Militärisches Schuhwerk

Bevor der Film A Bridge too Far in die Londoner Kinos kommt, versucht die Witwe des Generals Sir Frederick „Boy“ Browning mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Film gezeigt wird. Die Witwe heißt Daphne du Maurier und ist eine weltbekannte Autorin von spannenden Geschichten. Hitchcock hat Jamaica Inn und Rebecca verfilmt, und auch The Birds basiert auf einer Erzählung von du Maurier. Ebenso Nicolas Roegs Film Don’t Look Now. Lady Daphne hat auch sehr gute Beziehungen zum englischen Königshaus, aber es hilft ihr alles nichts, der Film kommt in die Kinos. Wogegen sie sich wendet, ist die Darstellung von Dirk Bogarde, der den General sehr elegant, ein wenig effeminiert und militärisch vollständig hilflos angelegt hat.
Lady Daphne ist jetzt um den guten Ruf ihres verstorbenen Gatten bedacht. Das ist eigentlich erstaunlich, denn nach dem Krieg hat Browning nur noch gesoffen (weshalb er auch seine Ehrenposten im Buckingham Palast verloren hatte) und sie mit anderen Frauen betrogen. Und mit seinem militärischen Ruf ist es auch nicht so weit her, eigentlich verdankt er seine Karriere der Bekanntschaft mit Winston Churchill und der Protektion durch Mountbatten. Und wenn einer dieses Fiasko des Unternehmens MarketGarden, das für die Allierten in Arnheim endet, zu verantworten hat, dann ist er es. Seine Generalskollegen, vor allem die amerikanischen (James M. Gavin, der der erste Stadtkommandant von Berlin wird, äußert sich vernichtend über ihn), arbeiten ungern mit ihm zusammen und halten ihn für völlig unfähig. Browning wird nach dem Desaster von Arnheim den polnischen General Stanislaw Sosabowski als Sündenbock ausmachen, was erstens wahrheitswidrig ist und zweiten völlig un-gentlemanlike ist.
Obgleich man ihn in England offiziell nicht kritisiert, bekommt Browning nie wieder ein Truppenkommando, obwohl er die elegantesten Uniformen von allen englischen Generälen hat. Die er sich zum Teil selbst entwirft. Wenn Generäle sich erstmal ihre eigenen Uniformen entwerfen, ist das zwar gut für die Schneider der Savile Row, aber zweifelhaft für das Militär. George Patton hat das auch getan. Aber der Amerikaner darf das, der ist der einzige General, vor dem die Deutschen Angst haben. Er hat ja auch den Frankreichfeldzug in einem weißen Burberry Trenchcoat mit umgeschnalltem Pistolengürtel und zwei silberbeschlagenen Colts bestritten und für seine Panzertruppen eine eigene Uniform entworfen. Auf dem Höhepunkt des Streites um Dirk Bogardes Darstellung des Generals Browning, meldet sich der Sohn von Browning zu Wort. Der über seinen Vater zu sagen weiß: In the 1950s he was the best-dressed man in London; his shoes were immaculate. Wenn man schon ein militärischer Versager ist, dann ist es beruhigend zu wissen, dass Sir Frederick elegante Schuhe trug. Vielleicht lag Dirk Bogarde gar nicht so falsch mit seiner Darstellung. Der Film hat übrigens mehr gekostet als die Operation MarketGarden. Lady Daphne du Maurier hat den Film nie gesehen.
Wir wissen nicht, wer Freddie Browning seine eleganten Schuhe gemacht hat. Bei einem bedeutenderen General 150 Jahre zuvor wissen wir es. Der bootmaker George Hoby in der St James Street macht die Stiefel für den Herzog von Wellington, schon seit dessen Jugendtagen. Nach Wellingtons eigenen Entwürfen, der Herzog möchte es gerne bequem haben, wenn er den ganzen Tag auf dem Pferd sitzen muss. Im Verstoßen gegen die Regularien der Bekleidungsordnung sind Englands Heerführer groß. Aber man sieht es ihnen nach, wenn sie Napoleon besiegen. Die Stiefel, die der Admiral Sir Sidney Smith in der Schlacht von St Jean d’Acre trägt, sind bei der Royal Navy nicht für die Uniform vorgesehen. Aber Smith ist der erste Engländer, der Napoleon in offener Schlacht besiegt, da darf er die tragen. Obgleich die Admiralität mit diesem Exoten ihre liebe Mühe hat. Es sind im Prinzip die gleichen Stiefel, die Wellington trägt. Kürzer als der normale Reitstiefel und aus weichem Kalbsleder, enganliegend. Wahrscheinlich kommen sie auch aus der Werkstatt von Hoby. Der muss nach den Berichten von allen Zeitzeugen ein wirkliches Original gewesen sein. Er unterhielt eine Werkstatt mit dreihundert Beschäftigten, und das lateinische Sprichwort ne sutor ultra crepidam hielt ihn nicht davon ab, mit großem Erfolg als Methodistenprediger in Islington zu wirken. Sein Geschäft in der St James Street, an der Ecke zum Piccadilly, war in London eine erste Adresse. Über den Portraitmaler Ozias Humphrey vermerkt eine Zeitgenosse, dass er in dem Haus des viel berühmteren Mr. Hoby wohne. Hoby hat die Stiefel von George III gemacht und die von Lord Byron. Henry Thomas Austen, der Lieblingsbruder von Jane, hat bei ihm seine Stiefel bestellt. In seinem Laden war der Schotte Hoby ein kleiner König, und er war sich seiner Stellung bewußt. Als ein Fähnrich von der Garde namens Horace Churchill sich bei ihm beklagte, dass seine Stiefel so schlecht seien, dass er nie wieder bei Hoby Stiefel bestellen würde, rief Hoby mit gespielter Verzweiflung durch den Laden zu einem Gehilfen: John, setzen Sie die Läden vor. Mit uns ist’s alle. Ich muss mein Geschäft zumachen. Fähnrich Churchill entzieht mir seine Kundschaft. Er konnte sich das erlauben, ein guter Handwerker ist mehr wert als ein Dutzend Dandies. Der Fähnrich Horace Churchill hat auch ohne die Stiefel von Hoby noch Karriere gemacht. Bei Waterloo ist er schon Captain. Er stirbt 1843 in Indien in der Schlacht von Maharajpore, da war er schon Generalmajor.
Hoby war Hoflieferant für den Herzog von Kent, der ihm eines Tages (Hoby war beim Stiefelanmessen im Palast) die gerade erhaltene Nachricht mitteilte, dass der Herzog von Wellington die napoleonischen Truppen bei Vittoria geschlagen hätte. Was Hoby völlig cool hinnimmt, und er antwortet mit dem sang froid des wahrhaft Überlegenen: If Lord Wellington had had any other bootmaker than myself, he would never have had his great and constant successes, for my boots and prayers bring his Lordship out of all his difficulties. Da möchte man sagen: well roared lion. Galten Hobys Gebete dem Wohlergehen Wellingtons oder dass ihm dieser Kunde erhalten bliebe? Hoby hinterließ bei seinem Tode ein Vermögen von 120.00o Pfund, das sind viele Millionen nach heutiger Währung. John Harrison, der zum ersten Mal in der Geschichte wirklich genau gehende Uhren gebaut hatte, mit denen die Royal Navy navigieren konnte, hat aus dem vom Longitude Act ausgelobten Geld 20.000 Pfund bekommen. Auch das war schon ein Vermögen. Die Uhren Harrison I bis Harrison IV sind unverkäuflich, und sie gehen noch heute genau. Wobei es allerdings ein wenig komisch ist, wenn heute japanische Touristen in Greenwich den Gang eines Harrison Chronometers mit ihrer Quarzuhr vergleichen. Aber Harrison hat in seinem Leben, wie es uns Dava Sobel inLongitude berichtet, nie den Erfolg und die Anerkennung gehabt, die George Hoby zu Teil wurde. Und auch heute haben Schuhmacher vielleicht dankbarere Kunden als Uhrmacher. Prince Philip, der auch noch John Lobb Schuhe trägt, die man ihm vor einem halben Jahrhundert gemacht hat, schrieb der Firma anlässlich eines Jubiläums, dass er die Tatsache, dass er so gut durch das Leben gekommen sei, nur den Schuhen von John Lobb verdanke. Wenn wir also gut durch das Leben kommen wollen, die Schlacht von Waterloo gewinnen (oder die von Arnheim verlieren) wollen, müssen wir Schuhe aus London tragen.
Hoby hat seinen Herzog wirklich geliebt, er hat alle Briefe aufgehoben, die er von Wellington bekommen hat. Aber im Alter scheinen seine magischen Fähigkeiten als Schuhmacher doch nachgelassen zu haben. Im Dezember 1829 schreibt Wellington an seinen Freund Charles Arbuthnot und bittet ihn um die Adresse seines Schuhmachers. In den Schuhen, die Hoby ihm gemacht hat, kann Wellington nicht gehen, er humpelt nur noch. Abraham Lincoln soll einmal zu Diplomaten, die ihn im Garten des Weißen Hauses beim Schuhputzen antrafen und ihm vorhielten in England no gentleman ever cleans his own bootsgeantwortet haben: Indeed? Whose boots do they clean then?Wellington putzt seine Stiefel bis ins hohe Alter selbst. Bei der feierlichen Beerdigung des Herzogs 1852 kommen Hobys Stiefel, in denen Wellington die Schlacht von Waterloo gewonnen hat, aber noch einmal in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Die zwölf Pferde, die den Katafalk ziehen, gehören nicht dem Herzog, die hat man sich bei einer Brauerei ausgeliehen. Aber das reiterlose Pferd Wellingtons trägt die nach alter Sitte umgedrehten Stiefel in den Steigbügeln. Und kein Journalist vergisst zu erwähnen, dass die Stiefel von Hoby gemacht wurden. So bleibt der schottische Methodist seinem Herzog bis zum Tode verbunden.

Beau Brummell

Obgleich Lord Alvanley, Scrope Davies und der Comte d’Orsay in ihrer Zeit auch berühmte Dandies waren, niemand hat einen solchen Einfluss gehabt wie George Bryan Brummell, den man Beau Brummell nannte. Der Begriff Dandy war noch nicht allgemein in Gebrauch, man nannte die jungen Gentlemen, die sich durch ihre Kleidung und Konversation hervortaten, noch SwellsBucks,Macaronis oder Beaux. Die Franzosen hatten diese Spezies Mensch vorher Incroyables genannt. Wir sind jetzt in der Welt des schönen Scheins, und die Regency Dandies scheinen uns bis heute zu faszinieren. his ghost walks among us still, hatte Virginia Woolf über Brummell geschrieben. Es gibt eine Vielzahl von Dandy Blogs im Internet, die Literatur zum Dandy ist seit Barbey d’Aurevilly und Charles Baudelaire ins Unüberschaubare angeschwollen. Und der Begriff wird inzwischen schon etwas inflationär. Vor allem, wenn man im Internet für 9,99€ eine 30-seitige Seminararbeit Der Dandy bei d’Aurevilly und Baudelaire, geschrieben an der Universität Lüneburg, kaufen kann. Das Seminar, in dem diese Arbeit geschrieben wurde, hatte übrigens den Titel Zur Ästhetik der Moderne: Von Wittgenstein zu Warhol und wieder zurück. Muss ich noch meinen Abscheu vor solchen Titeln äußern? Das ist doch schon wieder unfreiwillig komisch. Hier siegt sicherlich der Schein über das Sein. Zur Ästhetik der Moderne: Von Wittgenstein zu Warhol und wieder zurück, ich fasse es nicht.

Eleganz ist diejenige Verhaltensweise, die das höchste Maß von Sein in Scheinen umwandelt, hat Sartre gesagt. Obgleich, das eine gefährliche Sache ist, wenn der Schein das Sein überdeckt. Nicht nur in Lüneburg. Brummell wird das zu seinem Lebensende hin merken. Was für Brummell & Co. noch eine Frage der Eleganz ist, in einem Spiel der one-upmanship, das die englische Aristokratie und die upper class wie angeboren zu beherrschen scheint, wird wenig später mehr. Es wird bei Baudelaire und Barbey d’Aurevilly zu einer Art Philosophie, die le dandyisme heißt. Was wären wir ohne die Franzosen, wenn sie uns nicht zu allem eine Theorie liefern würden? An deren Ende natürlich auch leicht sinnentleertes Geschwafel stehen kann. Aber auch das beherrschen die Franzosen brillant.

Dabei hätten die Engländer, wenn sie eine philosophische Untermauerung des Dandyismus gesucht hätten, ja einen Philosophen in ihrem Lande gehabt, der gerade ein ganzes philosophisches Buch schreibt, in dem ein Schneider schon im Titel vorkommt. Es heißt Sartor Resartus, verfasst von Thomas Carlyle. Über den der große Dandy Max Beerbohm (der in den 1890er Jahren seine wunderbaren Skizzen schrieb, die als Dandies and Dandies erschienen sind) etwas säuerlich sagte: That anyone who dressed so badly as did Thomas Carlyle should have tried to construct a philosophy of clothes has always seemed to me one of the most pathetic things in literature. Allerdings hat kein Geringerer als Whistler, der ein großer Dandy war, Thomas Carlyle portraitiert. Und ein mindestens ebenso großer Dandy wie Whistler, nämlich Marcel Proust, hatte eine Reproduktion dieses Bildes in dem Zimmer, in dem erAuf der Suche nach der verlorenen Zeit schrieb.

Carlyle ist nicht der erste, der sich als Philosoph mit der Mode befasst.An Texten über Mode herrscht kein Mangel. Noch im 19. Jahrhundert in Randgebiete der Philosophie verwiesen, dorthin, wo diese zur Kulturkritik ausfranst oder in Soziologie übergeht, ist sie neuerdings ins Zentrum der Aufmerksamkeit vieler Disziplinen gerückt – mit verwirrendem Effekt: Die Theorien über Mode sind just so bunt geworden wie das Phänomen, das sie beschreiben. Angesichts dieser »Neuen Unübersichtlichkeit« ist deshalb an einen Autor zu erinnern, der schon früh versucht hat, ein ebenso umfassendes wie differenziertes Bild der Mode zu gewinnen. Ich klaue mir dieses schöne Zitat mal eben bei Thomas Pittrof, ich könnte es nicht besser sagen. Pittrof schreibt dies in seiner Einleitung zu einem Buch mit dem TitelÜber die Moden. Das Buch ist allerdings nicht so modern (obgleich es heute immer noch erstaunlich modern ist) wie das Vorwort von Pittrof – es stammt aus dem Jahre 1792. Von dem deutschen Philosophen Christian Garve. Womit natürlich bewiesen ist, dass wir Deutschen bei der Modetheorie ganz klar die Nase vorn hatten.

Wenige Jahre nachdem Brummell einsam und geistig umnachtet in Caen gestorben ist, erblicken zwei Bücher über Brummell das Licht der Welt. Das eine heißt The Life of George Brummell, Esq., commonly called Beau Brummell und ist von einem gewissen Captain Jesse, einem ehemaligen Armeeoffizier. Der in diesem Buch alles zusammengetragen hat, was die Welt damals über Brummell weiß, inklusive aller Briefe Brummells, deren er habhaft werden konnte. Brummells eigene Schriften machen ein Drittel des Buches von Jesse aus. Der Leutnant im 46th Regiment of Foot hatte sich im August 1837 seinen Rang als Captain gekauft, er ist zu dem Zeitpunkt, wie das Titelblatt verrät, unattached. Das heißt, er gehört keiner militärischen Einheit mehr an, er ist jetzt Berufsschriftsteller und schreibt über alle Gegenden der Welt, in die ihn die Army geschickt hatte. Schon als junger Leutnant in Indien hatte er angefangen, alle Berichte über Brummell zu sammeln, die in der Presse erschienen. Er hatte Brummell ein einziges Mal in Frankreich getroffen und sich sofort notiert, dass Brummell einen blue coat with a velvet collar trug. Dazu einen buff waistcoat, black trowsers and boots. Dass Brummell schon die ersten Zeichen einer fortschreitenden Syphilis zeigte, verschweigt er vornehm, die Krankheit wird auch in seiner Biographie nicht erwähnt. Die die reine hero worship ist. So etwas ist gerade en vogue, wenige Jahre zuvor hatte Carlyle (da ist der schlecht gekleidete Philosoph schon wieder) sein On Heroes, Hero-Worship, and The Heroic in History veröffentlicht. Den Anfang der Heldenverehrung Brummells hatte sicherlich Lord Byron mit seinem Satz There are three great men of our age: myself, Napoleon and Beau Brummell. But of we three, the greatest of all is Brummell gemacht.

Ein Jahr später als Jesses Biographie erscheint Du Dandysme et de G. Brummellvon dem französischen Schriftsteller Jules Barbey d’Aurevilly. Es ist 1909 in der Übertragung von Richard Schaukal in deutscher Sprache erschienen (Jay besitzt natürlich eine Erstausgabe). Dieser Richard Schaukal ist in Dandykreisen kein Unbekannter, hatte er doch kurz zuvor das bezaubernde kleine Büchlein voller dandyesker Aphorismen, Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, veröffentlicht. Irgendein Komiker hatte auf der Wikipedia Seite geschrieben, dass Richard von Schaukal 1942 in Wien geköpftwurde. Es hat über ein Jahr gedauert, bis das korrigiert wurde. Das fiel mir wieder ein, als die Zeit vor Wochen einen Lobgesang über Wikipedia anstimmte, man darf nicht alles glauben, was im Internet steht. Barbey d’Aurevilly besitzt nicht die Fakten, die der nüchterne Engländer Captain Jesse zusammengetragen hat. Aber er hat diesen flamboyanten Stil voller Geistreicheleien, den die Franzosen offensichtlich bei der Geburt mitbekommen. Und sein Buch, das auch schon der Anfang einer Theorie des Dandys ist, hat einen großen Einfluss. Auf Baudelaire, auf Huysmans, wen immer man nennen will.

Der Dandy ist für diese Autoren inzwischen mehr geworden, als derRegency Buck. Gemessen an denen war Brummell überhaupt kein Dandy: Brummell most assuredly was no dandy. He was a beau…His chief aim was to avoid anything marked. Das sagt auch Baudelaire zwanzig Jahre später: Das Dandytum besteht nicht einmal, wie viele gedankenlose Leute zu glauben scheinen, darin, an seiner Toilette und der Eleganz seiner äußeren Erscheinung übermäßigen Gefallen zu finden. Diese Dinge sind für den perfekten Dandy nur Symbol für den überlegenen Adel seines Geistes. In seinen Augen, denen vor allem die Distinktion, das Sich-Abheben, als Ideal vorschwebt, besteht nämlich die Vollkommenheit der Toilette in ihrer unbedingten Schlichtheit, die ja in der Tat die beste Art ist, sich hervorzuheben. Proust wird etwas Ähnliches über seinen Baron de Charlus schreiben. Womit beide mit der Schlichtheit wohl etwas anderes meinten als den Standardanzug des FBI oder den der Mormonen Werber.

Für die Nachfolger von Brummell (die es natürlich in der romantisch ästhetisierenden Philosophie von Barbey d’Aurevilly nicht geben kann: ein Brummell hat keine Nachfolger) hatte Captain Gronow nur Hohn und Spott übrig: Wie unausprechlich widerlich – mit wenigen glänzenden Ausnahmen, wie Alvanley und andere – waren die Dandies der zwanziger Jahre! Sie waren ein Haufen von Hanswürsten, an denen nichts Bemerkenswertes war, als ihre Unverschämtheit…Offensichtlich ist der Dandyismus schon zu einem mythischen Konzept geworden. Da reicht es nicht mehr aus, elegante Klamotten zu haben und arrogant zu sein.

Das Dandytum tritt besonders in den Übergangsperioden auf, in denen die Demokratie noch nicht allmächtig, die Aristokratie erst teilweise wankend geworden und diskreditiert ist. In den Wirren solcher Zeitläufte kann es geschehen, daß einige Männer, die deklassiert, angeekelt und zur Untätigkeit verurteilt, aber voller angeborener Kraft, auf den Gedanken kommen, eine neue Art von Adel zu gründen zu bilden, der um so schwieriger zu zerstören ist, als er auf den kostbaren, absolut unverwüstlichen Fähigkeiten gegründet ist, Göttergaben, die weder die Arbeit noch das Geld verleihen können. Das Dandytum ist das letzte Aufflammen von Heroismus in einer Zeit des Niedergangs, schreibt Charles Baudelaire in Le peintre de la vie moderne über den Maler Constantin Guys. Er schreibt in diesem Schlüsseldokument des Dandyismus über keinen anderen als sich selbst, deklassiert, angeekelt und zur Untätigkeit verurteilt. Er hat gerade das väterliche Erbe verjubelt, nun ist er mit einer kleinen Monatsrente unter Kuratel gestellt. Der Dandyismus als Ausflucht des Dichters, so wie er im Albatros dichtet: Der dichter ist wie jener fürst der wolke – /Er haust im sturm – er lacht dem bogenstrang /Doch hindern drunten zwischen frechem volke/ Die riesenhaften flügel ihn am gang.

Selbst wenn er nicht mehr die finanziellen Mittel hat, den Dandy in der großen Welt zu spielen, inszeniert sich Baudelaire, der neue Adelige mit seinen Göttergaben, jetzt als Dandy in der Boheme. Und dem armen Beau Brummel, nachdem er seinen Posten als englischer Konsul verloren hat, bleibt auch nur das sich Klammern an seinen unfehlbaren Stil. Und er hat jetzt einen Schirm, einen braunen Schirm (wie mein erster Schirm). Dessen Griff ziert eine Büste des Monarchen, der einmal sein Freund war. Das Abbild als Schirmgriff ist künstlerisch nicht so recht gelungen. It was not flattering, notiert Captain Jesse,and perhaps the more prized by Brummell on that account. Wenn es auch nie zu dem rührenden Zusammentreffen, wie es Stewart Granger und Peter Ustinov in dem Brummell Film spielen, gekommen ist – wenn Brummell seinen Schirm in die Hand nimmt, hat er George IV immer noch in der Hand.

 Beau Brummell 

Lord Byron hat einmal gesagt, dass die drei bedeutendsten Männer seiner Zeit (die alle mit dem Buchstaben B beginnen), Bonaparte, Brummell und Byron seien. Aber selbstverständlich sei Brummell der bedeutendste von den dreien. Ian Kelly hat den Mann, der bedeutender als Byron und Bonaparte ist, mit dieser Biographie einmal wieder aus der Vergessenheit geholt. Nicht dass es Brummell an Biographen gefehlt hätte, Captain William Jesse schreibt 1844 die erste. Und in den Erinnerungen seiner Zeitgenossen spielt der Dandy eine prominente Rolle. So zum Beispiel bei der amüsantesten Plaudertasche dieser Zeit, dem Captain Rees-Howell Gronow. Der sich vom Herzog von Wellington wegen seiner dandyesken Eskapaden tadeln lassen musste. Der Herzog, selbst ein großer Dandy, kann die ganzen Brummell Imitationen, die jetzt in seiner Armee auftauchen, nicht so recht ausstehen. Womit wir schon bei dem Einfluß wären, den Brummel auf die Herrenmode (und das bis zum heutigen Tag) hat. Aber es gibt noch einen anderen, bedeutenderen, Einfluß. Spätestens seit Baudelaire wissen wir, dass der Dandyismus zu einem ästhetischen Konzept geworden ist. Und die ganze Literatur des 19. Jahrhunderts beeinflußt: Byrons „Don Juan“, Stendhals „Le rouge et le noir“, Joris-Karl Huymans „A rebours“, Oscar Wildes „The picture of Dorian Gray“. Dieses Weiterwirken interessiert Ian Kelly nicht so sehr (obgleich er im Epilog darauf eingeht). Ihn interessiert der Mann George Bryan Brummell, den seine Epoche „Beau“ nennt. Und hier hat der Autor seine Hausarbeiten gemacht, er hat alles über Brummell gelesen. Und ein Quellenstudium betrieben. Sogar die Geschäftsakten der Firma James Lock & Co (dem berühmten Hutmacher) eingesehen. Und das Notizbuch von Brummells Schneider. Und das alles wird dem Leser elegant und flott serviert. Die Geschichte des Mannes, der die Londoner Society beherrscht und der im Asyl „Bon Saveur“ in Caen endet, wird wieder einmal erzählt. Aber exzellent und gut lesbar erzählt

Cliff Roberts, Artisan

Das englische Wort artisan heißt Handwerker, es kommt aus dem Lateinischen und das art von Kunst und Künstler steckt in dem Wort. Ich habe das Wort bewusst gewählt, denn wenn ich Cliff Roberts,shoemaker geschrieben hätte (oder cordwainer oder cobbler), hätte das es nicht getroffen. Andere nehmen das Wort artisan, weil sie es für den Reim brauchen. So Hilaire Belloc in dem wunderbar bescheuerten Knittelvers

Lord Finchley tried to mend the Electric Light
Himself. It struck him dead. And serve him right
It is the business of the wealthy man
To give employment to the artisan
Cliff Roberts ist schon ein Künstler, mehr als ein einfacher Schuhmacher. Vor vier Wochen kannte ich den Namen noch nicht. Obgleich, wenn man den Internetforen wie askandyaboutclothes,newsaboutshoes oder stilmagazin glauben darf, das ein Name ist, den man eines Tages mit Namen wie George Cleverley oder Nikolaus Tuczek verbindet. Also solchen Schuhkünstlern, die in der Welt des Damenschuhs Manolo Blahnik heißen. Ich weiß noch, dass ich Gabi bei ihrem ersten Londonbesuch Manolo Blahnik empfohlen haben, das war lange, bevor die „Blahniks“ durch Sex and the City popularisiert worden. Gabi hat im Laden beinahe einen Ohnmachtsanfall bekommen. Gabi hat einen Schuh-Tick, viele Frauen haben den, man denke nur an Imelda Marcos. Aber offensichtlich werden auch Männer von dieser Krankheit befallen, wie man an den Einträgen in den oben erwähnten Foren ablesen kann. Die Jünger des Heiligen Crispin (nach dem die erste amerikanische Schuhmachergewerkschaft Order of the Knights of St Crispin hieß) entwickeln da schon beängstigende Fachkenntnisse. Kaufen Luxusschuhe und nehmen sie auseinander, um hinter die Geheimnisse des absoluten Schuhs zu kommen. Weird, würde da der Engländer sagen. Ich habe meine erstes Paar Cliff Roberts Schuhe von Urban B. gekauft, der versteht viel von Schuhen. Das hat mir auch Christian Geffers bestätigt, der hat eine Modeagentur und handelt mit Schuhen, die Mack James heißen. Klingt sehr englisch, aber die Schuhe kommen aus Portugal. Sind besser als die Engländer, sagt Geffers, und da könnte er recht haben. Die Qualität mancher Engländer, die lange das nec plus ultra waren, hat nachgelassen. Die Schuhmacher rund um das Mittelmeer haben längst bewiesen, dass sie das alles auch können, was die Könige in der Welt des Schuhs in Northampton können. Zwischen meinen Mack James und den Königen des Schuhs wie Edward Green und Crockett und Jones sind keine großen Unterschiede. Englische Schuhe werden in und um Northampton hergestellt, es gibt noch über dreißig Fabriken, es sind einmal hunderte gewesen. Manchen geht es schlecht wie Alfred Sargent, die schon Gegenstand einer Diskussion im englischen Parlament waren. Andere sind an die Italiener verkauft worden, wie Church an Prada. Aber andere halten weiterhin Englands Fahne hoch.
Als John Lobb vor Jahren in einem Interview gefragt wurde, was er von Prada Schuhen hielte, fragte er naiv „Wer ist Prada?“ Heute weiß er es. Einer der Vorfahren von Lobb soll in der Sträflingskolonie Australien wegklappbare Stiefelabsätze gebaut haben, damit man Wertsachen im Absatz verstecken konnte. Vielleicht stimmt die Geschichte nicht, aber seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Firma in London. Der Herzog von Edinburgh trägt John Lobb (Charles angeblich Trickers). Ich habe Philip ein einziges Mal getroffen. Vor lauter Aufregung und Verlegenheit konnte ich nichts anderes tun, als ihm auf die Schuhe zu starren. Die waren dunkelrot, irgendetwas zwischen maroon undbordeaux. Die gleiche Farbe wie sein Rolls Royce draußen.
Als mir vor Weihnachten ein überarbeiteter und unterbezahlter Paketbote meine Cliff Roberts Schuhe brachte, habe ich sie angezogen (man soll sie ja auf weichen Teppichen eintragen) und dann gar nicht mehr gemerkt, dass ich Schuhe trug. Ein Schuh für Götter, auch wenn keine kleinen Flügel dran sind wie bei Hermes, dem Gott der Kaufleute und der Diebe. Es sind wunderbare Schuhe, die auch in allen Stadien der Herstellung im Internet zu bewundern sind.

Cliff Roberts hat dreißig Jahre für eine Firma in Northampton gearbeitet. Den Namen gibt er aus Diskretion nicht preis, man vermutet, dass es Edward Green war, die noch schöne Leisten aus den Zwanziger Jahren haben. Mit seinen Preisen für einen handgearbeiteten Schuh unterbietet er die Londoner Konkurrenz wie zum Beispiel W.S. Foster & Son um die Hälfte (viele der berühmten Firmen der Jermyn Street wie Codner, Coombs & Dobbie, Maxwell oder Peale sind ja verschwunden oder existieren nur noch dem Namen nach). Und dennoch scheint seine Rechnung aufzugehen; nachdem er durch das Internet bekannt wurde, kann er sich vor Aufträgen nicht mehr retten. Seine Frau photographiert den im Entstehen begriffenen Schuh in jedem Zustand und so kann der Kunde per Email Attachment an der Kreation des Kunstwerkes teilhaben. Hier entwickeln sich dank des Internet völlig neue Produktions- und Handelsformen. Die sich doch ein wenig von den in China zusammengeklebten Schuhen unterscheiden. Und auch etwas mehr kosten, als die zwei Euro, die ein chinesischer Schuh im Durchschnitt in der Herstellung kostet. There is nothing in the world that some man cannot make a little worse and sell a little cheaper, and he who considers price only is that man’s lawful prey hat John Ruskin gesagt. Dem viktorianischen Kunstkritiker, der die traditionelle Handwerkskunst im Industriezeitalter retten wollte, würde das Konzept von Cliff Roberts gefallen haben.

Es gibt im festgeschrieben englischen Codex Schuhe für jede Gelegenheit und jede Tageszeit. No brown after six bedeutet nicht, dass man nach 18 Uhr von der Modepolizei arretiert wird, wenn man braune Schuhe trägt. Es bedeutet nur, dass man für Abendeinladungen einen schwarzen Schuh tragen soll. Vor Jahren haben die Etikettewächter der englischen Königin beklagt, dass neuerdings alle Welt zu Einladungen der Königin auf dem Land schwarze Schuhe trügen. Sie können ruhig braune Schuhe tragen, die Königin trägt sie auch, hieß die Botschaft an die geschmacklich verunsicherten Untertanen. Man braucht auch keine neuen Schuhe zu tragen. Kein Gentleman, knurrte ein Adliger über ein neues Mitglied seines Klubs. Als er gefragt wird, wie er zu dieser Ansicht komme, ist die Antwort: zu neue Schuhe.
Das schönste Beispiel für Schuhetikette findet sich bei dem unübertroffenen Meister des englischen Humors P.G. Wodehouse. In der Kurzgeschichte „The story of Cedric“ trifft der eleganteste Mann Londons (sprich: der Welt) eines Morgens im Hyde Park die junge Lady Chloe und seinen Freund Claude. Der ist auf dem Weg zu einer Hochzeit, elegant gekleidet im Morning Coat. Allerdings die Schuhe! Lady Chloe bekommt beinahe einen Herzinfarkt. Gelbe Schuhe. The foot-joy! The banana specials! The yellow perils! Der junge Claude sagt naiv: Don’t you like them? I thought they were rather natty. Just what the rig-out needed , in my opinion, a touch of colour. It seemed to me to help the composition. Mit einem Augenaufschlag, dem kein Mann widerstehen kann (ich weiß nicht, wo Frauen das lernen, aber es funktioniert ja immer) bittet Lady Chloe Cedric, mit seinem jungen Freund die Schuhe zu tauschen. Als die beiden fort sind, merkt der eleganteste Mann Londons, dass er jetzt ein kleines Problem hat. Er steht in einem eleganten Morning Coat mit GELBEN SCHUHEN im Hyde Park. Über den weiteren Gang der Geschichte sei hier nichts verraten, man kann es in der Sammlung Mr Mulliner Speaking aus dem Jahre 1929 nachlesen. Die Heiligen Crispin und Crispinian mögen verhüten, dass wir je in eine solche Lage kommen.
Nicht nur bei P.G. Wodehouse oder bei den jungen Frauen im Märchen, die sich die Zehen abhacken, um in die Schuhe zupassen, finden wir Schuhe in der Literatur. Der Dichter Hans Sachs war ein Schuhmacher. Aber das schönste Stück Literatur über Schuhmacher ist schon 400 Jahre alt. Es ist Thomas Dekkers The Shoemaker’s Holiday aus dem Jahre 1599, eine der witzigsten Komödien der Shakespearezeit. Hier geht es, wie so häufig in der englischen Literatur um class. Aber auch um Liebe. Ein junger Lebemann nimmt hier die Rolle eines Schuhmachers an, um eine geliebte Frau zu gewinnen. Und damals kann man noch Frauen damit beeindrucken, wenn man ihre genaue Schuhgrösse bestimmen kann. Das Aschenbrödel Motiv kommt schon hier in einer Nebenhandlung vor. Dekkers Komödie basiert ein wenig auf Thomas Deloneys The Gentle Craft, einer Verherrlichung von Londoner Schuhmachern seiner Zeit. Es enthält unter anderem die Geschichte von Simon Eyre, dem Schuhmacherlehrling der Lord Mayor von London wird. Den schreibt Dekker dann in seine Komödie hinein. Dort ist sich Simon Eyre seiner Stellung bewusst: Peace, am I not Simon Eyre? Are not these brave men, brave shoemakers, all gentlemen of the Gentle Craft? Prince am I none, yet Am I nobly born, as being the sole son of a shoemaker. Dekker macht damit den Schuhmacher literarisch unsterblich. Über die ausgebeuteten Arbeiter in China, die unter schlechteren Bedingungen als zur Zeit Shakespeares Schuhe herstellen, nur damit wir Billigschuhe kaufen können, wird niemand so bezaubernde Komödien schreiben.
The London Look: Fashion from Street to Catwalk 

„The London Look: Fashion from Street to Catwalk“ ist der Katalog zu einer Ausstellung, die vom Museum of London 2004 bis 2005 gezeigt wurde. In acht Kapitel wird der Aufstieg der Modemetropole London seit der Regency Epoche gezeigt. Es wird nicht nur die Herrenmode behandelt, die man immer mit London assoziiert, auch die Damenmode kommt in diesem Band zu ihrem Recht. Und das wird auch reichhaltig illustriert, 20 Schwarzweiß Photos und über einhundert farbige Illustrationen zieren das Buch. Das ist, zugegeben, alles hübsch gemacht. Für jemanden, der sich in dies Thema einlesen möchte, ist der Band zu empfehlen. Für Modehistoriker, die hier neue Erkenntnisse erwarten, ist er eine Enttäuschung. Inhaltlich reicht er nicht annähernd an die Bücher von Anne Hollander oder an Farid Chenounes „A History of Men’s Fashion“ heran. Dies ist im Einklang mit einer Tendenz, die man leider bei den Katalogen der Yale University Press in den letzten Jahren beobachten muß. Es werden mehr und mehr bunte Feelgood Kataloge, der Inhalt bleibt ein wenig auf der Strecke.

 Men in Black 

John Harvey von der Universität Cambridge hatte zuvor ein Buch über viktorianische Buchillustrationen geschrieben, und vielleicht liegt hier die Keimzelle seiner Kulturgeschichte der schwarzen Kleidung. Denn das respektable Schwarz ist die Farbe, die wir mit den Viktorianern verbinden. Hat Viktoria nach dem Tod von Albert etwas anderes getragen? Und so scheint es nur logisch, wenn das erste Kapitel („Whose Funeral?“) mit den Viktorianern beginnt. Aber natürlich geht Harvey in der Geschichte, der Kunst und der Literatur weiter zurück. Shakespeares Hamlet trägt schwarz, es ist die Farbe der Trauer, aber es ist auch die Farbe der Gelehrten. Quentin Tarantinos Helden tragen auch schwarz, was bedeutet es jetzt? Dieses ist die beste Kulturgeschichte (und Modegeschichte) der Farbe Schwarz. Vorzüglich illustriert, von Delacroix‘ Porträt des Barons Schwiter bis zu Bela Lugosis Dracula und Mussolinis Leibwache. Es gibt kein besseres und geistreicheres Buch zu dem Thema als dieses. Die Freunde einer Organisation namens Men in Black, die extraterrestrische Wesen jagt, seien darauf hingewiesen, dass Tommy Lee Jones und Will Smith in diesem Buch nicht vorkommen. Linda Fiorentino leider auch nicht. Aber in diesem Fall kann man das einmal verschmerzen.

Ärmelknöpfe

Aus unerfindlichen Gründen haben die Ärmel von Jacketts Knöpfe. Manchmal kann man sie aufknöpfen, Charlton Heston macht das in einem wunderbaren Schwarzweißfilm (Touch of Evil. Marlene Dietrich und Orson Welles spielen da auch mit). Ganz langsam, Knopf für Knopf, um sich dann die Hände zu waschen. Ist furchtbar unpraktisch, das Jackett auszuziehen ginge schneller. Charlton Heston spielt in dem Film einen mexikanischen Polizeioffizier. Den Schneideranzug mit den knöpfbaren Knöpfen braucht er, um in der Welt der Gringos zu zeigen, dass auch ein Mexikaner ein Mann von Welt sein kann. Und er hat als weitere Trophäe mit Janet Leigh eine blonde Amerikanerin als frischangetraute Ehefrau. Nicht mehr die Janet Leigh von Lassies Heimat (1948), aber auch noch nicht die, die in der Dusche ermordet wird.
Knöpfbare Knöpfe an den Ärmeln (was die Amerikaner manchmal surgeon’s cuff nennen) sind ein Statussymbol, Italiener lassen deshalb häufig ein oder zwei Knöpfe offen, um zu zeigen: Seht her, ich kann mir ein Jackett mit richtigen Knopflöchern leisten. Diese Demonstration wäre für den englischen Gentleman die höchste Schande. Es gibt eine hübsche kleine Anekdote aus dem 19. Jahrhundert, wonach ein russischer Großfürst zu Besuch in England einen englischen Lord fragt, was denn einen Gentleman ausmache. Und der Adlige antwortet (und schaut dabei aus dem Fenster des Clubs auf die regennasse Pall Mall): Alle Männer haben Knöpfe am Ärmel, bei einem Gentleman sind sie wirklich zum Knöpfen. Aber ein Gentleman würde NIEMALS auf diesen Umstand hinweisen. Jetzt wissen wir es, nur die Italiener nicht. Viele Geschichtswerke der Herrenmode erzählen uns (und da schreibt wohl ein Autor von dem anderen ab), dass die Knöpfe zuerst an die Uniformärmel gekommen sind. Womit man verhindern wollte, dass sich der gemeine Soldat mit dem Rock seiner Majestät die Ärmel schneuzte. Es ist völliger Unsinn, probieren Sie es aus. Man kann sich mit der Innenseite des Ärmels die Nase schneuzen, nicht mit der Aussenseite. Richtige Knopflöcher am Ärmel sind teuer, es ist eine Heidenarbeit. Das macht auch in London nicht mehr der Schneider, dafür haben die Firmen Poole, Huntsman und wie sie alle heißen, im Hinterzimmer kleine Pakistanerinnen, die zu Dumpinglöhnen Knopflöcher nähen. Maschinen können viel schönere Knopflöcher nähen, als Schneider das können. Und es gibt diese Maschinen seit mehr als einen Jahrhundert. Aber dennoch wollen Herren in der ganzen Welt ein handgenähtes Knopfloch, vor allem die Italiener. Von der Vorderseite her sehen Maschinen- und Handknopfloch gleich aus. Erst auf der Rückseite erkennt man das handgenähte Knopfloch, alles ist grauenhaft gestichelt, nix von der Akkuratesse der Seidenraupe der Vorderseite. Die Maschine kriegt das auf beiden Seiten sauber hin.
Aber auch bei den Schneidern der Savile Row sind nicht alle Knopflöcher funktional. Bei vielen sind nur zwei von vier Knöpfen knöpfbar. Manche Firmen weigern sich schlichtweg, diesen Unsinn mitzumachen. Manche Firmen überlassen es dem Kunden, ob er sich die angedeuteten Knopflöcher aufschneiden lässt. Die meisten Londoner Firmen verwenden Knöpfe mit vier Löchern, bei Huntsman und Poole haben die Knöpfe nur zwei Löcher (bei der deutschen Firma Regent drei), das mit den zwei Knopflöchern sieht irgendwie billig aus. Aber bei Huntsman und Poole möchte man eben anders sein als die anderen. Englische Knopflöcher werden in der Savile Row tiefer unten am Ärmel angesetzt als bei deutschen Konfektionsanzügen, damit will man betonen, dass der Anzug für diesen einen Träger gemacht wurde und dass man die Länge des Ärmels nicht mehr zu ändern braucht. Kleine Raffinessen. Petitessen? Alle Stilratgeber (eine florierende Gattung) füllen Seiten mit der Behandlung dieser Frage. Ganz zu schweigen von der Unzahl von Internetforen, in denen so etwas diskutiert wird. Offensichtlich haben die etwas bescheuerten Gentlemen vom Typ Bertie Wooster viele Nachfolger. Und da sagt man immer, nur Frauen hätten nur Klamotten im Kopf. Ich persönlich finde das Ganze ja albern. Ich habe das zwar an einigen Anzügen, aber ich folge dem Rat des englischen Adligen und zeige es nie.
Es gibt auch wichtigere Fragen auf der Welt. Ein Engländer (und diese Anekdote ist hundert Jahre jünger als die mit dem russischen Großfürsten) nimmt einen europäischen Gast mit in seinen Klub. Er weist auf eine Gruppe von jüngeren Männern hin, die alle nagelneue Anzüge aus der Savile Row und nagelneue John Lobb Schuhe tragen. Das sind alles Banker und Broker, sagt er. Dahinten in der Ecke sitzen die Herzöge. Die Herzöge tragen zwar auch Anzüge aus der Savile Row, aber die sind schon dreißig Jahre alt (und inzwischen abbezahlt), und ihre Schuhe stammen auch aus einem anderen Jahrzehnt. Das ist der wahre Stil. Wie das Touristenehepaar, das dem älteren Herrn in abgeschabten Klamotten, der im Vorgarten des Schlosses herumwerkelt, aus Mitleid sein mitgebrachtes Sandwich gibt, um dann bei der Schlossführung festzustellen, dass es sich bei dem Tramp um Lord Emsworth handelt. Ich borge mir mal diesen stilvollen Lord bei P.G. Wodehouse aus. In Wirklichkeit wird die Episode dem 15. Duke of Norfolk zugeschrieben. Der ja alte Kleidung tragen darf, weil er als Earl of Arundel den ältesten englischen Adelstitel besitzt. Und wenn die Angehörigen des Herzogs ihm sagen, dass er nicht in den schrecklichen alten Anzügen herumlaufen könne, entgegnete der nur:Warum nicht? In London kennt mich keiner. Und hier kennt mich jeder – was spielt es dann für eine Rolle? Henry David Thoreau hatte schon Recht als er sagte Beware of all enterprises that require new clothes.
 Berliner Konfektion und Mode 1836 – 1939: Die Zerstörung einer Tradition 

Dies ist die zweite (und erweiterte) Auflage des Buches von 1986. Es ist in der „Reihe Deutsche Vergangenheit Stätten der Geschichte Berlins“ als Band 14 erschienen, und es ist nicht der unwichtigste Band in dieser Reihe. Uwe Westphal zeigt den Aufstieg der Berliner Modehäuser seit dem 19. Jahrhundert und ihre Zerschlagung durch die Nationalsozialisten mit einer Vielzahl von Abbildungen und Dokumenten auf. Obgleich die Berliner Mode in den fünfziger Jahren noch einmal versuchte (mit Couturiers wie Detlef Albers, Heinz Schulze-Varell und Gerd Staebe) an die große Zeit anzuknüpfen, blieb Berlin Modeprovinz. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, dass Berlin auf dem Gebiet der Damenmode einmal mit Paris mithalten konnte. Aber dies Buch ist kein Bilderbuch der Nostalgie einer großen Zeit. Dies ist das Buch eines kritischen Historikers, der schonungslos die so genannte „Arisierung“ der großen jüdischen Modegeschäft beschreibt. Und der Autor scheut sich auch nicht, die Namen dieser arischen Kriminellen zu nennen. Von denen viele wieder in den fünfziger Jahren (wie von Eelking oder Tübke) einflussreiche Positionen in der deutschen Konfektionsindustrie besaßen. Aber es ist auch eine Geschichte von vielen kleinen und großen (wie z.B. Wilfried Israel) Helden, jüdische Firmenbesitzer, die ihren Angestellten die Emigration und ein neues Leben in England ermöglichen. Während andere die Roben für die Gattinnen von Goering und Goebbels schneidern. Dieses Buch spiegelt unsere deutsche Tragik im so genannten Dritten Reich wieder. Es geht um die große Mode und um die Konkurrenz zu Paris, aber es geht noch mehr um Ausbeutung und Vernichtung. Hier wird die Vergangenheit lebendig, mit jedem untergegangenen Firmennamen. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass gleichzeitig mit diesem hervorragenden Buch ein Buch von Gloria Sultano „Wie geistiges Kokain. Mode unterm Hakenkreuz“ erschienen ist, das ähnliche Fragestellungen verfolgt, sich aber auf Wien konzentriert.

Class 

Es ist schön zu sehen, dass das witzigste und gleichzeitig geistreichste Buch über die englische Klassengesellschaft nach 30 Jahren immer noch lieferbar ist. Es zeigt vielleicht auch, dass sich am englischen Klassensystem in den letzten 30 Jahren wenig geändert hat. Jilly Cooper ist das Beste gewesen, was der „Observer“ jahrelang zu bieten hatte, bevor sie sich auf das Schreiben von Blockbuster Liebesromanen verlegte. Die natürlich nicht die typischen Rosamunde Pilcher Liebesromane, sondern die typischen Jilly Cooper Liebesromane sind: frech, bösartig, geistvoll. Wie „Class“. Abgesehen davon, dass dieses Buch frech und witzig ist (und in den ersten zehn Jahren seines Erscheinens jedes Jahr neu aufgelegt wurde), ist es eigentlich eine ernstzunehmende soziologische Untersuchung der Engländer. Von John Majors Diktum, dass England eine „classless society“ sei, ist außer Gelächter wenig übrig geblieben. Jilly Cooper nimmt sich für jede Gesellschaftsschichte eine Musterfamilie mit sprechendem Namen, von Mr Definitely-Disgusting (working class) bis Harry Stow-Crat (natürlich ein Aristocrat) und verfolgt diese Familien von der Geburt bis zum Tod. Mit allen Sitten und Gebräuchen, Spleens und Überzeugungen. Das ist schreiend komisch und zugleich lebensecht. Man mag mit einem moralischen Unterton, wie es P.N. Furbank in „Unholy Pleasure, or The Idea of Social Class“ tut, dieses etwas perverse englische Insistieren auf Klassenzugehörigkeiten bedauern, aber man wird die Tatsache nicht leugnen können. Dieses Buch hilft einem, die Engländer zu verstehen. Für Anglistikstudenten sollte man es auf die Liste der Pflichtlektüre setzen. Für ihre Dozenten vielleicht auch.

 Reclams Mode- und Kostümlexikon 

Es gibt kein besseres Lexikon der Mode in deutscher Sprache, als das von Ingrid Loschek! Es enthält nicht nur einen 400-seitigen Lexikonteil, sondern auch gleich am Anfang eine kurze Geschichte der Mode durch die Jahrhunderte. Weiterhin gibt es am Ende ein Verzeichnis der wichtigsten Modeschöpfer und weiterführende Literatur. Und dazwischen alles von Aba (dem Hauptobergewand der Araber) bis Zylinder. Zweitausend Sachartikel mit ausgesucht guten Illustrationen, Kulturgeschichte und textiles Nachschlagewerk in einem. Bügelfalte, Büstenhalter, Schillerkragen und Halbstarkenmode, kein modischer Fachbegriff (und keine Verirrung der Mode) entgeht der Autorin. Es gibt viele Bücher über Mode, aber kaum eines ist mit solcher Sachkenntnis geschrieben. Deutschlands wichtigster Beitrag zur Herrenmode, der scheußliche Kleppermantel, ist natürlich auch drin.