracht hat, die Mythen des Alltags zu decodieren, ist man ständig mit solchen Problemen beschäftigt.

David Ogilvy (oben) sah immer aus wie ein englischer Gentleman, auch wenn seine Firma Olgilvy&Mather in New York saß. Man hätte ihn auch als Modell für die Hathaway Reklame nehmen können, da hätte er leicht dem von J.C. Leyendecker erfundenen Männerideal der Firma Arrow Konkurrenz machen können. Denn eigentlich ist sein Hathaway Man nichts anderes als der Arrow Man der zwanziger und dreißiger Jahre, der jetzt an die fifties angepasst worden war. Nur eben mit der Augenklappe. Ohne die wäre er nix gewesen. Die Augenklappen hatte Ogilvy zum Preis von 50 cent pro Stück im Drugstore gekauft.

Auch wenn man in Bremen in den fünfziger Jahren durchaus Arrow Hemden finden konnte (und auch englische Viyella Hemden und schwedische Melka Hemden), Hathaway Hemden gab es nicht. Die Firma aus Waterville in Maine war einfach zu klein. Das sollte sich innerhalb weniger Jahre ändern, dank der Anzeigenkampagne von Ogilvy&Mather stieg C.F. Hathaway zu einer der führenden Firmen Amerikas auf. Der Besitzer von Hathaway hatte Ogilvy gesagt, dass er nur einen ganz kleinen Werbeetat besässe. Und dann hinzugefügt: If you do take on the job, Mr. Ogilvy, I promise you this. No matter how big my company gets, I will never fire you. And I will never change a word of your copy.

Die erste Anzeige erschien vor sechzig Jahren im New Yorker, kostete etwas mehr als 3.000 Dollar und war eine Sensation. Für die highbrow Klientele des New Yorker hatte sich Ogilvy die Zeile The melancholy disciples of Thorstein Veblen would have despised this shirt ausgedacht. Thorstein Veblen ist der amerikanische Soziologe, der in seiner Theory of the Leisure Class den schönen Begriff der conspicuous consumption geprägt hatte. Wenig später gab es im New Yorker einen cartoon: da stehen drei Herren vor dem Schaufenster eines Herrenausstatters (das amerikanische Englisch hat dafür den Terminus haberdasher, den das englische Englisch so nicht verwendet), in einem zweiten Bild verlassen sie den Laden und jeder trägt eine schwarze Augenklappe! Das war schon witzig.

Das hier geht natürlich nun gar nicht, Mr Ogilvy! Conspicuous consumption hin oder her. Kurzärmliges Hemd und Schlips. Und dann noch so ein Phallussymbol in der Hand, von irgendeinem Tier, das auf der Roten Liste der gefährdeten Arten steht. Und das Hemdmodell dann auch noch frech India Ivory nennen. Ich weiß ja, dass Großwildjäger in den fünfziger Jahren als ganz tolle Hechte galten – Hemingway bildete sich das zeitlebens ein – und wir haben ja auch noch eine ganze Menge Urwald in den fünfziger und sechziger Jahren in den Kinos: HatariMogambo und Liane, das Mädchen aus dem Urwald. Also, Elephantenzähne lassen wir noch mal durchgehen, aber bei kurzärmligen Hemden mit Schlips müssen wir eine Grenze ziehen.

Vor allem, wenn man später versuchte, dem Ganzen ein jugendlicheres Image zu geben und andere, jüngere Models zu verwenden. Natürlich wieder mit Augenklappe, da redet die Werbewelt dann schon von einem ironischen Selbstzitat. Der Werbeguru des Jahrhunderts David Ogilvy hätte so etwas natürlich niemals angezogen. Ogilvy hätte auch lieber das originale Modell, einen Baron russischer Herkunft namens George Wrangell weiterbeschäftigt, aber der war 1969 gestorben. Er hatte übrigens nichts mit den Augen, er besaß das, was man im Englischen  20-20 vision nennt.

Zu der schlimmen Anzeige da oben gibt es noch eine Steigerung – wir sind in Amerika, da kann man Geschmacklosigkeiten immer wieder toppen – nämliche diese Anzeige aus den siebziger Jahren. Ach, da sehnt man sich noch nach dem Großwildjäger der frühen fünfziger Jahre zurück. Und dann werden die Teile auch noch damit beworben, dass sie aus einer Polyester-Cotton Mischung sind. Da ist doch der Untergang der Firma vorbestimmt. Es ist tödlicher, da ganz unten gegen die Billigkonkurrenz aus Fernost zu produzieren als irgendwo weit oben einer der letzten Qualitätshersteller zu sein und J. Crew, Brooks Brothers und andere Etablissement zu beliefern. Denn der Ivy League Look findet ja immer seine Abnehmer, das hat uns Ralph Lifshitz aus der Bronx gezeigt. Aber der lässt irgendwo am anderen Ende der Welt produzieren, nicht in Maine. Damit seine Gewinnspanne größer ist, und er sich Bugattis und den Mercedes Graf Trossi kaufen kann. Die haben in Maine in den letzten 15 Jahren ganz schöne Verluste einstecken müssen, was die Qualitätshersteller betrifft: Cole-Haan und G.H. Bass haben auch ihre Fabriken in Maine geschlossen.

Im Jahre 2002 schloss die Firma Hathaway endgültig ihre Werkstore, nachdem sie zuvor schon mehrfach verkauft worden war. Da waren sie noch die letzte Firma Amerikas gewesen, die Etiketten mit Made in USA in ihre Hemden nähte. Ja, gucken Sie mal auf die kleinen eingenähten Etiketten bei ihrem Ralph Lauren Hemd, alle Länder des pazifischen Raumes sind da die Produzenten. Wenn Sie Glück haben, ist es Made in Italy, dann war es sauteuer und stammt aus der Ralph Lauren Purple Collection. Ich weiß aber nicht, was da den Preis von diesen Teilen rechtfertigen soll. Also, wenn man das mal mit einem Hemd von Fray vergleicht, wenn Sie verstehen, was ich meine.


In meinem Schrank gibt es ein Fach, das ich mein Hemdenmuseum nenne. Hemden, die mal Lieblingshemden waren, aber heute nicht mehr passen. Ein Arrow Hemd, 1956 in Amsterdam gekauft. Taillierte Turnbull&Asser Hemden aus den Siebzigern, ein hellblaues italienisches Barba, viel zu lütt. Ein altes Création Otto Hoffmann Hemd, vor einem halben Jahrhundert das Beste, was man in Deutschland kaufen konnte. Und schöne amerikanische Hemden von der Firma Sero (die auch Brooks Brothers belieferten): was waren das bei Sero für Qualitäten! Irgendwann finde ich noch mal in einem Secondhand Laden oder bei ebay ein Hathaway Hemd aus den fünfziger Jahren, das kommt dann auch ins Hemdenmuseum!

David Ogilvy hatte das Glück in einer Zeit als Werbemann tätig zu sein, als Werbung die ganz große Sache war. Als man alles glaubte, was man in der Werbebotschaft las. Diese Zeit, in der die Serie Mad Men spielt. Als man noch nicht glaubte, dass Vance Packard mit The Hidden Persuaders oder Ralph Nader mit Unsafe at any Speed  gegenüber den verführerischen Botschaften der brave new world der Madison Avenue Recht hätten. Wir wissen es inzwischen besser. Augenklappen kann man heute immer noch verkaufen, auf jeden Fall der Klientele auf dem Bild oben.

David Ogilvy hat der Werbewelt eine Vielzahl schöner Weisheiten hinterlassen. Man kann die gesammelten Ogilvy quotations leicht im Internet finden. Am besten gefällt mir: First, make yourself a reputation for being a creative genius. Second, surround yourself with partners who are better than you are. Third, leave them to go get on with it. Die Hathaway Kampagne ist wie die Somewhere West of Laramie Anzeige von Ed Jordan in jeder Geschichte der amerikanischen Anzeigenwerbung. Es gibt aber auch ein ganzes Buch darüber: Douglas Congdon-Martin, Hathaway Shirts: Their History, Design & Advertising. Und schwarze Augenklappen kriegt man in jeder Apotheke. Und ein kleiner Literaturtip zum Schluss:  Natasha Vargas- Cooper, Mad Men Unbuttoned: A Romp Through 1960s America (HarperCollins 2010).